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Eine Liebeserklärung an das wohl grösste Kapitalverbrechen der italienischen Esskultur
von Raphael Knecht
Zwei frische Rüebli, drei geschälte Gurken und eine gedünstete Zucchetti. Dazu ein ultraleichtes Kräuter-Joghurt mit 0.05% Fettanteil. Und zum Dessert eine Handvoll Bio-Blueberries. Nein, heute nicht.
Die perfekte, gesunde Ernährung gibt es nicht. Zumindest darf sie keinem vorbestimmten Schema folgen. Sprich, sie ist niemals allgemeingültig.
Hä, was? Ich erklär's dir. Hypothese: Rosenkohl ist gesund. Widerlegung: Wenn ich eine Woche lang Rosenkohl essen müsste, würde mein Erdendasein spätestens am dritten Tag auf unrühmliche Weise enden. Und das ist ungesund für mich. Da pfeife ich auf Vitamin A und C, Eisen, Kalium, Kalzium, Magnesium und Glucosinolate.
«Your body is your temple.» Womit du ihn versorgst, ist dir überlassen.
Wenn dir dein Essen nicht schmeckt, fühlst du dich schlecht. Das ist beispielsweise mit einem doofen Spruch deiner Kollegen, bei welchem du auf Durchzug stellst, kaum zu vergleichen. Weil dein Essen ein Teil von dir ist und bleibt. Dein Food hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie es dir geht. Und deine Gesundheit hängt – logischerweise – ebenfalls davon ab, wie es dir geht.
Du alleine musst also wissen, was du als gesund empfindest.
Ich habe gelernt, mich vernünftig zu ernähren. Nicht gesund, vernünftig. Nicht immer ganz freiwillig, aber schlussendlich dann doch aus eigener Überzeugung. Ein Beispiel: Ich verzichte auf Süssgetränke. Tschau Cola. Aber ich brauche Zucker. Hallo Schokolade. Für den Sport, als Energielieferant und weil die braune Kakaomasse einfach geil ist.
Die Ernährung ist eine Beziehung, kein One-Night-Stand. Hintergehst du sie an einem Abend, ist es okay. Ziemlich sicher bereust du es kurze Zeit später, in einer Woche ist die Story jedoch gegessen. Führst du hinter ihrem Rücken aber ein zweites Leben, hast du langfristig ein echtes Problem.
Nein, du findest hier keine wissenschaftliche Abhandlung, keine Interviews mit Ernährungsberatern und kein How-to-eat-healthy-Guide. Sondern meine persönliche Einstellung, einen meiner Charakterzüge und Abschnitte meiner Menükarte.
Logisch überzeugen dich fundierte Argumente, Experten-Zitate und Tipps von erfahrenen Profis. Sollen sie auch, dafür sind sie da. Aber du weisst auch ohne experimentelle Testreihen aus dem Labor, dass zu viel Zucker deinem Körper schadet. Dass fettiges Essen deinem Körper auf Dauer zu viel wird. Dass der vegane oder vegetarische Lifestyle Nahrungsergänzungen nach sich zieht. Dass Grün nicht das neue Schwarz ist. Dass dir ein vernünftiger Mix gut tut.
Daher mein Appell an die Vernunft. Aber auch ans Schöne im Leben, an den Genuss. Nicht aus der Bibliothek, sondern aus Erfahrung. Du findest dazu wenig in Büchern, denn das Ganze kommt aus tiefstem Magen.
Manchmal braucht es eben keine Wissenschaftler, keine Tests oder Studien. Eine versteckte Andeutung in Form eines Textes reicht. Um aufzuwachen, nachzudenken und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Ich bin, was ich esse.
Ich bewundere Leute, die eine Diät rigoros durchziehen. Sich nur von bestimmten Lebensmitteln ernähren, stets aufs Gewicht – das eigene und jenes des Essens – achten, cheat days einführen. Egal, ob bei Freunden zu Besuch, am Geschäftsessen oder beim romantischen Dinner: Was die Diät verbietet, wird konsequent gemieden.
Ich habe aber kein Verständnis für und keinen Respekt vor all jenen, welche die Nahrungsaufnahme komplett unterbinden. Nur, um an der einen Feier ins Kleid zu passen. Oder, um am ersten Date für einige Stunden ohne Bierbauch der Traumfrau gegenübersitzen zu können. Das ist Blödsinn. So schadest du deinem Körper und dir selbst.
«Diet comes from 'die'.» Angaben ohne Gewähr.
Übrigens: Ich spreche hier bewusst subjektiv und vorbelastet. Ich treibe Sport, rauche nicht. Ich habe einen soliden Stoffwechsel, eine effiziente Verdauung und nehme kaum zu. Auch ausufernde Festmahle können mir nichts anhaben. Daher ist meine Sichtweise alles andere als neutral. Aber das ist gut so und dazu stehe ich. Es zählt einzig, dass du mit dir selbst zufrieden bist.
Iss, worauf du Lust hast! Tue Gutes und dir wird Gutes widerfahren. Du könntest jeden Tag eine Pizza verdrücken? Willkommen im Club. Du möchtest den eben verwendeten Konjunktiv in die Tat umsetzen? Tu es. Dein Körper, dein Gewissen und deine Freunde werden dir früh genug sagen, wann Schluss ist.
Geniess dein Leben – Essen gehört dazu. Verschwende im Urlaub keine Zeit mit der endlosen Suche nach einem Bio-Handmade-Zero-Waste-Weight-Watchers-Lädeli. Entdecke, erkunde und lebe die lokale Küche. Und wenn das ein Wiener Schnitzel, ein Taco oder ein Wal-Steak ist, dann ist das so. Und dann isst du das auch so.
Es hat gemundet? Na dann, los: Ein zweiter Churro abends zum Dessert hat noch keinen getötet. Du wirst nach zwei, drei Tagen automatisch merken, dass es auch noch andere Köstlichkeiten gibt. Und wenn nicht: Koste die eine Leckerei aus. Was hast du davon, wenn du vier Stunden verzweifelt nach einem Avocado-Rotkraut-Pita suchst, um schlussendlich mit einem (enttäuschend minderwertigen) Alternativprodukt vorlieb nehmen zu müssen? Vergiss die Kalorien, blende den Fettgehalt aus und erfreue dich an den lokalen Aromen, Zutaten und anderen kulinarischen Souvenirs, die du nie mehr vergessen wirst.
Ob ich einen zweiten Teil von «Super size me» plane? Nein. Ob ich mit der Fast-Food-Industrie unter einem Hut stecke und Schleichwerbung betreibe? Oh Gott, nein. Weil: Ja, ich esse Früchte. Ja, ich esse Gemüse. Ja, ich esse Salat. Früher waren oft Pasta, Kartoffeln oder Reis die Beilagen zu Fleisch oder Geflügel. Heute ist es Gemüse. Oder Salat. Fleisch-Alternativen gibt es viele. Ich mag auch Tofu und Hummus. Ich liebe Brot. Und Käse.
«An apple a day keeps the doctor away.» Nicht, wenn du das Bütschgi verschluckst oder dir der Bio-Aufkleber die Luftröhre verklebt.
Nein, ich esse keinen Fisch und keine Meeresfrüchte. All das Zeugs lebt unter der Wasseroberfläche – abseits, ausgestossen und vor dem Rest der Welt verborgen. Das kann kein Zufall sein. Oder hättest du Freude, wenn du ins Wasser gezogen und dort verspeist werden würdest? Also, Flossen weg!
Ich fühle mich gut. Ich fühle mich fit, kann sportlich problemlos mit meinen Unihockey-Teamkameraden mithalten. Auch beim Lauftraining mit meiner trainierten Partnerin halte ich Schritt. Auf dem Rennrad lasse ich E-Biker stehen, auch bergaufwärts – nicht immer, aber immer öfter. Ich bin glücklich, was ich zu grossen Teilen meiner Ernährung zu verdanken habe.
Wem brauchst du etwas zu beweisen? Deine Liebsten kennen dich so, wie du wirklich bist. Deinem Arbeitgeber bist du nichts schuldig – ausser natürlich, dass du deine Arbeit ordnungsgemäss erledigst. Deine Freunde mögen dich wegen deiner Persönlichkeit, dem witzigen Auftreten und den Moneten – nicht, weil du dich ausschliesslich von Chiasamen und Selleriestangen ernährst.
Wenn dich fünf Halbmarathons pro Woche happy machen, dann ist das gut so. Wenn dich dein Gewissen plagt und du nur schnell eine Runde drehen möchtest, um am nächsten Abend beim All-you-can-eat Chicken Wings Buffet zuschlagen zu können, tu es. Solange es für dich stimmt, kann es nicht falsch sein.
Gesunde Ernährung wird missverstanden und falsch interpretiert. Es existiert nicht das eine Rezept, der eine Leitfaden. Vielmehr entscheidest du, was passt und was nicht.
Ein Denkanstoss zum Abschluss: Angenommen, du verzichtest explizit auf Ungesundes, Fettiges und Kalorienbomben, um gesund (und) alt zu werden. Dann kommt am nächsten Montagmorgen der verspätete 33er-Bus im Schnellzugtempo um die Ecke, überrollt dich und zack, Ende Gelände.
«Tamminamal, hetti doch de scheiss Burger zum Zmittag gässe!»
Told you.
Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.