
Hintergrund
Magnesium gegen Muskelkrämpfe? Nur unter dieser einen Bedingung
von Anna Sandner
Krafttraining ist weit mehr als Muskelaufbau. Es wirkt wie Medizin auf den Körper, da es dazu beitragen kann, die Gesundheitsspanne zu verlängern [1–6]. In dieser Serie betrachten wir weitverbreitete Mythen kritisch. Diesmal geht es um Muskelkrämpfe und Magnesium.
Krämpfe sind plötzliche, schmerzhafte Kontraktionen von Muskeln, die wie aus dem Nichts auftreten. Sie dauern Sekunden bis Minuten und sind oft deutlich ertastbar. Manchmal stehen sie im Zusammenhang mit Erkrankungen, doch meist tauchen sie ohne erkennbare Ursache auf – ein medizinisches Rätsel. Wir verstehen den Mechanismus hinter Krämpfen noch immer nicht genau. Es gibt Hinweise darauf, dass das Problem im Bereich der Motoneuronen, der Nervenzellen und der von diesen Nervenzellen angesteuerten Muskelfasern liegt [7]. Gestützt wird diese Annahme durch neuromuskuläre Erkrankungen, von denen bekannt ist, dass sie mit Krämpfen einhergehen und typischerweise die Motoneuronen betreffen wie zum Beispiel die amyotrophe Lateralsklerose, besser bekannt als ALS. Auch bestimmte Stoffwechselerkrankungen (z.B. Leberversagen), Medikamente (Diuretika und Beta-Agonisten) sowie die Hämodialyse können zu Muskelkrämpfen beitragen [8,9].
Muskelkrämpfe treten jedoch häufig auch ohne ernsthafte Erkrankung auf. Besonders betroffen sind ältere Menschen, Schwangere und Sportler, die an ihre Belastungsgrenzen stossen. Krämpfe im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung treten während oder direkt nach intensiver Belastung auf und betreffen meist die zuvor beanspruchten Muskelgruppen [10]. Im Gegensatz dazu treten Krämpfe, die mit Schwangerschaft oder fortgeschrittenem Alter einhergehen, häufig in den Beinen oder Füssen auf – besonders während längerer Ruhephasen, etwa nachts im Bett. In solchen Fällen spricht man von Ruhekrämpfen oder nächtlichen Wadenkrämpfen. Ruhekrämpfe im Alter sind durchaus verbreitet. Ein Drittel der Männer und Frauen über 50 Jahren gaben in einer Studie aus Grossbritannien an, in den letzten zwei Monaten mindestens einen Ruhekrampf erlebt zu haben. Von diesen Betroffenen berichteten 40 %, dreimal oder öfter pro Woche Krämpfe zu haben. Sechs Prozent litten sogar jede Nacht unter Ruhekrämpfen [11].
Bei Krämpfen wird gerne Magnesium empfohlen. Es steht an dritter Stelle im Verkaufsrang der Vitamine und Nahrungsergänzung im Galaxus-Shop. Doch was ist Magnesium? Magnesium ist ein essenzielles Mineral und spielt eine wichtige Rolle bei zahlreichen Körperfunktionen. Dies auch bei der Kontraktion der Muskulatur und der Regulation der Erregbarkeit der Neuronen [12,13].
Warum der menschliche Körper Magnesium braucht, hat Kollegin Anna Sandner ausführlich erklärt:
Magnesium ist das vierthäufigste Mineral im menschlichen Körper und kommt natürlicherweise in Lebensmitteln wie dunkelgrünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und unraffinierten Getreideprodukten vor. Magnesiumpräparate sind weit verbreitet und können ohne Rezept gekauft werden. Viele werden speziell zur Vorbeugung von Krämpfen beworben. Diese Präparate bestehen meist aus Magnesiumsalzen, die mit verschiedenen Substanzen wie Citrat, Laktat oder Sulfat kombiniert sind. Sie kommen meistens als Tabletten, aber auch als Flüssigkeit oder Pulver, das in Wasser aufgelöst werden kann. Im Körper wird Magnesium hauptsächlich im Dünndarm aufgenommen. Dies entweder durch passive Diffusion oder durch aktiven Transport, wobei jedoch ein kleinerer Prozentsatz des Magnesiums absorbiert wird, je höher die Dosis ist [14].
Magnesium beeinflusst die Muskelfunktion, indem es mit Calcium konkurriert, das für die Muskelkontraktion notwendig ist. Calcium wird aus dem sarkoplasmatischen Retikulum freigesetzt und bindet an spezielle Proteine, um die Kontraktion auszulösen [15]. Magnesium kann an dieselben Bindungsstellen wie Calcium binden, aber seine Wirkung ist schwächer [15]. In Ruhe ist die Magnesiumkonzentration in den Muskelzellen etwa 10’000-mal höher als die von Calcium. [15]. In Ruhe bindet Magnesium an alle Bindungsstellen in der Muskulatur und wird erst nach der Freisetzung von Calcium vor einer Kontraktion verdrängt. Wenn zu wenig Magnesium vorhanden ist, wird weniger Calcium benötigt, um Magnesium zu verdrängen, was zu einer erhöhten Erregbarkeit führen und sich in Krämpfen und Spasmen äussern kann.
Die Literatur zum Thema ist nicht eindeutig und lässt keine abschliessende Beurteilung zu. Es gibt wenige Beweise dafür, dass Magnesium Muskelkrämpfe in der allgemeinen Bevölkerung lindert [16]. Eine 2012 veröffentlichte Metaanalyse der bis zu diesem Zeitpunkt publizierten Arbeiten, zeigte keine signifikante Reduktion der Anzahl an Krämpfen nach einer Behandlung mit Magnesium [17].
Im Gegensatz dazu zeigte jedoch eine Metaanalyse von 2002, dass Magnesium bei Muskelkrämpfen während der Schwangerschaft vorteilhaft sein könnte [18]. Da die Stichprobengrössen jedoch relativ klein waren, sollten diese Studien mit Vorsicht betrachtet werden. Grossangelegte Studien wären hier erforderlich, um den Nutzen von Magnesium zu klären. Auch eine vor wenigen Jahren erschienene Metaanalyse, die 11 Studien inkludierte, fügt sich in die obigen Aussagen ein [19]. Es deutet nicht viel darauf hin, dass Magnesium die Häufigkeit oder den Schweregrad von Krämpfen bei älteren Erwachsenen verringert.
Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.