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Eine Liebeserklärung an das wohl grösste Kapitalverbrechen der italienischen Esskultur

An ihr scheiden sich die Geister. In Italien ist sie verpönt, Island wollte sie gar komplett verbieten und die Aussies lieben sie. Du magst sie oder du magst sie nicht. Ich vergöttere sie. Eine Ode an die Pizza Hawaii.

Ein hauchdünn ausgewallter Hefeteig, auf dem cremiger Mozzarella in einer zauberhaften Symphonie mit dem süsslich-sauren Tomatensugo verschmilzt. Ein paar Tranchen extrafeiner Schinken, eine Prise kräftiger Pfeffer und zwei bis drei Blätter frisches Basilikum vollenden das kulinarische Meisterwerk. Ein Gaumenschmaus sondergleichen. Moment, fehlt da nicht noch was? Richtig, die Krönung: Ananas-Stückchen.

Es kann gar nicht schlecht sein, wenn sogar Prominente darin wohnen wollen.
Es kann gar nicht schlecht sein, wenn sogar Prominente darin wohnen wollen.

Okay, jetzt habe ich Hunger. Schon wieder...

Back to the future

Aber: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Es war einmal, vor sehr langer Zeit, als die Götter die Welt regierten. Ups, so weit muss ich gar nicht zurückschauen. Denn erschaffen wurde der sagenumwobene Leib Christi in Ital... haha, hättest du wohl gerne, was? Nein, diese gustatorische Höchstleistung verdanken wir tatsächlich einem Griechen, der 1962 in Kanada die Idee hatte, Ananasscheiben auf die kreisrunde Delikatesse zu streuen.

Kurze Rekapitulation: Pizza Hawaii = Griechenland, Kanada und Hawaii beziehungsweise USA. Aber nicht Italien? Ma dai, tu sei un pazzo!

Sotirios «Sam» Panopoulos, eine gottähnliche Heldengestalt, legte damals den Grundstein für meine Leibspeise. Ein Datum, das mein Leben für immer verändern sollte. Die Spezialität von Sams «Satellite»-Restaurants war das Kombinieren von süssen und pikanten Speisen. Davon sollte auch das mediterrane Fladenbrot aus dem Süden nicht verschont bleiben.

Klar, warum auch nicht? Etwas, das so simpel und geil ist, mit einer Zutat zu kombinieren, die ebenfalls verdammt gut schmeckt, kann nur gelingen. Das habe ich mir in meinem BWL-Studium zur Genüge anhören dürfen: Synergien, Synergien, Synergien. «Was?», fragte mich schon damals mein Sitznachbar. «Irgendetwas Griechisches», antwortete ich. Der Heilige Gral der Unternehmensfusion, die mythische «1 + 1 = 3»-Gleichung – zelebriert in ihrer reinsten Form, durch die Pizza Hawaii.

Da soll noch einer sagen, ich würde den Stoff der Uni im echten Leben nie mehr gebrauchen können. #4everastudent

Der Messias an der Geburtsstätte der leckersten Pizza dieser Galaxie.
Der Messias an der Geburtsstätte der leckersten Pizza dieser Galaxie.

Letztes Jahr rutschte ich urplötzlich in ein emotionales Tief. Ein Schicksalsschlag aus heiterem Himmel nagte an mir: Sam Panopoulos ist am 8. Juni 2017 unerwartet aus dem Leben geschieden. Die genaue Todesursache ist bis heute ungeklärt. Ich vermute stark, dass hier die Mafia ihre Wurstfinger im Spiel hatte. Wie sonst ist der Betonklotz in Form einer Ananasscheibe an den Füssen von Panopoulos zu erklären?

Italia, Italia

Apropos organisiertes Verbrechen: Was sich wie ein Stich mitten ins italienische Herz anfühlen muss, lässt mir mindestens drei Mal täglich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich strahle wie ein kleines Kind an Weihnachten, dass sich auf seine Geschenke freut.

Meiner italienischstämmigen Freundin aus dem Tessin hingegen kullern jeweils dicke Tränen über die Wangen, wenn ich mich schon Stunden vor unserem Candlelight-Dinner nach der feinen Pizza mit verbotenem Belag sehne. Als sie meinem ersten Gourmet-Fauxpas beiwohnen musste, postulierte sie völlig aufgewühlt: «Wenn wir im Ticino sind und du eine Hawaii bestellst: basta, finito – capisci?»

Zwei Herzen in einer Brust. Das eine schlägt nur für sie, das andere für Pizza mit Ananas. Beide sind sie zuckersüss und superlecker. Ein fast schon unmenschlich aufwühlender Zwist, mit dem ich mich konfrontiert sehe. Das first world problem schlechthin. Bisher konnte ich der Versuchung aber widerstehen. Auch (und vor allem), weil ich fürchte, verhaftet zu werden, wenn ich in einem waschechten Ristorante im Süden nach diesem No-Go frage. Ich bleibe also standhaft und wehre mich weiterhin gegen meine Triebe. Doch wie lange noch?

Selbst bei der Arbeit plagen mich inzwischen Zweifel. Oder besser gesagt Don Luca und Don Roberto, die mir regelmässig die Hölle heissmachen, wenn ich über Mittag auch nur daran denke, eine Pizza Hawaii zu ordern.

Und dennoch werde ich dieser Köstlichkeit weiterhin frönen. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann. Gäll, Dominik?

Einfach ist es nicht, das kannst du mir glauben. Denn, lass mich dir etwas anvertrauen, so unter uns: Klischees hin oder her, die Pizzen in Locarno, Ascona oder Lugano schmecken einfach besser als in Wiedikon, Oerlikon oder Altstetten. Und Pizzerien in Städten wie Napoli, Rom oder Venedig katapultieren das Ganze sowieso in andere Sphären: Auch wenn's im Fussball dieses Jahr wohl eng wird, den Weltmeistertitel für die beste Pizza habt ihr auf sicher, cari amici.

Like a boss

Es geht aber auch schlimmer, denn kontrovers ist nur der Vorname des gebackenen Teigfladens. Islands Präsident, mein Erzfeind mit dem klingenden Namen Guðni Thorlacius Jóhannesson, liess im Februar 2017 vor einer versammelten Schulklasse verlauten, dass er Pizza Hawaii am liebsten gesetzlich verbieten lassen würde. (Daher habe ich meinen Island-Trip auch auf dieses Jahr verschoben.) Der Wikinger-Feigling krebste aber – aus Angst vor Anschlägen der brutalen Ananas-Dealer aus dem Norden – schnell wieder zurück und relativierte: «Ich mag Ananas. Nur nicht auf meiner Pizza».

Das Imperium schlägt zurück.
Das Imperium schlägt zurück.

Auch an Justin Trudeau, Premierminister von Kanada, ging das Ganze nicht spurlos vorbei. Er antwortete postwendend mit einem patriotischen Tweet, der Gleichgesinnten neuen Mut gab. Er mag Pizza, er mag Ananas und er steht zur Köstlichkeit aus Ontario. You're the man, Justin!

Gordon Ramsay, schottischer Starkoch, achtfacher Europa- und zwölffacher Weltmeister sowie dreimaliger Olympiasieger im Fluchen, bezeichnet die Pizza Hawaii als «mistake». Naja, bei all den bösen Worten auf der Zunge gehen gerne ein paar Geschmacksknospen flöten, lieber Herr Ramsay. Und sowieso: Wieso sollte ich einem Briten überhaupt zuhören, wenn's um gutes Essen geht?

Du beschwerst dich noch über Pizza Hawaii, während irgendwo auf der Insel dieses Zeugs gegessen wird?
Du beschwerst dich noch über Pizza Hawaii, während irgendwo auf der Insel dieses Zeugs gegessen wird?

Das ist Haggis. Es ist ein Pudding. Aus Schafsherz. Mit Schafsleber. Und Schafslunge. Kein Wunder, hat nie jemand das Monster vom Loch Ness gesehen. An seiner Stelle würde ich bei dem Frass auch unter Wasser bleiben. Na dann, en Guete!

Jetzt entschuldige mich bitte, ich brauche kurz einige Minuten, um mich vor dem grossen Finale zu sammeln. Merci tuusig.

Ein Stück vom Paradies

Na, dann, los geht's.

Die Sonne scheint, die Palmen wiegen im lauen Sommerwind, die kilometerlangen Sandstrände sind weiss, sanfte Klänge einer melodischen Ukulele untermalen ein beinahe surreales Ebenbild meiner Vorstellung vom Paradies auf Erden. Braungebrannte Models stolzieren in knappen Bikinis barfuss an der Beach auf und ab und beeindrucken mit ihrer Balz die durchtrainierten Surfer sichtlich. Frost, Kälte und Eis kennen die Strahlefrauen und -männer in Baströcken hier nur vom Hörensagen. Oder in ihren Drinks.

Falls es einen Himmel gibt, muss dieser Ort dessen Wartezimmer sein. Zu schön, um wahr zu sein: Hawaii.

Ich schweife von meinem Bildschirm ab und versinke in Gedanken. Ich sehe mich selbst am Strand sitzen, eine geöffnete Kokosnuss in der Hand und lasse die Seele baumeln. Ich hab's geschafft, bin zufrieden mit mir und meinem Leben. Alles ist fast perfekt.

Aber eben nur fast. Denn zur vollkommenen Glückseligkeit fehlt das gewisse Etwas. Eine Erinnerung an diesen magischen Ort, die ich immer bei mir tragen werde.

A piece of heaven, sozusagen. Oder, frei übersetzt: Ein Stück Pizza Hawaii.

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Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben. 


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