
Hintergrund
Wir müssen schon wieder reden, Thermomix
von Luca Fontana
Wie wird man Bartenderin? Was macht eine:n gute:n Bartender:in aus? Und was hat Cocktails mixen mit Kochen zu tun? Davon erzählt Rebekka Salzmann von der Bar Angels' Share in Basel.
«Was ist eigentlich Aperol?» Mit dieser Frage endete eine mehrjährige Suche. Die Suche von Rebekka Salzmann nach ihrem weiteren Lebensweg. Die Antwort auf die Frage fand sie schnell, was danach folgte, dauert inzwischen gut fünf Jahre. Rebekkas Weg von der suchenden jungen Frau, die nicht wusste, was sie im Leben tun sollte, zu einer der besten Bartenderinnen der Schweiz.
Die Suche begann noch während ihrer Lehre zur Malerin in Thun, wo sie aufgewachsen war. Schon vor der Lehrabschlussprüfung war klar, dass sie aus gesundheitlichen Gründen wohl nie in diesem Beruf arbeiten würde. Was also tun, wenn du knapp 20 bist, eine Lehre abgeschlossen hast, aber trotzdem wieder vor dem beruflichen Nichts stehst?
Rebekka suchte. Sie besuchte die Handelsschule und stellte fest, dass sie nicht in einen Bürojob passte. Sie machte Praktika in der Reinigung, der Lingerie und der Hotellerie. «Ich habe mich halt so durchgeschlagen, machte vieles einfach, wegen des Geldes», sagt sie rückblickend. Wohin sie das führen sollte, wusste sie nicht.
Gezielter wurde ihre Suche, als sie ein Service-Praktikum in einem Personalrestaurant machte. Drei Jahre arbeitete sie anschliessend im Service. In dieser Zeit erwachte ihr Interesse für Spirituosen und Drinks. So schoss ihr schliesslich die alles verändernde Frage durch den Kopf: «Was ist eigentlich Aperol?»
Rebekka, wie bist du zum Cocktail-Mixen gekommen? Eine Lehre oder Berufsausbildung gibt’s dafür ja nicht.
Ich habe zuerst einfach für mich angefangen, habe mir zwei, drei Bücher gekauft und im Selbststudium zu lernen begonnen. Dann hatte ich zunächst einfach Glück. Es gab in Thun eine einzige Cocktailbar, die Atelier Classic Bar, und die hatten eine Stelle ausgeschrieben. Ivan Urech hat mir eine Chance gegeben – mit der ich selbst eigentlich gar nicht gerechnet hatte. Er hat gemerkt, dass ich zwar noch nichts konnte, aber sehr interessiert und lernbegierig war. Dann hat er mich rund zwei, zweieinhalb Jahre lang ausgebildet.
Er hat mich an Workshops geschickt, hat mir Themen für Vorträge gegeben und Prüfungen mit mir gemacht. Viel war aber auch einfach mein Selbststudium. Ich besitze inzwischen sicher 40 bis 50 Bücher zu Cocktails und Cocktail-Kultur.
Am Anfang war diese Frage nach dem Aperol. Daraus ist eine Faszination entstanden. Und dann? Eigeninitiative und «learning on the job»?
Ja, definitiv. Es war wirklich learning by doing. Die ersten drei Monate im Atelier habe ich einfach Service gemacht bis ich sicher war, dass ich alle Rezepte auswendig konnte. Ich habe nachmittags zu Hause mit Karteikärtchen gelernt. Durch den Service hatte ich aber auch im Alltag ständig mit den Cocktails zu tun und habe das Gelernte schon anwenden können.
Was macht denn die Faszination aus?
Da ist sicher einmal der Kontakt mit Menschen, sie mit dem, was ich tue, glücklich zu machen. Wenn ich nach einem beschissenen Tag jemandem am Abend einen Drink hinstelle und der mir ein Kompliment macht, gehts mir sofort besser. Und dann interessiert mich die ganze Welt der Spirituosen sehr. Das ist so ein weites Feld und man hat nie ausgelernt. Es entwickelt sich laufend weiter und immer wieder kommen neue Produkte raus.
Und jetzt bist du Bartenderin for life?
(lacht) Ja! Definitiv. Das ist genau das, was ich gesucht hatte.
Die Arbeit im Atelier war der eine Teil von Rebekkas neuem Weg. Die Teilnahme an zahlreichen Mixing-Wettbewerben der andere. Während das Atelier stark auf klassische Cocktails ausgerichtet ist, musste Rebekka für die Wettbewerbe eigene Drinks kreieren. Aus dieser kreativen Arbeit ist der Wunsch nach einer Veränderung entstanden. «Ich war glücklich im Atelier. Aber ich wollte mich weiterentwickeln», erinnert sie sich.
Nach rund zweieinhalb Jahren in der Thuner Bar begann sie sich nach neuen Möglichkeiten umzuschauen. Diese hat sie in Basel gefunden. Hier arbeitet sie seit gut zweieinhalb Jahren in der Bar Angels' Share. Das pure Gegenteil des Ateliers. Viel kleiner, intimer und mit monatlich wechselnder Karte von Eigenkreationen.
Rebekka Salzmann und das Angels' Share, das hat sofort geklickt. Im Herbst 2019 räumten beide bei den Mixology Bar Awards in Berlin gross ab: Rebekka wurde zur «Newcomerin des Jahres» und Angels' Share erhielt den Award «Bar des Jahres».
Du hast den Weg von Klassikern zu Eigenkreationen gemacht. Dann bevorzugst du letztere auch als Bartenderin?
Nein, das kann man so nicht sagen. Ich mag beides. Ich schätze es sehr, hier so viel ausprobieren zu können. Aber ich finde es auch wichtig, nicht zu vergessen, wo die Ursprünge der Cocktails liegen und die Classics regelmässig zu mixen. Die musst du auch immer beherrschen. Auch wenn es vorkommt, dass man bei einem Drink, der nur ein-, zweimal pro Jahr bestellt wird, rasch das Rezept anschauen muss. Ich finde, beides ist wichtig: Innovation und Tradition.
Wie geht ihr vor, wenn ihr eine neue Karte entwickelt?
Saisonalität ist sicher ein grosses Thema. Wir achten drauf, dass wir Produkte respektive Geschmäcker verwenden, die zur Jahreszeit passen. Ein Erdbeerdrink im Dezember wäre komisch. Es wäre möglich, aber ich fände das als Kundin auch eigenartig. Wir versuchen auch, möglichst regional einzukaufen. Klar, das geht nicht immer. Aber zum Beispiel haben wir Wodka aus einer kleinen Brennerei aus Basel. Da zahlen wir auch gern ein paar Franken mehr, dafür bekommt man das nicht überall.
Ich habe angefangen, mich mit Aromen und deren Kombinationen zu befassen. Ein Buch über Foodpairing ist aktuell mein Liebling. Da geht es schon stark Richtung Kulinarik und die Frage, welche Aromen gut zusammenpassen. Aktuell haben wir zum Beispiel einen Drink mit Steinpilz und Aprikose auf der Karte.
Den habe ich gesehen. Da fragt sich der Laie: Wie bringt man solche Geschmäcker in einen Drink?
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder legst du einen Geschmacksträger in eine Spirituose ein, bis diese den Geschmack angenommen hat, oder du machst einen Sirup daraus. Wir arbeiten viel mit hausgemachten Cordials, dies sind Sirupe, welche zusätzlich noch mit Säure versetzt werden. Das geht mit so ziemlich allem.
Du hast Foodpairing angesprochen. Kannst du mir da genauer erklären, was dir das bringt?
Für mich geht es darum, mich professionell weiterzuentwickeln. Beim Foodpairing geht es konkret darum, zu verstehen, welche Geschmacksrichtungen und Aromen zueinander passen. Bei manchen Sachen weiss man das aus Erfahrung. Etwa Äpfel und Birnen. Bei sehr vielen Kombinationen würde man aber nicht einfach so mal auf die Idee kommen, dass das zusammen passt. Die Steinpilz-Aprikosen-Kombination zum Beispiel. Auf die Idee wäre ich nie einfach so mal gekommen. Und solche Kombinationen gibt es zuhauf. Da denke ich manchmal beim Lesen schon: «Hm? Passt das wirklich?»
Wie bist du auf die Idee gekommen, dich bei der Kulinarik umzuschauen?
Das Aha-Erlebnis hatte ich in einem Restaurant, als wir ein Überraschungsmenü bestellt hatten und also nicht wussten, was wir essen würden. Da gab es eine Vorspeise mit Randen und Birnen. Beides für sich sind jetzt keine Favoriten von mir, aber die Kombination von beidem hat mich so krass geflasht. Das Erdige der Rande und die Süsse der Birne, das war eine sensationelle Kombination. Da habe ich gedacht, ich sollte als Bartenderin vielleicht mehr in die Küche schauen.
Entwickelst du einen Drink denn auch wie ein Gericht in der Küche, bei dem du verschiedene Komponenten nach und nach hinzufügst, bis es ein rundes Ganzes ergibt?
Das hat sicher Ähnlichkeiten. Wir gehen oft vom Sirup oder Cordial aus und gehen dann auf die Suche nach der Spirituose. Wodka oder Gin gehen fast immer. Aber Whisky oder Cognac haben zum Beispiel mehr, und vor allem sehr unterschiedlichen, Eigengeschmack und du musst genauer schauen, was dazu passt. Das ist ein Prozess, bei dem du einzelne Geschmacksbausteine zusammensetzt.
Wie lange geht es von der Idee bis zum servierfertigen Drink?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal hast du eine Idee, probierst aus und es funktioniert sofort. Bei anderen Drinks kann es Wochen oder sogar Monate dauern. Gerade für Wettbewerbe habe ich schon monatelang an einer Idee gearbeitet und einen Berg von Zetteln angesammelt mit Varianten, Ideen, Mischverhältnissen. Oft genug scheitern Ideen auch. Da hast du eine Idee für eine Kombination, die du einfach nicht auf die Reihe bekommst, egal wie lange du dran rumstudierst und ausprobierst. Manchmal hat aber einer meiner Kollegen eine Idee, wie man den Dreh finden könnte – dann geht es in eine ganz andere Richtung, als ich mir vorgestellt habe.
Wenn ich diesen Steinpilz-Aprikosen-Drink getrunken habe und den unbedingt zuhause nachmachen will, bekomme ich als Gast dein Rezept dafür?
Ja! Bei uns immer. Wir sind da sehr offen und haben keine Geheimnisse. Es gibt sicher auch Bars, die ihre Rezepte nicht so gern rausgeben. Aber bei uns kommt es wirklich oft vor, dass wir gefragt werden, wie wir unsere Drinks machen. Gerade, weil wir immer etwas speziellere Sachen auf der Karte haben. Allein den Steinpilzdrink habe ich letzte Woche sicher dreimal erklärt. Ich freue mich, wenn die Leute interessiert sind.
Die Awards für Rebekka und die Bar haben dem Angels' Share zu einiger Bekanntheit verholfen. Medien haben über sie berichtet und mehr und vor allem neue Kunden sind in der Bar aufgetaucht.
Das war im Herbst und Winter 2019. Dann kam 2020, Covid-19 und der Lockdown. Statt von Bekanntheit und Popularität zu profitieren, war die Bar von einem Tag auf den anderen zu. Die Zukunft ungewiss. Wann geht es weiter? Wie geht es weiter? Geht es überhaupt weiter?
So abgedroschen es klingen mag: Not macht erfinderisch. So auch bei den Bartendern des Angels' Share. Statt allabendlich aussergewöhnliche Cocktails für Gäste zu mixen, taten sie dies für einen Fotografen. Die Idee: ein eigenes Cocktail-Buch über die Bar und die Drinks, die in den letzten rund fünf Jahren monatlich neu entstanden sind (Das Buch ist noch nicht veröffentlicht und wird zunächst nur an Crowdfunding-Unterstützer verkauft, die Red.). Stundenlang haben sie am perfekten Foto eines Drinks gefeilt – was bei gegen 100 Drinks ziemlich aufwändig wird.
Ein anderes Corona-Projekt war die Zusammenarbeit mit dem Restaurant Klingeli in Basel. Wie in der eigenen Bar kreierte das Angels'-Share-Team monatlich eine neue Drinks-Karte mit fünf Cockails, passend zur Speisekarte des Restaurants. Besonders inspirierend für Rebekka war dabei die Zusammenarbeit mit den Köchen des Klingeli. «Wenn ich bei einem Rezept nicht weitergekommen bin, habe ich einfach einen der Köche gefragt, was zu meinen Vorstellungen passen könnte. Da habe immer sehr gute neue Ideen bekommen.»
Apropos Essen: Man unterscheidet bei Drinks oft die Kategorien vor und nach dem Essen. Warum? Kann ich meinen Lieblingsdrink nicht trinken, wann ich will?
Diese Gruppierungen gibt es zwar, aber du kannst jeden Drink zu jeder Tageszeit geniessen. Üblicherweise sind Pre-Dinner-Drinks die kräftiger und bitterer, wie ein Negroni. Das Bittere soll den Appetit anregen und den Magen öffnen. Klassische After-Dinner-Drinks sind kräftige Drinks wie ein Old Fashioned, die die Verdauung anregen sollen, aber auch Cocktails mit Rahm, die dann schon in Richtung Dessert-Ersatz gehen können. Solche Cream-Drinks würde ich jetzt nicht zum Apero empfehlen. Aber ein Negroni ist auch nach dem Essen schön.
Wie ist es, wenn ich gar nicht so genau weiss, was ich will? Kann ich bei dir einfach sagen «Ich will was mit Rum und es soll frisch sein» und dann improvisiert du etwas?
Das machen wir eigentlich fast am liebsten. (lacht) Okay, das ist vielleicht übertrieben. Aber es macht mir schon Spass, wenn jemand sagt, ich mag dieses oder jenes und hätte gern einen starken Drink oder einen süssen oder so.
Wie routiniert muss man dafür sein, um so spontan etwas aus dem Ärmel schütteln zu können?
Da brauchst du definitiv Erfahrung. Aber wenn du gewisse Basis-Varianten drin hast, kannst du da schon recht schnell mit Zutaten rumspielen und ausprobieren. Wenn du das Gerüst hast, kannst du anfangen, die Finessen zu variieren oder eben auf Kundenwünsche spontan einzugehen.
Gut, dann nenne ich dir einige Begriffe, die mit der Marke Galaxus zusammenhängen, wie würde dein Galaxus-Drink dann aussehen? Bunt, verspielt, unkonventionell, wertig.
Zu diesen Begriffen passt meine neuste Kreation wie die Faust aufs Auge: Speck – Mandarine. Wie oben gesagt, man kann fast jedes Aroma auch in einen Drink bringen, Speck gehört da auch dazu. Der Drink basiert auf Rye Whiskey, den wir mit Speck aromatisiert haben. Die Mandarine kommt dann in Form eines Sherbets in den Drink. Ein Sherbet ist eine Art eines Cordials. Die Schalen der Mandarinen werden zuerst in Zucker eingelegt, damit sich die ätherischen Öle lösen. Der daraus entstandene dickflüssige Sirup wird dann mit dem Saft der Früchte ausgelöst. So erhält man einen Sirup mit Säure.
Dazu kommt Zitronensaft und Ginger Ale. Der komplette Drink wird am Schluss mit Soyamilch filtriert. Diese Art Cocktails nennen sich «Milk Punch». Das ist einer der aufwändigsten Drinks, den wir momentan auf der Karte haben, dafür ist er aber auch alles andere als gewöhnlich. Die leicht rauchigen Aromen vom Speck zusammen mit den frischen und fruchtigen Aromen der Mandarine harmonieren perfekt zusammen – oder um es anders zu sagen: Diese Kombination ist bunt, verspielt, unkonventionell und wertig.
Übrigens: Wenn du den ganzen Artikel über auf die Auflösung der Eingangsfrage gewartet hast, hier ist sie: Aperol ist ein italienischer Bitterlikör. Er ist von leuchtend oranger Farbe und wird pur, als Spritz oder in Cocktails getrunken.
Weltenbummler, Wandersportler, Wok-Weltmeister (nicht im Eiskanal), Wortjongleur und Foto-Enthusiast.