
Hintergrund
Juhuii, wir sind schwanger oder Hilfe unsere Welt steht Kopf?
von Norina Wartmann
Ich, Norina Wartmann, bin Hebamme und erzähle euch die Geschichte von Fabienne und Peter. Sie erwarten bald ihr erstes Kind. Letztes Mal habe ich das Paar kennengelernt. Diesmal geht es vor allem um Geburtsvorbereitungskurse, den Zuckertest und vorzeitige Wehen. Und was zum Teufel ist ein Makronomes Kind?
In meinem ersten Bericht «Juhuii, wir sind schwanger oder Hilfe unsere Welt steht Kopf?» habe ich euch mit Fabienne und Peter bekannt gemacht. Sie erwarten mittlerweile in ca. 2 Monaten ihr erstes Kind. Das Paar hat sich für eine Geburt im Spital entschieden. Ich bin ihre Beleghebamme und begleite sie bei diesem tollen Abenteuer bereits seit Schwangerschaftsbeginn. Wie die Geschichte begonnen hat, erfahrt ihr hier:
Es sind inzwischen vier Wochen vergangen seit ich Fabienne und Peter das letzte Mal besucht habe. Seit unserem letzten Treffen haben die beiden einen Geburtsvorbereitungskurs für werdende Eltern besucht.
«Einfach super. Weisst du Norina, ich habe mit allem gerechnet, auch damit, dass ich hechelnd auf einer Matte sitze und irgendwelche komischen Verrenkungen machen muss. Doch weit gefehlt. Die Hebamme hat vor allem sehr genau erklärt in welcher Phase der Geburt was passiert und wie ich Fabienne dabei unterstützen kann. Auch der Austausch mit den anderen Männern war hilfreich. Ich habe das sehr geschätzt. Dauert eine Geburt wirklich so lange?», fragt mich Peter.
«Jede Geburt ist einzigartig, keine verläuft gleich Peter, aber normalerweise brauchen gerade die ersten Kinder ihre Zeit, das kann auch mal 24 Stunden dauern. Bei einer Geburt geht die Zeit aber grundsätzlich unglaublich schnell vorbei, ich bin selbst immer wieder erstaunt, wie schnell die Stunden verfliegen. Mach dir somit keine Sorgen! Für die Entspannung zwischendurch sorgen die Wehenpausen. Denn diese Pausen kommen bis zum Schluss immer wieder vor. Die Mutter, das Kind, der Mann sowie die Hebamme können sich in dieser Phase etwas erholen und neue Energie für die nächste Wehe sammeln. Legt bei der Geburt den Fokus auf diese Pausen», entgegnete ich ihm.
Fabienne fügt lächelnd hinzu: «Für mich war es sehr hilfreich, einfach mal zu hören was bei einer Geburt abläuft und welche Möglichkeiten es gibt, mit den Wehen umzugehen. Die Hypnose höre ich mir nun regelmässig an und habe das Gefühl, dass sie mir gut tut. Ich habe Respekt vor der Geburt, aber ich freue mich sehr darauf.»
Es gibt etliche Angebote für Geburtsvorbereitungskurse. In der Regel wird ein Kurs zwischen der 28. und 32. Schwangerschaftswoche besucht. Spitäler, Hebammen oder die Migros Klubschule sind nur drei Anbieter unter vielen, die spezialisierte Schwangerschaftskurse durchführen. Ob man als Frau alleine oder mit Begleitung am Kurs teilnimmt, ist jedem selbst überlassen. Auch ob man einen Abendkurs oder einen Wochenendkurs macht, kann jeder selber entscheiden. Aber Hecheln und Verrenkungen sind heute kaum mehr so anzutreffen, wie es früher üblich war. Dafür ist Hypnose zur Tiefenentspannung heutzutage immer wieder ein Thema. Hier lohnt es sich auch schon früher damit zu beginnen.
Egal, welchen Kurs du schlussendlich besuchst. Eine Geburt ist etwas ganz Natürliches. Mutter und Kind sind dafür bestens ausgerüstet und die Natur hat vorgesorgt. Der Körper weiss intuitiv Bescheid, was er zu tun hat, aber es ist sicherlich von Vorteil, wenn du als Mutter weisst, was bei einer Geburt mit deinem Körper geschieht. Welche Phasen der Geburt du durchläufst und welche Möglichkeiten es gibt mit den Wehen /Schmerzen umzugehen. Gute Kurse zeigen dir auf, wie du dich auf die Geburt und die Zeit danach vorbereiten kannst. Und nach jedem Kurs sollte dir bewusst sein, dass keine Geburt gleich verläuft. Springende Fruchtblasen und schreiende Taxifahrten aus den Hollywood-Filmen sind zwar lustig, haben aber mit der Realität wenig zu tun.
Einen Tag vor unserem eigentlichen Termin für die nächste Schwangerschaftskontrolle, ruft Fabienne bei mir an. Sie ist verunsichert.
«Hallo Norina, hast du kurz Zeit?»
«Natürlich, was kann ich für dich tun?»
«Seit ein paar Tagen habe ich einen Druck nach unten und so ein Stechen in der Scheide. Ist das normal?»
«Wird dein Bauch häufiger hart?»
«Ja, ständig.»
«Klingt nach vorzeitigen Wehen. Am besten gehst du zur Kontrolle ins Spital, damit wir schauen können, ob der harte Bauch und das Stechen etwas am Muttermund bewirkt oder nicht. Falls der Gebärmutterhals stabil ist und sich nicht verkürzt hat, bist du beruhigt. Falls er sich verkürzt hat, wissen wir, dass du es etwas ruhiger nehmen musst und du dich am besten krankschreiben lässt.»
Du als Frau kennst deinen Körper am besten. Du weisst, wenn etwas weh tut, wenn etwas nicht normal ist, wenn du dich nicht mehr wohl fühlst. Nimm dir Zeit für dich und dein Kind. Höre auf deine innere Stimme und wenn du dir unsicher bist, rufst du besser einmal mehr bei deiner Hebamme oder deinem Arzt an und lässt dich notfalls kontrollieren.
Mittlerweile ist Fabienne in der 33. Schwangerschaftswoche. Falls das Baby jetzt zur Welt kommen würde, müsste es sehr wahrscheinlich noch bei der Atmung, der Regulierung seines Wärmehaushaltes und der Nahrungsaufnahme unterstützt werden. Mit dem Erreichen der 35. Schwangerschaftswoche kann davon ausgegangen werden, dass die Lungen ausgereift sind. Je näher der Geburtstermin kommt, desto aktiver wird die Gebärmuttermuskulatur und sie bereitet sich auf die Geburtsarbeit vor. Ab der 36. Schwangerschaftswoche ist dies unbedenklich. Falls eine Frau aber davor öfters als 5–10 Mal pro Tag einen harten Bauch hat, einen Druck nach unten spürt, die Kontraktionen schmerzhaft oder regelmässig sind, sollte zur Sicherheit die Länge des Gebärmutterhalses gemessen werden, um vorzeitige Wehen ausschliessen zu können. Bei vorzeitigen Wehen hilft Ruhe, die Einnahme von Magnesium und Bryophyllum (pflanzliches Medikament unter anderem zur Wehenhemmung). Zusätzlich kann das Toko-Öl von Ingeborg Stadelmann oder ein Lavendelöl sanft auf den Bauch aufgetragen werden. Helfen diese Massnahmen nicht oder ist der Gebärmutterhals stark verkürzt, kann ein stärkeres wehenhemmendes Medikament oder eventuell ein stationärer Spitalaufenthalt vonnöten sein.
Fabienne meldet sich nach dem Untersuch bei mir und ist ziemlich erschüttert.
«Du hattest mit deiner Vermutung Recht. Der Gebärmutterhals ist verkürzt, ich bin nun krankgeschrieben und muss mich die nächsten 2–3 Wochen schonen. Morgen muss ich zum Spezialisten, da meine Ärztin einen unregelmässigen Herzschlag im Ultraschall gesehen hat.»
Ich versuche Fabienne etwas zu beruhigen, merke aber schnell, dass von der stabilen in sich ruhenden Schwangeren im Moment nicht mehr viel übrig ist. Was ja auch verständlich ist. Sobald es um unsere Kinder geht, sind wir viel schneller besorgt und verunsichert. Doch Fabienne hat nach dem Herzultraschall Entwarnung erhalten.
«Mit dem Herzen unseres Babys ist zum Glück alles gut. Aber es gibt ein neues Problem. Unser Baby ist gemäss dem Professor viel zu gross. Ein «Makrosomes Kind», welches so riesig ist, dass es nicht mal mehr in den Geburtskanal passt. Er hat uns geraten nochmals einen Zuckertest machen zu lassen, da er einen nicht erkannten Diabetes vermutet.»
«Ich glaube nicht, dass du Diabetes hast Fabienne. Und dein Kind passt bestimmt wunderbar zu dir, diese Ultraschallmessungen sind immer mit Vorsicht zu geniessen.»
Einen Tag später besuche ich Fabienne. Vor ihrer Haustür atme ich tief durch, im Wissen, dass von der entspannten, gesunden, schwangeren Frau, die ich vor ein paar Wochen kennen lernen durfte, nicht mehr viel übrig sein wird. Fabienne ist nervös und reicht mir den Bericht vom Professor, alles ist unauffällig, ausser das «Makrosome Kind» und die Empfehlung eines erneuten Zuckertests um Diabetes auszuschliessen.
«Ich war so zuversichtlich und es ging mir gut…. Und jetzt sehe ich immer dieses riesige, überdurchschnittlich grosse Kind in mir und frage mich, wie es da unten rauskommen soll! In meiner Vorstellung ist es wirklich riesig und es wird mit jedem Tag schwerer! Brauche ich einen Kaiserschnitt? Würde man merken, wenn es nicht durch passt, oder sprengt es mein Becken? Ich habe mich auf die Geburt gefreut und jetzt habe ich einfach nur diese Bilder von diesem viel zu grossen Kind im Kopf.»
Fabienne ist eine kleine und zierliche Frau. Ich möchte von ihr wissen, wie ihre Mutter geboren hat und wie schwer sie selber bei der Geburt war. Es stellte sich heraus, dass auch ihre Mutter eine kleine Frau war und sie als Baby trotz grösserem Gewicht wunderbar durch den Gebärkanal gepasst hat. Zudem kommt es auch darauf an, welchen Zeitpunkt sich das Baby für die Geburt auswählt. Denn alle Kinder die drei Wochen vor bis zwei Wochen nach dem Geburtstermin geboren werden, gelten als termingeborene Kinder. Nur gerade etwa 4% aller Kinder kommen genau am Tag des errechneten Termins zur Welt.
Ich taste Fabiennes Bauch ab und versichere ihr, dass ihr Kind wunderbar zu ihr und ihrem Körper passt und es einfach ein langes Kind, mit langen Beinen sei. Fabienne möchte unbedingt alle wehenhemmenden Mittel wie das Bryophyllum (pflanzlich) und das Magnesium absetzen. Ich zögere einen Moment, spüre aber, dass es wichtig ist, dass sie wieder in Bewegung kommt, um ihr Wohlbefinden und das Gesunde in ihr zu fördern. Sie möchte dem Baby jetzt die Freiheit überlassen, wann es die Reise aus dem warmen «Zuhause» angeht. Sie hofft einfach, dass es nicht mehr grösser wird.
Bei jeder Schwangeren wird zwischen der 24. und 28.Schwangerschaftswoche ein nüchterner Blutzuckerwert gemessen, um Schwangerschaftsdiabetes auszuschliessen oder behandeln zu können.
Ist der nüchterne Wert erhöht, wird eine Zuckerlösung getrunken und nach einer beziehungsweise zwei Stunden geschaut, wie der Körper den Zucker abbauen kann. Wird Diabetes diagnostiziert, wird zuerst versucht mit entsprechender Ernährung die Blutzuckerwerte zu stabilisieren. Gelingt dies nicht, muss zusätzlich Insulin gespritzt werden. Wird ein Diabetes nicht erkannt oder falsch behandelt, versucht das Kind der Mutter zu helfen den überschüssigen Zucker abzubauen. Die Folgen sind, dass das Kind gross wird und viel ausscheidet, was anschliessend zu viel Fruchtwasser führt. Nach der Geburt kann das Kind seinen Blutzuckerspiegel nicht halten, da sein Körper zu viel Insulin produziert. Es ist deshalb wichtig, allfällige Diabetes frühzeitig zu erkennen.
Fabienne hat zur Sicherheit nochmals den Blutzuckertest durchgeführt. Der Wert war so tief, dass Diabetes ausgeschlossen werden konnte. Die Ärztin des Spitals habe ich gebeten nochmals mit Fabienne zu sprechen und ihr zu versichern, dass ihr Kind zwar nicht klein sei, aber wunderbar zu ihr passen würde.
«Vor einer Woche bin ich gesund ins Spital und krank wieder raus. Heute bin ich krank rein und halb gesund wieder raus. Langsam finde ich zurück zu mir selbst und zu meinem Kind», sagt Fabienne. Sie hat die Krise überwunden, hört sich fleissig ihre Hypnose an und bereitet ihren Damm mit Massage und dem EPI-NO auf die Geburt vor. Sie trinkt Himbeerblättertee, welcher das Gewebe weicher macht und auflockert und isst Leinsamen, welche die Kinder im Volksmund «flutschen lassen». Bei der Kontrolle in der Schwangerschaftswoche 38 öffnet Fabienne mir freudestrahlend und mit roten Backen die Tür. Mein erster Gedanke ist, dass die Geburt wohl nicht mehr lange auf sich warten lässt. Denn die roten Backen, das weiche Gesicht und ihre vollen Lippen, sind Hinweise, dass es bald losgeht.
«Mir geht es wieder gut, dass Kind darf kommen wann es möchte. Es wird schon wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist!»
«Alles ist in bester Ordnung Fabienne und dein Kind ist fix ins Becken gerutscht und hat seine Startposition eingenommen. Habt ihr eure Taschen gepackt?»
«Ja klar Norina, ich habe schon vor 2 Wochen gepackt. Die warmen Grossmuttersocken, ein weites, bequemes T-Shirt von Peter, meine Lieblingsmusik, ein paar Kleider fürs Baby, Traubenzucker, Datteln und sonst ein paar Kleinigkeiten zur Stärkung. Peter hat es mit der 24-Stunden-Geburt sehr ernst genommen und jede Menge Essen und Trinken für sich eingepackt. Dann müssen wir uns wenigstens nicht mit einem hungrigen Mann herumschlagen.»
«Super, du bist wie immer gut organisiert. Hätte ich von dir auch nicht anders erwartet. Vergesst einfach nicht deine Blutgruppenkarte und die Dokumente fürs Zivilstandsamt.»
Ich verabschiede mich von Fabienne, mit dem Gefühl, dass dieses Baby wohl schon bald zur Welt kommen möchte. Gerade mal fünf Minuten später klingelt mein Telefon. Habe ich was vergessen? Nein, es war Fabienne – ihre Fruchtblase ist geplatzt. Die Geburt des Babys steht kurz bevor. Wie die Geschichte von Fabienne und Peter weitergeht und ob es wirklich ein Makrosomes Baby war, erzähle ich euch im nächsten Teil.
Hebamme seit 10 Jahren und dies mit absoluter Leidenschaft. Es liegt mir am Herzen, dass Frauen in Würde, selbstbestimmt, geschützt und in ihrem eigenen Rhythmus ihr Kind gebären dürfen. Einen Raum zu schaffen, indem Eltern ihre Kinder ungestört und liebevoll auf dieser Welt begrüssen dürfen, ist eines meiner grössten Anliegen. Dafür braucht es viel Flexibilität. Geburten sind nicht planbar und genauso wenig ist es mein Leben. Das Telefon klingelt und ich bin dann mal weg... für wie lange, weiss keiner so genau. Selbst Mutter von zwei wundervollen Kindern, verheiratet mit einem verständnisvollen Mann und umgeben von vielen liebevollen Menschen. Ohne dieses fantastische Umfeld und verlässliche Hilfe, wäre mein Leben ein anderes. <br><a href="http://hebammen-begleitung.ch/" target="_blank">www.hebammen-begleitung.ch</a>