

Jsotta: Wie die bekannte Marke ausstarb und jetzt den Weg zurück fand
In den 60er Jahren war Jsotta so bekannt wie Aromat oder Maggi. Jeder Haushalt kannte den Wermut aus Zürich. Heute ist nicht nur der Name Jsotta in Vergessenheit geraten, Wermut als Getränk ist unter diesem Namen kaum mehr bekannt.
Wir kennen in der Schweiz nämlich fast nur noch den bekanntesten aller Wermut: Martini. Ähnlich wie Tempo für Taschentücher oder Post-It für Klebezettel, hat sich der Name der italienischen Marke durchgesetzt. Früher aber war es Jsotta. Zu Spitzenzeiten in den 50er und 60er Jahren liefen die Maschinen bei der Lateltin AG in Zürich heiss: eine halbe Million Flaschen Jsotta wurden im Jahr abgefüllt. Werbung für das Aperogetränk hing überall. Obwohl das Getränk ausschliesslich in Zürich produziert wurde, war die Etikette auf Italienisch. Herr und Frau Schweizer demonstrierten so ihre Mondänität. Es ist Ironie des Schicksals, dass dieses Streben danach, als Cosmopolitan zu gelten, auch gleichzeitig zum Untergang der Marke Jsotta führte. In den 70er Jahren wollten Schweizerinnen und Schweizer ihren Gästen ausländische Getränke kredenzen. Wermut wurde immer weniger populär. Die Produktion brach ein. Als schliesslich 1999 das Gesetz änderte und ausländischer Alkohol gleich hoch besteuert wurde wie Alkohol in der Schweiz, bedeutete dies das Aus für den Jsotta… vorerst.

Think global, drink local
In den Hallen der Lateltin AG, heute nicht mehr in Zürich sondern in Winterthur, wird Jsotta wieder abgefüllt. Betriebsleiter Martin Strotz überwacht die Abfüllung. Mehrmals musste er den Termin mit mir und Tom, unserem Fotografen, verschieben. Jsotta ist nämlich nur eines von vielen Produkten, die in Winterthur abgefüllt werden. Und weil jetzt viele in den Ferien sind, müsse er halt flexibel sein, sagt Martin Strotz. Sorgfältig schickt ein Mitarbeiter die Glasflaschen aufs Förderband. Dort werden sie kurz mit Luftdruck gereinigt, dann kommt der Jsotta automatisch durch ein Abfülllrohr ins Glas und ein Korken obendrauf. Etiketten hinten und vorne werden vom Roboter befestigt und mit einer Art Stempel angedrückt. Und schliesslich braucht es eben doch Handarbeit. Das Qualitätssiegel liess sich nicht in die Maschine einspannen, es hat ein neues Format. Daher muss der kleine Aufkleber in Gold von Hand auf die Flasche. Jsotta hat nämlich bei der letzten Prämierung abgeräumt und das sollen die Kunden auch erfahren. Da darf es auch einmal aufwändige Handarbeit sein. Die Auszeichnung ist der Lohn für die harte Arbeit.

Erst vor zwei Jahren feierte die Marke Jsotta die Rückkehr. Als erster Wermut überhaupt wird er seither ausschliesslich mit Schweizer Wein und Schweizer Kräutern hergestellt, in einer «modernisierten» Rezeptur des alten Getränks, wie Avi Pluznik, Brand Manager und in der dritten Generation im Familienbetrieb, sagt. Genau zur richtigen Zeit, wie es scheint: Auch im Nachbarland Deutschland gibt es in jüngster Zeit immer mehr findige Produzenten, die den Gewürzwein herstellen.

Als Alkoholwerbung noch Werbung war
Unfreiwillig ändern musste Brand Manager Avi Pluznik die Werbestrategie. «Heute ist klar geregelt, wie man für Alkohol Werbung machen darf. Zu Zeiten meines Grossvaters konnte man viel mehr mit Emotionen spielen» sagt er und es tönt fast so, als wäre es früher besser gewesen. Aus heutiger Sicht wirken die Werbungen etwas gar überspitzt – wir sind uns das wohl nicht mehr gewöhnt: Da reitet ein Clown zum Beispiel auf einer Flasche Jsotta oder der feine Herr lässt sich nicht stressen und trinkt einen Schluck, statt sich über sein einstürzendes Haus zu ärgern. Heute sind solche Werbungen verboten und undenkbar. Werbung für den Endkonsumenten ist im Moment sowieso nicht geplant: Das Getränk wird primär an Profis verkauft. Die Schweizer Barszene liebt das Trendgetränk und erfindet immer wieder neue Drinks mit Jsotta. Wermut schmeckt zwar pur auf Eis oder mit etwas Tonic genauso gut, es eignet sich aber auch wunderbar als Mischgetränk, etwa im klassischen Negroni mit Gin, Campari und Orangenschale.


Auch wenn es aufwärts geht, an Produktionsrekorde der alten Zeiten wird Jsotta wohl nicht mehr herankommen. Toll ist aber, dass es wieder eine Schweizer Alternative zum klassischen Martini gibt. Die ist zwar etwas teurer als die Konkurrenz aus Italien, schmeckt aber meiner Meinung nach auch deutlich besser. In der Fabrik in Winterthur ist das Abfüllen nach nicht einmal zwei Stunden durch. Ein Palettroboter stapelt die fertigen Kartonkisten mit Jsotta und schont so die Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Paletten verlassen dann noch in der selben Woche das Lager und werden in der ganzen Schweiz an Bars oder Grosshändler verkauft. Und wer weiss? Vielleicht ist Jsotta ja bald wieder DER Überbegriff für Wermut und die italienische Konkurrenz Martini gerät in Vergessenheit...

Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.