Hintergrund

«Irgendwann repariere ich das mal» (ganz bestimmt)

Unser Wasserkocher klemmt, die Kamera spinnt, mein Saugroboter ist ein Pflegefall. Nicht seit gestern, sondern seit Jahren. Trotzdem dürfen die Sachen bleiben – weit oben auf meiner Das-repariere-ich-später-Liste.

Eines muss ich ihm lassen: Unser Wasserkocher hält sein Produktversprechen. Er kocht Wasser, und das schon ziemlich lange. Die heisse Flüssigkeit ergiesst sich auch zuverlässig aus dem Schnabel in die bereitgestellte Tasse. Dennoch hat er einen kleinen Makel. Will ich ihn öffnen, geht das nur mit sanfter Gewalt. Er springt erst dann auf, wenn sich meine Finger in die Rille entlang des Deckels krallen und ihn mit Nachdruck dazu zwingen.

Das ist mühsam.

Nicht erst seit gestern, sondern schon so lange, dass der Widerborst bald sein zehnjähriges Klemm-Jubiläum feiern dürfte. Aber eben: Er kocht weiter Wasser. Was soll ich machen? Wegschmeissen? Ein Produkt, das seinen Zweck perfekt erfüllt? Es ist ja auch kein Kündigungsgrund, wenn ein Kollege im Büro die Klappe hält und einfach nur seinen Job macht. Nein, entsorgen würde sich falsch anfühlen. Wie eine Niederlage.

Natürlich wird er von mir repariert werden. Irgendwann.

Grins' nicht so blöd! Und putz dir die Zähne.
Grins' nicht so blöd! Und putz dir die Zähne.

Die Nische der reparablen Dinge

Bis es so weit ist, behält der Wasserkocher seinen Stammplatz auf meiner Das-repariere-ich-später-Liste. Ich benutze ihn selten genug, dass ich umständliches Gewurstel in Kauf nehme – um weiter in der Illusion leben zu können, dass er eines Tages wie neu sein wird. Dank meiner Tatkraft, meines Geschicks und des passenden Youtube-Tutorials.

Sobald ich dazu komme.

In schwachen Momenten klicke ich mich trotzdem durchs Wasserkocher-Sortiment und stelle mir vor, wie einfach das Problem zu lösen wäre. Interessiert studiere ich die neuesten Erkenntnisse der Berufsnörgler von K-Tipp, die bewerten, welcher Kocher schneller, besser, idiotensicherer ist. Der Testsieger heisst «Comfort Touch». Er kann Wasser kochen und den Deckel öffnen.

  • News & Trends

    Im Wasserkocher-Test vom «K-Tipp» geht’s etwas gar heiss her

    von Patrick Vogt

Ich stelle mir vor, wie er auf Knopfdruck sanft aufschwingt, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Und das für knapp 50 Franken. Trotzdem will ich die Finger nicht von meinem Modell «Pain In The Ass» lassen. Noch nicht.

Nicht, bevor ich ihn repariert oder beim Versuch endgültig zerstört habe. Vielleicht ja schon am nächsten Wochenende.

Hmm ...
Hmm ...

Mike and the Mechanics

Die Lage ist nicht hoffnungslos. Es ist ein mechanisches Problem. Ein gutes, altes, vielleicht sogar lösbares mechanisches Problem. Und diese Chance will ich mir nicht nehmen lassen. Ich liebe mechanische Probleme. Es sind die verheissungsvollsten auf meiner Das-repariere-ich-später-Liste. Hakelige Velo-Schaltungen, kaputte Uhren-Armbänder, verhunzte Bürostühle – hier seid ihr richtig. Bei euch kann ich was ausrichten.

  • Ratgeber

    Neuer Stoff, das Wundermittel gegen alte Flecken

    von Michael Restin

Leider verschanzt sich das mechanische Wasserkocher-Problem in einem Gerät mit Kabel, das beachtliche 2400 Watt Leistung zieht. Da springen bei mir die Alarmglocken schneller an, als ein Wasserkocher Wasser kochen kann. Es gibt auch kein Schräubchen am Griff, das mir signalisiert: Fang doch einfach mal hier an.

Also drücke ich immer wieder auf den Knopf, der einen Kunststoffstift nach vorne schiebt, der sich wiederum gegen die Deckelstelle schieben sollte, die ihn zum Aufspringen bringen würde, sofern er diese träfe. Ganz schön viel Konjunktiv.

Ich hoffe auf ein Wunder, das nicht geschieht. Und denke über eine Lösung nach, die mir nicht in den Sinn kommt. Dabei trennen nur ein, zwei Zentimeter den Knopf vom Problem, beziehungsweise der Lösung. Positiv denken. Das wollen wir doch mal sehen.

Ich mache mich dran, sobald ich mehr weiss.

Das mit der Uhr hat Zeit. Ich habe keine Ahnung, wo die Zeiger sind.
Das mit der Uhr hat Zeit. Ich habe keine Ahnung, wo die Zeiger sind.

… dann geht es selten ohne Gewalt

Ich klicke mich durchs Netz, denn da gibt es Antworten auf gute Fragen und das gute Gefühl, selbst mit abseitigen Problemen nicht alleine zu sein. Es klemmen auch andere Deckel, wie schön. Tipps, bitte!

Im abgekühlten Zustand (und natürlich ohne Wasser) den Knopf betätigen und dabei vorsichtig auf den Deckel klopfen. Tut sich nichts, dann geht es selten ohne Gewalt.
User electrician hilft bei gutefrage.net

Draufgehauen habe ich natürlich schon. Nach alter Familientradition. Denn auch mein Vater hatte einen ganz beachtlichen Das-repariere-ich-später-Stapel und fand meistens eine Lösung. Irgendwann. Wenn die Zeit reif dafür war. Doch in akuten Fällen, wenn der Fernseher flimmerte oder irgendwas klemmte, war der erste Impuls nicht immer filigran.

WUMMS! Nimm das, du … nicht wie vorgesehen funktionierendes Ding.

Entweder hilft es, oder es senkt zumindest den Blutdruck. Beim Wasserkocher muss ich mich zusammenreissen. Sanfte Gewalt öffnet ihn zwar, repariert ihn aber nicht. Und rohe Gewalt tut mir mehr weh als ihm.

Damit ist bald Schluss – falls ich am Samstag Zeit und Lust haben sollte, das Werkzeug aus dem Keller zu holen.

Eat my (Youtube) Shorts

Bis dahin schaue ich Youtube-Clips von Wasserkochern, die alle ein leicht anderes Knopf-Stups-Schubs-Deckel-Problem haben und auffallend häufig von freundlichen Filipinos repariert werden. Die meisten davon lassen mich ratlos zurück, was nicht nur an der Sprachbarriere liegt.

Später suche ich ein Video, das mir wirklich weiterhilft.
Später suche ich ein Video, das mir wirklich weiterhilft.

Was genau ist hier der Trick? Mein Wasserkocher hat nochmal Glück. Ich entkalke ihn und stelle ihn wieder hin. Er ist schliesslich nicht das einzige Gerät, das auf meine Fürsorge und Wohlwollen angewiesen ist. Hier geniessen noch mehr defekte anders begabte Geräte ihren Lebensabend, die ihm auf meiner Das-repariere-ich-später-Liste den Rang ablaufen wollen und sich piepsend in den Vordergrund drängen.

Altersheim für Elektronik

Ich pflege meinen altersschwachen Saugroboter Roomba, Jahrgang 2016. Auch er geht mir auf eine gute Art auf die Nerven, wenn er wie ein dementer Rentner orientierungslos durch die Wohnung irrt, gegen Regale kracht oder einfach nur noch Kreise fährt. Ich schätze an ihm, dass er den Geist nicht aufgibt. Natürlich könnte hier ein Roborock mit Laserturm durch die Bude wedeln, der meine Wohnung nach zehn Minuten dank KI-Features besser kennen würde als ich selbst.

Aber ich habe vor Jahren eine Grosspackung günstiger No-Name-Ersatzteile bestellt, die eines Tages verbaut werden wollen. Ein Filter hier, eine Walze da, schon ist er wieder wie neu. Zumindest fast. Und irgendwie gibt mir das was. Obwohl mein Roomba nüchtern betrachtet nicht die grösste Hilfe ist und deshalb seine Altersteilzeit geniesst.

Roomba braucht mal wieder Hilfe! ERR5 und ich sind ziemlich beste Freunde.
Roomba braucht mal wieder Hilfe! ERR5 und ich sind ziemlich beste Freunde.

Wenn er mal wieder barmt «please charge Roomba!» kann ich gar nicht anders, als ihn von Hand auf die zwei Ladekontakte zu setzen, die er von selbst so schwer findet. Woraufhin er sich nachts um zwei mit einem lauten «Error five!» revanchiert. Das sind die Momente, in denen ich zweifle. Neulich erst habe ich mich bei unserem Kenner Lorenz Keller erkundigt, welches Modell bei mir wohl gute Dienste leisten würde, wenn ich denn einen neuen kaufte. Neu ist ja nicht automatisch gut.

  • Produkttest

    Roborock Saros Z70: Was taugt der erste Saugroboter mit Greifarm?

    von Lorenz Keller

Doch das hat Zeit, denn der gute alte Roomba ist wirklich zäh. Und aufgeben zählt nicht. Auch sein Wisch-Zwilling Braava (für mich aus nicht nachvollziehbaren Gründen weiblich) wartet brav im Keller auf ihren dritten neuen Akku. Ab und zu schicke ich sie noch auf eine kleine Runde durchs Bad, da ihre Wassertank-Inkontinenz dort wenig Schaden anrichten kann. Wenig später krieche ich unters WC, wo ihr der Pfuus ausgegangen ist, und stelle fest, dass sie ziemlich nutzlos ist – aber technisch gesehen auch nicht kaputter als, sagen wir, der Wasserkocher.

Um den ich mich kümmern werde, sobald ich Braava für gut 20 Franken einen neuen Akku eingebaut und sie dann für 7 Franken auf Ricardo verscherbelt habe.

Was ich natürlich nicht tun werde. Ich wäre ja bescheuert und würde mich um die Freude bringen, die Früchte meiner Arbeit zu sehen: dass sie damit wieder länger als fünf Minuten am Stück ziemlich schlecht putzen kann.

Brav, Braava!
Brav, Braava!

Ich tu’s für mich

Es ist schon seltsam, aber manche Dinge gewinnen allein dadurch deutlich an Wert, dass ich selbst irgendwie Hand angelegt habe. Vielleicht gibt es mir auch einfach mehr, wenn ich meinen Geräten helfe, als wenn sie mir helfen.

Was werde ich stolz sein, wenn der Wasserkocher erst repariert ist, nachdem die Robos wieder rüstig sind und ich die Batterien von drei Uhren ausgetauscht habe, die ich ohnehin niemals trage.

«Schau, er öffnet auf Knopfdruck!», kann und werde ich dann mit leuchtenden Augen sagen. Und in die ausdruckslosen Augen aller Unwissenden schauen, die ihn nicht jahrelang mit Fingern oder Gabeln aufgehebelt haben. Jede Reparatur ist ein kleiner Sieg.

  • Ratgeber

    So geht der Touchscreen-Tausch bei der Tigerbox

    von Michael Restin

Meine bittersüssen Triumphe über die Hersteller bringen mich immer wieder in eine emotionale Zwickmühle. Weiter nutzen oder weg damit? Die Antwort kannst du dir denken.

Unter anderem besitze ich ein iPhone X, das niemals ausgehen darf. Weil das günstig geschossene, selbst eingebaute Ersatz-Display beim Neustart immer schwarz bleibt und ich es dann blind rebooten muss. Weil … ach, weiss der Geier. Ist jetzt halt so.

Zur Not habe ich noch ein runderneuertes Pixel 2 (und zwei weitere Gläser für die Kameralinse) in Reserve. Das jedoch im Gegensatz zum Wasserkocher niemand mehr nutzen will. Der ist gleich als nächstes dran, falls nichts mehr dazwischen kommt.

Ich könnte auch erst den klemmenden Zoom meiner alten Kamera reparieren – oder sie beim Versuch endgültig zerstören.
Ich könnte auch erst den klemmenden Zoom meiner alten Kamera reparieren – oder sie beim Versuch endgültig zerstören.

Im Grunde gibt es bei allem, was sich nicht guten Gewissens verkaufen oder verschenken lässt, nur einen Ausweg: Ich muss die Dinge kaputtreparieren, bevor ich sie schlechten Gewissens entsorgen kann.

Der Walk of Shame

Kürzlich bin ich mit meinem alten Samsung-Fernseher unter dem Arm zur Entsorgungsstelle gewandert und fühlte mich mies dabei. Ein Walk of Shame. Zum Glück hat mich niemand damit gesehen. Es weiss ja keiner, was ich alles versucht habe, seit das Gerät um 2014 herum kurz nach Ablauf der Garantie den Dienst quittiert hat.

Ich hätte mich rechtfertigen wollen, dass ich nach geplatzten Kondensatoren gesucht und eine neue, alte Platine gekauft habe, die aus England kam und deren Einbau doch nichts genutzt hat. Dass ich damit zum Repair-Cafe gegangen bin und in ratlose Rentneraugen geschaut habe. Diagnose: zu modern zum Reparieren. Trotzdem lagen 23 Schrauben von Platinen und Gehäusen jahrelang in einer kleinen, herzförmigen Dose und warteten darauf, dass Dr. Restin die Operation gelingt. Dort liegen sie immer noch.

Meine Herz-Urne auf dem Friedhof der vergessenen Schrauben.
Meine Herz-Urne auf dem Friedhof der vergessenen Schrauben.

Wäre mir die Operation gelungen, hätte ich in Full HD fernsehen können wie 2012. Leider hatte ich keine Ahnung mehr, ob die Schrauben überhaupt alle zum TV gehören. Und längst einen neuen, alten Fernseher, dessen Fernbedienung spinnt. Zwei Fernseher auf der Das-repariere-ich-später-Liste waren wirklich einer zu viel für jemanden, der keine Ahnung von Elektronik hat.

Trotzdem hasse ich es, diesen Kampf zu verlieren. Und werde mich jetzt voll auf den Wasserkocher konzentrieren. Immerhin: Entkalkt ist er schon mal. Sieht aus wie neu. Entsorgen? Sicher nicht! Lieber verbrenne ich mir die Finger und heble ihn mit der gleichmütig machenden Macht der Gewohnheit auf. Mir wird schon noch eine Idee kommen.

Bis dahin: Abwarten. Und nicht zu viel Tee trinken.

Der Tag wird kommen ...
Der Tag wird kommen ...

Kennst du sie auch, diese wackligen Türklinken, akkuschwach gewordenen Langhaarschneider und Kameras mit klemmendem Zoom, die du ganz bestimmt morgen reparieren wirst? Oder besser: am nächsten Wochenende. Aber sicher nicht am vielleicht letzten sonnigen Samstag des Jahres …

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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