Hintergrund

UV-Fühligkeit und Sprühkleider: Wie innovativ muss Mode heute sein?

Laura Scholz
15.3.2023

Aufzufallen und im Gespräch zu bleiben ist für Brands 2023 nicht mehr ganz einfach. Mit der Verschmelzung von Mode und Technologie sorgen sie deshalb immer wieder für Wow-Momente. Ich habe Innovationsforscherin Lela Scherrer gefragt, ob diese nachhaltig sind und unser Verständnis von Design verändern.

Etwa in der sechsten oder siebten Klasse bekam eine Freundin von mir einen Badeanzug geschenkt, dessen Stoff UVB-Strahlen durchlassen sollte. Heisst: braune Haut, keine Tan Lines. Ich war mind blown (und ein bisschen neidisch), habe aber nie nachverfolgt, ob der Einteiler sein Versprechen wirklich gehalten hat. Und entgegen meiner Erwartung hat diese damals unglaubliche Innovation auch nie wieder eine Rolle in meinem Leben gespielt.

Rund 20 Jahre, virtuelle Anproberäume und die erste Metaverse Fashion Week später, wirkt der Badeanzug meiner Freundin wie ein herziges Schulexperiment. Ich kann nun ganz gemütlich von zu Hause in Echtzeit an allen Fashion Weeks teilnehmen und werde dabei Zeugin, wie zum Beispiel bei Coperni Kleider nicht mehr geschneidert, sondern gesprüht werden. Oder wie der japanische Brand Anrealage Designs auf den Laufsteg schickt, die erst unter Einstrahlung von UV-Licht ihre Farben und Prints preisgeben.

Plötzlich hat Mode was mit erweiterter Realität, künstlicher Intelligenz und Blockchains zu tun. Liegt das schlicht daran, dass all diese Dinge heute machbar sind oder sind sie die Konsequenz unserer stetigen Übersättigung und dem Buhlen um Aufmerksamkeit?

«Medienwirksame Gadgets, über die dann drei Tage lang berichtet wird, gibt es schon lange. Viel spannender finde ich die Innovationen, die die Branche wirklich weiterbringen», reflektiert Designerin und Innovationsforscherin Lela Scherrer diese Entwicklungen. Vor meinem inneren Auge kreisen sofort Stichworte wie Leder aus dem Labor, 3D-gedruckte Kleidungsstücke und alternative, recyclebare Textilien. Die Schweizerin mit eigenem Studio in Basel verrät mir, inwieweit diese Innovationen den Designprozess verändern: «In den meisten Fällen wirst du zuerst auf die Technologie aufmerksam und überlegst, was du daraus machen könntest. Du nimmst Kontakt zu entsprechenden Fachpersonen auf und tüftelst gemeinsam an Möglichkeiten. Das ist selten innerhalb einer Saison von der Idee auf den Catwalk zu bringen, denn es beansprucht viel Zeit und Geld. Andersrum kannst du natürlich auch mit einer völlig verrückten Idee beginnen und fragst dich erst im zweiten Schritt ‹how do I get there?›».

Zeit und Geld. Da drängt sich mir die Frage auf, ob diese ertüftelten Ideen dann überhaupt was für dich und mich sind. Sprich für die Durchschnittskonsumentinnen und -konsumenten. Zu dieser Frage hat Lela Scherrer eine klare Meinung: «Das Design Development findet ja eher in den oberen 7 Prozent der Pyramide statt. Also bei denen, die tatsächlich noch selber entwerfen statt nur zu kopieren. Aber deren Ideen tröpfeln entlang der Pyramide weiter runter, das passiert meistens recht zackig. Natürlich in anderer Qualität und vielleicht nur abgewandelt als Print, Stil oder Ästhetik. Aber das Atmosphärische, das ist dann für alle.» Also für den Mainstream.

Ich weiss nicht, ob ich nun ernüchtert und entzaubert sein soll, oder ob es einfach an der Zeit ist, die rosarote Brille von der Nase zu schieben. Wahrscheinlich lasse ich mich von besagten Special Effect Gadgets zu schnell blenden. Auf Instagram und Co. wirkt eben immer alles so greifbar. Fast so wie der magische Badeanzug damals. Aber bis mir in Wirklichkeit mal jemand ein einmaliges Dress auf den Leib sprüht, ist es vermutlich noch eine Unendlichkeit Weile hin.

Halb so wild eigentlich. Ganz nachhaltig ist ein Textil aus der Spraydose schliesslich eh nicht. Und welche Vorteile mir ein virtuelles Kleidungsstück von Balenciaga oder Dolce & Gabbana im realen Leben bringt, habe ich bis heute nicht ganz durchschaut. Das ist kein Boomer Talk, im Gegenteil. Mit grossen, leuchtenden Augen und fliegenden Like-Herzen werde ich jede Innovation und Technologie weiter verfolgen – und gespannt sein, in welcher Form sie bis zu meinem Ende der Pyramide hinunter tröpfelt. Wissend, dass sie für Menschen wie Lela Scherrer natürlich von viel grösserer Bedeutung sind. Darum muss ich abschliessend noch die Frage loswerden, wo sie die Zukunft des Modedesigns sieht und ob man diesen Beruf überhaupt noch losgelöst von anderen Branchen betrachten kann. «Das ist natürlich die Schlüsselfrage. Vor allem an den Hochschulen und Universitäten: Was lehrt man heute überhaupt? In meinem Arbeitsalltag kann ich die verschiedenen Ansätze ehrlich gesagt kaum noch trennen. Zumindest im hoch segmentierten Bereich wird die Zukunft ein Zusammenspiel sein. It’s a marriage. Da bin ich mir sicher.»

Titelfoto: Instagram @elletaiwan

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