Pelvisuisse
Hintergrund

Hey Männer, der Beckenboden ist nicht nur ein Frauending!

Er trägt uns durchs Leben, federt Stösse ab, sorgt für guten Sex – und meldet sich oft erst, wenn etwas schiefläuft: der Beckenboden. Wie du die Muskelgruppe zwischen den Beinen gezielt stärkst, erklärt die Expertin im Interview.

«Wie du jetzt ruhst, entscheidet darüber, ob du später inkontinent wirst!» Die Worte meiner Hebamme sind mir geblieben. Ich hatte gerade mein erstes Kind zur Welt gebracht und wurde ermahnt, das Wort Wochenbett wörtlich zu nehmen. Der Beckenboden war für mich bis anhin eher so eine ungefähre Ahnung. Plötzlich ging es aber ständig um ihn – schon im Schwangerschaftsyoga als Vorbereitung für die Geburt, im Hebammengespräch und dann im Rückbildungspilates.

Mit der Zeit habe ich realisiert, wie wichtig diese Muskelgruppe zwischen den Beinen ist. Nicht nur für Mütter nach der Geburt, sondern auch für Frauen ohne Kinder und ja, sogar für Männer. «Erzählt das auch euren Partnern zuhause weiter, wie sie ihren Beckenboden entlasten!», rief die Instruktorin in meinem Rückbildungskurs.

Den Beckenboden sollten eigentlich alle gut kennen und ein Leben lang trainieren, wie Petra Spalding so schön sagt. Petra Spalding ist Physiotherapeutin, spezialisiert auf den Beckenboden, und hat bis 2024 den Berufsverband Pelvisuisse geleitet. Im Gespräch beantwortet sie alle drängenden Fragen.

Warum ist das Thema Beckenboden deiner Meinung nach ein Tabu?
Das Tabu beginnt langsam zu bröckeln. Aber viele schämen sich immer noch, wenn in diesem intimen Bereich etwas «nicht funktioniert». In der Familie oder im Freundeskreis über Inkontinenz oder sexuelle Unlust zu sprechen, braucht Mut. Gleichzeitig wissen viele gar nicht, was der Beckenboden genau ist, was er kann und wie wichtig er für unser gesamtes Wohlbefinden ist.

Kannst du kurz erklären, welche Funktionen der Beckenboden erfüllt?
Der Beckenboden ist ein tragendes Netz aus Muskeln und Bindegewebe, das den Bauchraum nach unten abschliesst. Er stützt unsere inneren Organe, kontrolliert Blase und Darm – und spielt eine wichtige Rolle für unsere Sexualität und Haltung. Ein gesunder Beckenboden ist elastisch und kräftig.

Wie können Frauen dem vorbeugen?
Das A und O ist die Regeneration im Wochenbett: Nach der Geburt sollten Mütter ruhen, damit sich der Körper erholen kann. Anschliessend ist eine intensive Rückbildungsgymnastik entscheidend. Darüber hinaus lohnt sich ein bewusster Umgang mit Belastung: kein schweres Heben, eine gute Körperhaltung und anhaltendes gezieltes Beckenbodentraining.

Wie erkennt man selbst, dass man wieder sportlich aktiv werden darf?
Wichtig ist, gut in sich zu spüren. Der Körper meldet sich oft mit Druckgefühlen, Schmerzen oder Urinverlust, wenn er noch nicht bereit ist.

Wie kann man einem schwachen Beckenboden vorbeugen – auch wenn man keine Kinder hat?
Lebenslanges Beckenbodentraining ist wichtig. Genau wie andere Muskelgruppen braucht er regelmässige Reize. Am besten baut man Übungen so in den Alltag ein, dass sie selbstverständlich werden: zum Beispiel beim Zähneputzen den Beckenboden zehnmal anspannen und entspannen.

Und wenn der Beckenboden schon sehr geschwächt ist – was hilft dann noch?
In der Praxis klären wir zuerst, was die Schwäche verursacht. Dann arbeiten wir mit gezielten Übungen, Biofeedback-Geräten oder Elektrostimulation. Die gute Nachricht: Auch ein schwacher Beckenboden lässt sich fast immer trainieren – es braucht nur etwas Geduld.

Wie läuft so eine Beckenbodentherapie konkret ab?
Am Anfang fragen wir verschiedene Aspekte ab: Urinverlust, Wasserlassen, Stuhlentleerung, Sexualität und Haltung. Danach folgt ein körperlicher Befund: Wir ertasten den Beckenboden, überprüfen, wie die Muskulatur arbeitet. Dann stellen wir ein individuelles Programm zusammen, auch mit Übungen für zu Hause. Ziel einer Therapie ist immer die Beschwerdefreiheit.

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Mehr Bewusstsein, weniger Scham. Beckenbodengesundheit gehört in die Aufklärung junger Frauen und Männer, in die Schwangerschaftsbegleitung, in die Prävention. Ich wünsche mir, dass Fachpersonen bei Beschwerden viel schneller an den Beckenboden denken, insbesondere Gynäkologen! Und ich finde wichtig, dass Betroffene nicht zu lange warten. Denn die meisten Beschwerden lassen sich beheben.

Titelbild: Pelvisuisse

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Eigentlich bin ich Journalistin, in den letzten Jahren aber auch vermehrt als Sandkuchenbäckerin, Familienhund-Trainerin und Bagger-Expertin tätig. Mir geht das Herz auf, wenn meine Kinder vor Freude Tränen lachen und abends selig nebeneinander einschlafen. Dank ihnen finde ich täglich Inspiration zum Schreiben – und kenne nun auch den Unterschied zwischen Radlader, Asphaltfertiger und Planierraupe. 


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