Zurück in die Zukunft? Eine 120 Jahre alte Idee nimmt wieder Fahrt auf
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Zurück in die Zukunft? Eine 120 Jahre alte Idee nimmt wieder Fahrt auf

Mit dem Reibrollenantrieb drängt eine alte Idee zurück auf die Strassen. Während das historische Vorbild ein Liebhaberstück ist, sind entsprechende E-Bikes noch Exoten. Verschiedene Start-ups arbeiten daran, das zu ändern.

Brigitte Bardot hat es getan. Steve McQueen hat es getan. Charles Aznavour hat es getan. Die Ikonen der Nachkriegszeit waren mit dem Vélosolex unterwegs und verliehen diesem simplen Gefährt Glanz und Coolness. Einem Velo mit Reibrollenantrieb, der die bescheidene Motorkraft direkt auf den Reifen des Vorderrads weitergibt. Der Verbrauch des Mofas: Ungefähr ein Liter auf 100 Kilometer. Das Vélosolex war nichts Exklusives, aber einfach, praktisch und irgendwie lässig. Es passte in die Zeit und überdauerte sie: Ab 1946 mit 0,4 PS in Serie produziert, lief das letzte offizielle Modell erst 1988 vom Band. Liebhaber freuen sich bis heute daran, aber das Antriebsprinzip verschwand nach und nach in der Versenkung. Schade eigentlich.

Urahn des E-Bikes: Ein Vélosolex im Jahr 1951.
Urahn des E-Bikes: Ein Vélosolex im Jahr 1951.

Als rund 20 Jahre nach dem Ende des Vélosolex die Elektrofahrräder aufkamen, setzten sich Naben- und Mittelmotoren durch. Die modernen Antriebe haben unbestritten Vorteile, aber die Entwicklung geht immer mehr hin zu vollintegrierten Hightech-Systemen. Viele davon sollen gar nicht mehr nach Fahrrad aussehen. Sie sind irgendwas zwischen Velo, E-Töff und per Smartphone gesteuerter Kommunikationszentrale, mit einem Preisschild von x-tausend Franken und dem Hang zu Übergewicht. Eine Stilikone ist weit und breit nicht in Sicht. Dafür versucht so ziemlich jede Marke, die irgendwas auf Rädern macht, ein Stück vom Kuchen abzuschneiden.

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Zurück in die Zukunft

Zum Glück gibt es auch Tüftler, die zwar nicht das Rad der Zeit zurückdrehen, aber die Vorteile der guten alten Technik sehen. Wie war das noch? Einfach und praktisch, leicht und lässig. Wobei sie streng genommen schon ein ganz alter Hut war, als das Vélosolex damit die Herzen eroberte. Bereits 1899 bekam John Schnepf ein Patent auf diesen Antrieb, der, wie du später sehen wirst, sogar heute noch ziemlich aktuell aussieht.

Extrem leicht – und leicht nachzurüsten

Eine Idee, die gut war und es immer noch ist. Sie ist ein interessanter Weg für alle, die nachrüsten und dabei Gewicht sparen wollen. Was man mit dem Reibrollenantrieb erreichen kann, hat der Ingenieur Dr. Dennis Freiburg demonstriert und das leichteste E-Bike der Welt konstruiert. Zumindest steht es seit 2020 mit dem Federgewicht von 6,872 Kilogramm als «the lightest electric bicycle prototype» im Guinness-Buch der Rekorde. Akku und Antrieb wiegen bei den meisten Modellen schon mehr.

Eine Mogelpackung ist sein Velo trotzdem nicht, es ist durchaus alltagstauglich. Der Motor ist nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen auf 250 Watt gedrosselt, die Reichweite beträgt 25 bis 40 Kilometer. Möglich macht es die Neuinterpretation der guten alten Rolle. «Das ist ein sehr unmittelbarer Antrieb», sagt der Tüftler. Als Nachteil sieht er den leicht erhöhten Verschleiss am hinteren Laufrad. Akku und Elektronik sitzen, wie bei vielen gut getarnten E-Bikes, in der «Trinkflasche» und der Antrieb lässt sich komplett entkoppeln, wenn du ganz normal Velo fahren willst.

Dr. Dennis Freiburg mit seinem Weltrekord-Bike.
Dr. Dennis Freiburg mit seinem Weltrekord-Bike.
Quelle: www.timmheese.de

Wer mit dem Gedanken spielt, sein schönes altes Velo zu elektrisieren, landet schnell bei ähnlichen Konstruktionen. Auch der Velospeeder ist mit 500 Gramm Motorgewicht superleicht und liefert die Extrapower an der Felgenflanke ab. Add-e und andere Nachrüster setzen ebenfalls auf die Rolle. Sie alle eint, dass ihre Antriebe dein Bike nicht in ein Ungetüm verwandeln. Aber sie bedienen (noch) eine Nische.

Dein Antrieb, irgendein Bike

Einen anderen Ansatz, den Rollenantrieb wieder zu einem Faktor im Stadtverkehr zu machen, verfolgen die Gründer von clip.bike aus Brooklyn. Ihr Gedanke: Warum solltest du ein ganzes E-Bike kaufen, wenn du den Motor auch zum Mitnehmen haben kannst? Statt dein teures Bike irgendwo in einer dunklen Ecke stehen zu lassen, packst du einfach den Antrieb in den Rucksack und klemmst ihn an dein Bahnhofsvelo oder ein günstiges Leihrad.

Sie bauen einen leichten Motor, den du mit ein paar Handgriffen ohne Werkzeug an der Gabel so ziemlich jedes normalen Velos anbringen kannst. Zugegeben: Das Ding hat den optischen Charme einer Parkkralle. Aber es wiegt nur drei Kilogramm, leistet 450 Watt, soll dich gut 20 Kilometer weit bringen und in 40 Minuten wieder geladen sein. Ein flexibles und minimalistisches Konzept, das Pendler in Ballungszentren glücklich machen soll. Vorerst nur bei schönem Wetter, denn Regen vermindert die Reibung und damit kommt Clip wohl noch nicht klar. Während andere Systeme den Anpressdruck elektromechanisch regulieren und allwettertauglich sein sollen, verweist Clip auf die nächste Generation.

Das Bike ist egal, dafür gehört der Antrieb dir.
Das Bike ist egal, dafür gehört der Antrieb dir.

Das System, das bereits in Frankreich getestet und vorerst für 400 Dollar nur in den USA vertrieben wird, wirft vor allem eine Frage auf: Warum nur haben sich die Entwickler fürs Vorderrad entschieden? Der Grund für die Konstruktion ist, dass sie an möglichst vielen Velos passen soll. Schutzbleche, Gepäckträger oder Hinterradverkleidungen bei Leih-Bikes wären im Weg. Das unterscheidet Clip von Konkurrenten wie Rubbee, der ein wenig an einen Handstaubsauger erinnert und am Hinterrad greift. Für ihn braucht es eine Halterung an der Sattelstütze, womit wir, was die Konstruktion angeht, wieder bei Schnepfs gut 120 Jahre alter Idee wären.

Rubbee lässt sich an mehreren Velos nutzen. John Schnepf gefällt das (vermutlich).
Rubbee lässt sich an mehreren Velos nutzen. John Schnepf gefällt das (vermutlich).

Sein Gewicht beträgt in der Basisvariante nur 2,8 Kilogramm und sitzt wenig störend dort, wo du nun keinen Platz mehr für einen Gepäckträger hast: Über dem Hinterrad. Dafür kann der kleine Rubbler mit zwei zusätzlichen Akkus gefüttert und die Reichweite so bis auf 48 Kilometer gesteigert werden. Ob vorne, hinten oder seitlich angebracht: Einfacher als mit dem Reibrollenantrieb lässt sich ein Bike kaum aufrüsten. Wie es aussieht, hat er nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch Zukunft.

Titelbild: Bildquelle: www.timmheese.de

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