Nora Dal Cero
Hintergrund

Im Zen-Modus: Wie eine Teezeremonie unsere Köpfe leerte

Als grösste Teeliebhaberinnen unseres Teams war klar: Steffi und ich müssen an einer Teezeremonie teilnehmen. Im Museum Rietberg liessen wir uns zeremoniell Matcha aufschäumen. Dabei ging uns so einiges durch den Kopf – bis er komplett leer war.

Im Kokon der Stille

Kurz nach mir ist auch Steffi da – halb so gestresst, aber doppelt so müde wie ich. Mit sechs anderen Personen werden wir in den Dachstock geführt. Hier ziehen wir unsere Schuhe aus und treten in den etwa vier mal vier Meter grossen Teeraum (Isshin-an). Er ist mit massgeschneiderten Möbeln und Holzwänden sowie kunstvollen Schriftrollen aus Japan ausgestattet. Der Geruch von Zeder liegt in der Luft.

Durch das abgedunkelte Fenster fällt gedämpftes Licht. Davor stehen ein Teekocher, ein Krug und eine kleine Dose. Daneben geht Christoph Meier in die Knie. Auch wir setzen uns um ihn herum auf Kissen. Die meisten machen es sich im Schneidersitz bequem. Hartgesottene knien – vorerst.

Eine süsse Begrüssung

Es wird so still, dass ich nur noch meinen eigenen Herzschlag wahrnehme. Christoph Meier präsentiert eine Schachtel und erklärt, dass jede Teezeremonie mit einer zuckrigen Begrüssung beginnt.

Er geht mit Teesüssigkeiten umher und zeigt, wie man diese entgegennimmt:

  1. Mit der Person vor sich verneigen.
  2. Erneut verneigen, wenn die Leckerei einem selbst angeboten wird.
  3. Das Tablett aufheben und vor dem Zugreifen nochmals verneigen.
  4. Den Keks vor sich ablegen und das Tablett weitergeben.
Steffi: «Merk dir den Ablauf. Mit Darina verneigen, Süssigkeit entgegennehmen und mit Christoph Meier verneigen. Verneigen, Süssigkeit, verneigen.»

Niemand rührt sich. Alle schauen gebannt auf die hauchzarte und filigran bemalte Süssigkeit, die verlockend vor ihnen liegt. Wären wir Hunde, würde unser Speichel auf den Boden tropfen.

Darina: «Mein Gott, wie lecker sieht dieser Keks aus? Ich meine … diese knackige Glasur! Wenn ich ihn jetzt einfach in den Mund ... Nein, nicht daran denken. Atmen! Atmen!»

Wir atmen, wir warten, wir halten durch. Bis Christoph Meier sagt, wir können zugreifen – einer nach dem anderen. Genüsslich lassen sich alle die Kekse auf den Zungen zergehen. Ein paar knackende Kaugeräusche hallen im stillen Raum wider. Eine Teenagerin kichert verlegen.

Ungeduld drängt sich auf

Christoph Meier reagiert nicht, seine Aufmerksamkeit gilt voll und ganz der Zeremonie. Mit einem Lächeln kniet er vor uns hin und informiert uns, dass er gleich den Raum verlassen werde. Er erhebt sich in seinem eng gewickelten Kimono, indem er gegen hinten über die Zehen rollt. Ich staune. Er verschwindet hinter einer Schiebetür.

Währenddessen rauscht es immer lauter im Teeraum. Zuerst denke ich an Abflussrohre, bis mir das Offensichtliche klar wird: Es ist der eiserne Wasserkessel (Kama). Christoph Meier kommt mit Tässchen auf einem Tablett zurück. Sie sind mit Kastanien verziert – dem Herbstsymbol. Er erklärt uns, dass der Teekocher in dieser Jahreszeit traditionellerweise näher als im Sommer bei den Gästen steht, damit seine Wärme zu ihnen abstrahlt.

Akribisch, aber behutsam schraubt er eine kleine, schwarze Dose auf. Den Deckel legt er bündig daneben ab, dann greift er zu einem Holzlöffel. Damit taucht er kerzengerade in die Dose und befördert ein grünes Pulver in die Tasse: Matchapulver. Anschliessend schraubt er die Dose zu und legt den Löffel im exakten rechten Winkel auf der Dose ab.

Darina: «Können wir den Prozess nicht abkürzen? Wie lange dauert das?»

Wie wir erfahren, ist jede Bewegung eingeübt und folgt einem strikten Ablauf. Bei jeder Tasse folgt dasselbe Ritual. Christoph Meier greift zu einem Bambusbesen. Damit schäumt er das Matchapulver in der Teetasse auf. Es schabt, es raschelt und das Porzellan klingelt leise wie eine Klangschale. Der kreisende Besen verschwimmt langsam vor meinen Augen.

Darina: «Irgendwie ist das … entspannend. Ob ich mich bald ganz auflöse wie das Matchapulver? Hallo! Hierbleiben!»

Routine ist töd…tröstlich

Die ersten drei Teeschalen sind bereit. Christoph Meier verteilt sie nacheinander und zeigt uns, wie sie gehalten werden: linke Hand unten, rechte am Rand. Dann kleine Schlucke nehmen. Die Ersten der Gruppe verneigen sich, greifen zu, verneigen sich nochmals, trinken. Der Zeremonienleiter holt die nächsten Tassen aus dem Nebenraum. Wir kennen den Ablauf bereits.

Darina: «Hach, irgendwie ist das beruhigend, wenn schon klar ist, was als nächstes kommt.»
Steffi: «Ich hoffe nur, ich kann trotz Grüntee am frühen Abend noch schlafen.»

Niemand rutscht mehr auf seinem Kissen herum. Alle sitzen nur da und beobachten gebannt, wie Christoph Meier die Tassen verteilt. Leise Schlucklaute sind zu hören, sonst nichts. Auch die Teenagerin kichert nicht mehr.

Darina: «Oh, das hätte ich nicht erwartet. Wie schaumig und luftig der ist. Und die Bitternoten sind ganz sanft. Das schmeckt so lecker. Mhhh!»

Nun ist auch Steffi an der Reihe.

Steffi: «Herber und bitterer als ich es erwartet habe – und trotzdem köstlich.»

Im Zen-Modus angekommen

Christoph Meier kniet noch ein letztes Mal vor uns hin. Er erklärt, wie wir die Servietten, auf denen zu Beginn die Teesüssigkeiten lagen, zusammenfalten und in unseren Ärmeln verstauen. Normalerweise nimmt nämlich jeder Gast seine eigene mit. Wir falten. Niemand kümmert sich mehr darum, ob er das perfekt macht. Alle ruhen in sich.

Nach 60 Minuten, die sich wie ein Wimpernschlag und zugleich unendlich anfühlen, tritt der Zeremonienleiter ans Fenster. Erst allmählich begreifen wir, dass die Teezeremonie zu Ende ist – unser Zeitgefühl hat sich aufgelöst. Christoph Meier schiebt die Verdunkelung zur Seite. Helles Licht strömt herein und öffnet den Blick auf eine prächtige Baumkrone. «Wow», haucht jemand. Es ist Zeit, uns wieder der Aussenwelt zu öffnen. Wir sind bereit.

Wie wäre es mit einer Teezeremonie bei dir zuhause? Die passenden Produkte findest du mit einem entspannten Klick bei uns im Shop.

Titelbild: Nora Dal Cero

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Ich liebe alles, was vier Beine oder Wurzeln hat – besonders meine Tierheimkatzen Jasper und Joy sowie meine Sukkulenten-Sammlung. Am liebsten pirsche ich auf Reportagen mit Polizeihunden und Katzencoiffeurinnen umher oder lasse in Gartenbrockis und Japangärten einfühlsame Geschichten gedeihen. 


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