Meinung

Glühwein, oh wie ich dich hasse!

Simon Balissat
10.12.2018

Gibt es eigentlich eine Glühwein-Polizei? Was landauf, landab zu Weihnachten als «Glühwein» verkauft wird, dient unter dem Jahr nämlich höchstens als Batteriesäure oder Abflussreiniger.

Sobald jedes Jahr die Adventszeit beginnt, sich Eventfirmen wieder die Hände reiben und mit Minimalaufwand Bretterbuden in den Innenstädten der Schweiz aufstellen, um den Passanten Weihnachts-Tand, Ethnochic und Warmgetränke anzudrehen, dann nehme ich den Text «Der Zauber des seitlich dran Vorbeigehens» von Max Goldt hervor. Darin rechnet der Autor mit allem ab, was falsch läuft an Weihnachtsmärkten. Im Veröffentlichungsjahr 2005 war das Weihnachtsmarkt-Problem in der Schweiz noch marginal. Hätten wir damals den Text als Prophezeiung verstanden, wir hätten noch etwas ändern können. Statt der «Initiative gegen den temporären Bau von Weihnachtsmärkten» haben wir aber vier Jahre später die «Initiative gegen den Bau von Minaretten» vors Volk gebracht und angenommen. Eine verpasste Chance.

Ich will zu keinem Rundumschlag gegen Weihnachtsmärkte ansetzen, mir aber den Glühwein als wohl meistverzehrtes Getränk an besagten Märkten herausheben. Max Goldt schreibt dazu:

Wenn ich nur einen schlechten Rotwein hätte, eine Alkoholzufuhr aber für dringend sachdienlich hielte, würde ich den Wein so weit wie möglich runterkühlen. Man weiß ja von Coca-Cola und manchem Milchspeiseeis, dass eklige Dinge halbwegs tolerabel schmecken, wenn man sie stark kühlt. Ich würde den schlechten Wein jedenfalls nicht zur drastischeren Offenlegung seiner minderen Qualität auch noch erwärmen!
Max Goldt: Vom Zauber des seitlich dran vorbeigehens (2005)

Das umschreibt 99 Prozent der gekauften Glühweine in der Schweiz. Seit 2005 hat sich einiges getan in Sachen Glühwein an Weihnachtsmärkten. In die falsche Richtung. Wurden früher wenigstens noch die Bemühungen unternommen, dem schlechten Wein mit einer eigenen Mischung aus Gewürzen, Zitrusfrüchten und Fruchtsäften einen eigenen Charakter zu verleihen, so schütten die Angestellten heute Plastikbeutel mit vorgemischtem Glühwein in Wärmefässer. Aufwand null, Alkoholgehalt 3 %, Profit maximal.

Der Preis für eine Tasse Kaffee gilt als Gradmesser für die Preisentwicklung in der Gastronomie. Steigt der Preis dort «nur» um 30 Rappen, rasten die Wutbürger in den Kommentarspalten der Gratis- und Boulevardzeitungen aus. «Unerhört! Alles wird immer teurer! Wie soll ich das bloss zahlen!» Die Preisentwicklung beim Glühwein kritisiert niemand. «Unerhört! Was fällt dir ein, in der besinnlichen Weihnachtszeit Kritik an Getränkepreisen zu äussern?», schreiben die Wutbürger wohl. Dabei haben sich die Preise genau entgegen der Qualität entwickelt: Kostete ein akzeptabler Glühwein vor zehn Jahren noch gegen 5 Franken, so gibt es heute vorgemischten Kopfschmerzverursacher für 8 Franken. Weil der Alkohol schon verdampft ist, brauchst du meist noch einen Zusatz in Form eines Shots Amaretto oder Rum. Dann sind wir bei 14 Franken. Frechheit. Statt Kaffee schlage ich Glühwein als Gradmesser für die Teuerung in der Schweiz vor. Nicht einmal die Krankenkassen-Prämien steigen in ähnlichem Ausmass…

Typische Glühweintrinker beim Verrichten ihrer Lieblingstätigkeit: Geld aus dem Fenster schmeissen.(Symbolbild)
Typische Glühweintrinker beim Verrichten ihrer Lieblingstätigkeit: Geld aus dem Fenster schmeissen.(Symbolbild)

Was bei uns als Glühwein feilgeboten wird, ist eine Zumutung. Du könntest auch 300 Gramm Sugus in einem Liter weissen Essig auflösen, rote Lebensmittelfarbe und etwas Pinselreiniger hinzufügen und das Ganze erwärmen.

«Mach es doch besser, wenn du hier schon abmotzt!» sagen jetzt die Kommentarspalten-Taliban.

Gerne.

Zunächst einmal: Lass die Finger von vorgemischtem Glühwein und Gewürzmischungen mit Zucker. Wir bedienen uns in der Schweiz beim Glühwein nämlich meist deutschen Rezepten, die zu viel Zucker enthalten. Nimm für deinen Glühwein einen anständigen, nicht zu schweren Wein. Blauburgunder aus der Region zum Beispiel. Dann kommen Gewürze, Zitrusfrüchte und Süsse (in Form von Zucker, Honig oder Likör) rein. Optional fügst du noch Hochprozentiges wie Gin, Wodka oder Cognac bei. Alles in einen grossen Topf und wärmen, aber nicht sprudelnd kochen. Einerseits würde der Alkohol verdampfen, andererseits werden die Gewürze und Zitrusfrüchte bitter. Nach einer guten halben Stunde hast du deinen eigenen Glühwein… Vergiss die Weihnachtsmärkte, mach es wie Max Goldt und geh einfach seitlich an ihnen vorbei, denn…

[...] dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen [...] ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was hässlich ist, vorbeizugehen!
Max Goldt: Vom Zauber des seitlich dran vorbeigehens (2005)

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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