Hintergrund

T Ä T O W I E R T oder wie Ganesha auf meinen Arm kam

Ich musste mir Mut antrinken. Damals. Im November 1991. Denn wir liessen uns tätowieren, mein Kumpel Alex und ich. Wir waren jung, ein bisschen naiv und eben auch leicht angetrunken, als wir an einem nebligen Novemberabend im Tattoo-Studio sassen.

Auf Platz eins der Schweizer Jahrescharts 1991: «Wind Of Change» von den Scorpions. Sie liefen im Radio mit Roxette und Bryan Adams in Endlosschleife um die Wette. Und ich sass mit vollen Hosen in einem düsteren Keller. Eine Stunde und viel Angstschweiss später war ich tätowiert. Das Motiv: eine Rose.

So cheesy, eine Rose, denkst du jetzt bestimmt. Naja, damals war noch nicht alle Welt tätowiert. Ein Tattoo war immer noch die Ausnahme und ein bisschen anrüchig, Tribals und Tramp Stamps nicht bereits wieder out. Und ausserdem wurden den ganzen Tag die Scorpions, Roxette und Bryan Adams im Radio rauf und runter gespielt. Alles in allem war die Zeit ziemlich cheesy. Damals.

1991 – 2018

Heute, 27 Jahre später, geht cheesy gar nicht mehr. Schon klar. Ich brauche ein neues Tattoo. Und so sitze ich an diesem düsteren Novembermorgen sehr nüchtern in einem Tattoo-Studio und lasse mir von Liné Hammett ein neues Motiv über mein Blümchen stechen. Im Radio läuft während der gesamten Session ausschliesslich Metal. Unter anderem auch von Living Colour. Das freut mich, denn ich mag die Musik von Living Colour. Ihr 1990er-Album «Time’s Up» ist etwas vom Besten in Sachen Alternative-Metal. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt geht es um Ganesha.

Muss weg.
Muss weg.
Muss her.
Muss her.
Nach einer Stunde.
Nach einer Stunde.
Nach zwei Stunden.
Nach zwei Stunden.

Warum Ganesha?

Es gibt verschiedene Legenden zum Ursprung Ganeshas. Eine davon besagt, dass er der Sohn Shivas und Parvatis sei. Ganesha schenkt Erfolg bei der Arbeit. Er wird als gütiger, humorvoller, kluger, verspielter und schelmischer hinduistischer Gott beschrieben, der oftmals Streiche spielt. Er ist einer der wichtigsten, populärsten und zugänglichsten Götter Indiens überhaupt, der fast an jedem Strassenschrein verehrt wird. In vielen Darstellungen begleitet ihn sein Reittier, eine Maus oder eine Ratte. Und ich mag einfach, wie mich Ganesha anschaut.

Ink and more

Die Erinnerungen an meine erste Tattoo-Session sind verschwommen. Heute ist es anders. Ich will diese Erfahrung in mich aufsaugen. Den Schmerz, den Duft der Räucherstäbchen und die Gespräche mit Liné. Wir reden über ihre Arbeit als Tattoo-Artist, über das Reisen und über die Musik. Ihr Freund ist Bassist und Sänger einer Metal-Band, die unter anderem in den USA ziemlich erfolgreich ist. Und wir quatschen über Sport. Liné kommt aus Norwegen. Sie ist am Holmenkollen gross geworden.

Langlauf ist Nationalsport in Norwegen und Liné weiss Bescheid. Ihre Augen funkeln, als sie über die Rivalität in der Loipe zwischen Norwegen und Schweden spricht. Ihre Mutter wohnt noch heute am legendären Hausberg von Oslo. Die norwegische Langlauf-Ikone Marit Bjørgen ist ihre Nachbarin. Dann schweigen wir wieder. Liné tätowiert, ich fokussiere mich auf den Schmerz, im Hintergrund geben die Jungs von Destruction alles.

Der Schmerz

Ist das Tätowieren eigentlich schmerzhaft? Diese Frage lässt sich nicht per se beantworten. Ich denke, jeder Mensch hat sein eigenes Schmerzempfinden. Ausserdem sind nicht alle Stellen am Körper gleichermassen sensibel, die Schulter und der Oberarm vergleichsweise unempfindlich. Und doch habe ich nach knapp fünf Stunden genug. Es ist seltsam. Die einzelnen Nadelstiche schmerzen nicht sehr und wenn, dann nur kurz. Und doch scheint sich der Schmerz über die Stunden aufzubauen und im Körper zu verbleiben. Es ist wie ein Steigerungslauf. Ich kann es nicht besser beschreiben. Und schliesslich sagt Liné: «That's it, we're done!»

Das Letzte, was mal von mir übrig sein wird.
Das Letzte, was mal von mir übrig sein wird.

Irgendwo habe ich kürzlich gelesen, dass die Tinte eine konservierende Wirkung hat. Wenn das stimmt, wird Ganesha das Letzte sein, was von mir übrig bleibt, wenn ich zwei Meter tief unter der Erde liege. Ich finde, das hat einen gewissen Charme. Thanks Liné!

Get inked und folge hier meinem Autorenprofil.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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