Hintergrund

Die erste Fashion Week im Metaverse ist eine uninspirierte Pixel-Einöde

Die Grafik glitcht, der Browser crasht und ich frage mich, was zur Hölle ich eigentlich in dieser verpixelten 3D-Welt im 1990er-Jahre-Look zu suchen habe. Mit Mode hat der Event im Decentraland meiner Meinung nach wenig zu tun.

Ich stehe in der ersten Reihe der Runway-Show von Dolce & Gabbana. Die fluoreszierenden Flügel meines Nachbarn flattern mir um die Ohren, andere Front-Row-Gspänli haben knallpinke Röhrenfernseher statt Köpfe und tragen Kleider, die aussehen wie dahingeschmolzene Regenbogen.

Es ist der 24. März und ich bin zu Besuch am Eröffnungs-Catwalk der ersten Fashion Week im Metaverse. Während vier Tagen sollen hier frei zugänglich für die ganze Welt Modeschauen, Panel-Talks und Shop-Eröffnungen stattfinden. Mit dabei sind unter anderem grosse Namen wie Tommy Hilfiger und Paco Rabanne, die Fast-Fashion-Brands Mango und Forever 21 sowie Auroboros und The Fabricant, Pioniere des rein digitalen Textilhandwerks.

Im Decentraland herrscht Einheitsgrösse

Hier herrschen übrigens Brandy-Melville-artige Zustände. Es gilt: One size fits all – solange du der Konfektionsgrösse XS oder S entsprichst. An der Körperform deines Avatars kannst du nichts ändern, dementsprechend gibt es im Decentraland nur dünne Figuren. Soviel zur Grenzenlosigkeit und Inklusivität des Metaverse.

Es glitcht und crasht

Meinen Avatar beame ich als erstes zu einer Ausstellung von Designer Paco Rabanne und Künstler Victor Vasarely. Dort navigiere ich mich mit mangelnder virtueller Koordination durch ein verwinkeltes Museum-Setting. Die Grafik glitcht, der Browser crasht und die Sichtfeld-Steuerung via Touchpad ist so mühselig, dass ich mir sehnlichst wünsche, mich ohne Meta-Tamtam durch eine Instagram-Bildstrecke mit anständiger Auflösung klicken zu können.

Ich suche eine halbe Stunde nach besagtem Lift und brauche weitere 15 Minuten um zu verstehen, wie dieser bedient wird. Andere vermeintliche Decentraland-Neulinge steigen in der Zwischenzeit ein und wieder aus, ohne das Erdgeschoss je verlassen zu haben. Endlich in der obersten Etage angekommen, offenbart sich mir, dass meine Anstrengungen vergebens waren und der Talk zur Verwirrung aller Anwesenden gar nie angefangen hat.

Dolce & Gabbana liefert den Anti-Climax

Krypto-FOMO und die grosse Marketing-Lüge

Dass der zeitgeistige Luxus-Brand Gucci 2021 in der Online-Gaming-Plattform Roblox seine Dionysus Bag für rund 4000 Franken (mehr als die Tasche im echten Leben kostet) verkaufen konnte und das NFT-Sneaker-Studio RTFKT mit einem Release in sieben Minuten knapp drei Millionen Franken Umsatz erzielt hat, löst in der Branche wohl Fear of Missing out (FOMO) aus. Also die Angst, etwas zu verpassen – in diesem Falle den ultimativen Krypto-Goldrausch.

Traditionelle Modehäuser, blamiert euch nicht

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Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.


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