Christian Walker
Hintergrund

Gut’ Bier will Weile haben!

Daniel Frey
1.2.2025
Bilder: Christian Walker

Als Zürcher kenne ich die Schützengarten-Biere primär von Events wie dem «blues’n’jazz»-Festival in Rapperswil oder der berühmten Olma-Messe. Besucht habe ich die Brauerei nie. Höchste Zeit für meine erste Bierbrauerei-Gruppenführung, im Herzen von St. Gallen, bei der ältesten Brauerei der Schweiz, ganze 246 Jahre jung.

Im Vorfeld der Führung schaute ich mir die Webseite von «unserem Schüga» genau an und staunte über die Breite des Angebots. Du bist morgens um drei Uhr völlig unterhopft und brauchst ein Bier? Hier ist der Kurier, der es dir bringen wird. Ein Fanclub mit 2000 Mitgliedern? Natürlich.

Du willst Biere mit deiner eigenen Etikette individualisieren und eventuell verschenken? Here you are! Du möchtest mitmachen, wenn wie anno dazumal Bier hergestellt wird? Erst gerade fand das jährliche Hopfenzupferfest statt.

Fassgelagerte Spezialbiere? Sicher, ja. Du stehst auf Cocktails und willst dich in Kreationen mit Bier versuchen? Hier sind die Rezepte! Nebenbei bemerkt: Genau das habe ich als Cocktail-Liebhaber gemacht. Das ist ein «Schüga Campari». Zutaten: ein Lagerbier, Campari, Ginger Beer und Zitronensaft.

Kurz gesagt: Ich empfand Schützengarten vor meinem Besuch ein wenig wie ein Schweizer Bier-Disneyland. Und so erging es mir zu Beginn der Führung auch wieder, als ich mich am Treffpunkt umsah, dem Flaschenmuseum. Eine eindrückliche Sammlung historischer Flaschen aus allen Landesteilen, aus verschiedenen Brauereien. Auch Raritäten mit Druckfehlern sind dabei.

Ferner setzt Schützengarten keine künstlichen Enzyme ein, und auch Zusatzstoffe werden nicht beigemischt, um beispielsweise auf die Schnelle aus hellen Bieren eine dunkle Produktreihe zu erschaffen.

Nachhaltigkeit als Maxime

Dank ihres Kohlensäure-Rückgewinnungsverfahrens musste Schüga kürzlich nicht darben, als das Gas am Markt knapp wurde. Wo immer möglich, verwendet die Brauerei lokale Ressourcen. Das Malz stammt aus dem grossen Kanton (Deutschland), da es in der Schweiz nur noch ein paar kleine Mälzereien gibt, die den Bedarf nicht decken können. Die eigene Mälzerei hatte Schützengarten 1985 abgebaut.

Ausserdem pushen die St. Galler den Handel mit Mehrwegflaschen, die bis zu 15 Jahre lang immer wieder gebraucht werden können. Der Anteil an allen Flaschen beträgt hier bereits 60 Prozent. Was beim Brauvorgang übrig bleibt, der Treber, wird unter anderem zu Viehfutter verarbeitet oder in der Bäckerei Lichtensteiger verwendet, um Bierbrot herzustellen. Der St. Galler Koch Rolf Caviezel produziert damit auch den sogenannten Klösti-Gin.

Auch energietechnisch ist Schützengarten autark. Die Brauerei produziert mit ihrem eigenen Wasserwerk an der Sitter und den Solarpanels so viel Strom, dass sie ungefähr die Hälfte davon als Überschuss ins öffentliche Netz einspeisen kann.

Brauerei als Stromproduzent

Das Wasserkraftwerk besteht seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Bier-Unternehmen übernahm anno dazumal die Kosten, um die Stadt St. Gallen zu beleuchten. Nicht ganz uneigennützig, da so mehr Personen den Weg für ein, zwei Biere auf sich genommen hatten …

Mit über 2500 Gastrobetrieben, 1000 Lebensmittelbetrieben und 3000 Events ist das Schüga praktisch omnipräsent. Auch in meinem Zürcher Umfeld sehe ich immer wieder Schüga-Werbung. Die Biere werden regelmässig prämiert, zum Beispiel konnten sie an den letztjährigen World Beer Awards gleich 16 Auszeichnungen entgegennehmen. Mein liebstes Schüga, das IPA, gewann Gold beim European Beer Star.

Schützengarten ist eine Familien-AG und die Eigentümerfamilie Kurer wohnt oberhalb der Brauerei. Apropos Wohnen: Ein weiterer Schüga-Geschäftszweig sind Immobilien. Es gibt eine Vielzahl von Liegenschaften, in denen im Erdgeschoss ein (Pacht-)Restaurantbetrieb betrieben wird, während oben Wohnungen zu bezahlbaren Preisen vermietet werden.

Bei der Betriebsführung machten unter anderem die Roboter Eindruck auf mich. Ihre Aufgabe: mit Kameras die Flaschen kontrollieren, ob sie beschädigt oder verunreinigt sind. Andere Roboter verschieben im Lager rasant Harassen. Ab und zu fallen auch einmal einige Harassen Bier herunter, dann rotieren statt Maschinen die Mitarbeitenden, um das Malheur zu beheben.

Das Beste zum Schluss

Nachdem die Führung beendet war, kam der Teil, auf den ich mich wie die 16 anderen Teilnehmenden sehr gefreut hatte: das Verkosten der Biere! Ich probierte das feine Gallus 612, das mit Wacholder gewürzt ist, sowie das Klosterbräu. Ein willkommener Durstlöscher!

Zu diesem geselligen Teil wurden Brezeln aufgetischt. Auf diese verzichtete ich allerdings, denn ich ging danach in das hauseigene Restaurant «netts» rüber, wo ich mir zum Znacht im Biergarten die hausgemachten Tagliolini an Trüffel-Rahmsauce gönnte. Es war mehr als nur nett! Montage sollten immer so sein …

Titelbild: Christian Walker

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Ich interessiere mich für den Geist aus den Flaschen oder zwischen zwei Buchdeckeln. Ich bin Cineast und obwohl die meisten Hunde gute Hunde sind, bin ich mehr der Katzenmensch. Wie sie habe ich meinen eigenen Kopf...


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