Aquafit für Hunde: Zu Besuch in der tierischen Physiopraxis
Massagen und Faszien lösen: Auch Hunde gehen mittlerweile in die Physiotherapie. In der Gesundhund GmbH steigt Hündin Saida für uns ins Schwimmbecken und aufs Trampolin. Ihre Besitzerin Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler verrät, wo es die Hunde heutzutage schmerzt.
Erst sind die Pfotenballen feucht. Dann die Krallen, Knie und Oberschenkel. Langsam steigt das 23 Grad warme Wasser an den Beinen von Labradorhündin Saida nach oben. Bis es sie im Aquafit-Becken am Bauch kitzelt. «Pft», schnaubt Saida und schüttelt den Kopf. Besitzerin Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler schraubt zur Motivation eine Packung Fleischpaste auf. Futter-«Doping» ist hier erlaubt.
Während Saida schlabbert, drückt Reinmuth-Hürzeler unbemerkt den Startknopf. Unter den Pfoten der Hündin beginnt sich das Laufband zu drehen. Das Supergirl, wie auf ihrem pinken Halsband steht, hebt ab. Vom Wasser getragen, bewegt sie sich schonend vorwärts. Ihre Gelenke sind entlastet, die Muskeln arbeiten gegen den Wasserwiderstand. Mit ihrer hin- und her schwingenden Rute hält sie die Balance.
Aquafit auch für kranke und Problemhunde
Bei Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler strampeln alle möglichen Hunde im Wasser. Mit älteren und kranken baut sie in ihrer Gesundhund GmbH Muskeln auf, mit jungen verbessert sie die Trittsicherheit. Ausgewachsene Hunde powert sie aus, wenn mal die Zeit für einen Spaziergang fehlt. Und sogar paralysierte Tiere kann sie in einer Trage ins Wasser herunterlassen. Das Aquafit-Becken steht im Dauereinsatz. Fast täglich kommen Hunde mit Rückenproblemen bis Lähmungserscheinungen. Auch solche, die aufgrund ihres Körperbaus nicht dafür prädestiniert sind.
«Was genau die Gründe sind, kann ich nicht sagen. Natürlich belastet Übergewicht die Gelenke stark, aber an zu wenig Bewegung allein kann es nicht liegen. Ich denke, dass Herrchen und Frauchen heutzutage einfach genauer hinschauen. Und sie sind bereit, mehr Geld in ihre Lieblinge zu investieren.»
Saidas Training ist vorüber. Gurgelnd läuft das Wasser wieder ab. Die Hündin hilft mit, indem sie vom gefilterten Wasser schlürft. Als sie auf dem Trockenen steht, öffnet ihr Frauchen die Klappe und zieht die Rampe heraus. Hunde können so selbständig aus dem Becken steigen – und hinein.
Auf diese Weise kann Reinmuth-Hürzeler auch mit Tieren arbeiten, die körperliche Nähe nicht mögen. Zum Beispiel, weil sie an Angststörungen leiden oder Maulkörbe tragen müssen. Viele andere Praxen weisen solche Hunde ab. «Das finde ich falsch. Meine Meinung ist: Jeder Hund hat eine Therapie verdient. Und die ist auch machbar. Zum Beispiel, indem ich Herrchen oder Frauchen instruiere und sie statt mir am Beckenrand stehen.»
Aus Therapiehündin wird Patientin
Saida ist mittlerweile aus dem Becken gestiegen. Entspannt lässt sich die siebenjährige Labradorhündin den Bauch trocken rubbeln. Kaum zu glauben: Als Junghund war auch sie aggressiv und litt an unzähligen körperlichen Beschwerden. Zeitweise konnte sie kaum gehen. Dabei wollte sie Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler ursprünglich als Therapiehund einsetzen. Mit ihr wollte die gelernte Pflegefachfrau HF eine neue Stelle als Heimleiterin eines Alterszentrums antreten. Daraus wurde nichts. Letztlich musste die Therapiehündin selbst in die Therapie. Und das mit keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
«Wir waren in so manchen Physiotherapie-Praxen. Vielerorts wurde unsorgfältig gearbeitet. Es gab auch falsche Diagnosen», erinnert sich Reinmuth-Hürzeler. So entschied sie sich 2021, selbst Hundephysiotherapeutin zu werden. «Als ich hörte, dass die Ausbildung je nach Schule nur ein Jahr geht, war mir klar, weshalb es an Expertise fehlt. Ich war froh, dass ich als Pflegefachfrau bereits anatomisches Grundwissen hatte.»
Trotzdem würde sie sich auch nach zwei Jahren mit eigener Praxis nie anmassen, selbst eine Diagnose zu stellen. Bei jedem Hund spricht sie sich mit dem jeweiligen Tierarzt oder der jeweiligen Tierärztin ab. Auch Futterempfehlungen gibt sie keine. «Dafür sind andere Fachleute da», sagt Reinmuth-Hürzeler.
Magnetfeld: Frauchen skeptisch, Hund begeistert
Der Fachbereich der Hunde-Physiotherapie ist gross genug. Nebst Aquatraining bietet Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler Massagen, Lymphdrainage und Magnetfeldtherapie an. Als wäre das ihr Stichwort gewesen, lässt sich Saida auf die Matte plumpsen. Die darin liegende Magnetspule erzeugt ein elektromagnetisches Feld. Es soll den Zellstoffwechsel ankurbeln. Reinmuth-Hürzeler schaut leicht kritisch. «Ich komme aus der Humanmedizin und habe Schwierigkeiten damit. Aber bei den Hunden wirkt es tatsächlich. Wenn Saida Schmerzen hat, liegt sie ganz von alleine drauf.»
Hinter der Labradorhündin an der Wand steht ein kleines Trampolin. Auch dieses nutzt Reinmuth-Hürzeler in der Physiotherapie. «Chum, Meitli», ruft sie der Hündin aufmunternd zu. Diese hat jedoch keine Lust, sich von ihrer weichen Matte zu lösen. «Ernsthaft, aufs Trampolin?!», scheinen ihre Augen zu sagen. Also muss nochmals Bestechung her. Mit dem Herausziehen der Fleischpaste schnellt Saida hoch und steigt aufs Trampolin. Während sie schmatzt, drückt ihre Besitzerin die Sprungfläche hinter ihr nach unten. Sofort gleicht Saida die Bewegung aus, indem sie Muskelpartien an- und entspannt. So baut sich die Tiefenmuskulatur auf. «Eigentlich ist es Pilates für den Hund», sagt Reinmuth-Hürzeler.
Verspannung kann «ansteckend» sein
Genug Pilates, findet Saida schnaubend. Erschöpft lässt sie sich vor die Füsse ihres Frauchens fallen. Physiotherapie ist anstrengend. Aber nicht nur für den Hund. «Vor allem Halterinnen und Halter von einem kranken Hund erleben durch zahlreiche Arzt- und Therapietermine eine grosse Belastung», sagt Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler. Manchmal würden sich Verspannungen sogar vom Mensch aufs Tier übertragen, sagt sie. Deshalb hat sie ein Spezialangebot in ihrer Praxis: Die gelernte Masseurin knetet auch Frauchen und Herrchen durch.
«Das hätte ich auch nötig gehabt, als es Saida so schlecht ging», sagt Binia-Maria Reinmuth-Hürzeler. Die schwierigen Anfangsjahre nimmt sie der Hündin aber nicht übel. Im Gegenteil. Als sie den Blick durch den Raum schweifen lässt, bleiben ihre Augen am Praxis-Logo hängen: Es zeigt Saidas Kopf. Reinmuth-Hürzeler setzt sich zur Hündin auf den Boden und flüstert ihr zu: «Danke. Ohne dich gäbe es das alles hier nicht.» Saida japst. Das war wohl ein «Gern geschehen.»
Warst du mit deinem Hund schon einmal in der Physiotherapie oder könntest du dir vorstellen zu gehen? Erzähle mir und der Community davon in einem Kommentar.
Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.