
Galaxus auf dem Weg zur Online-Apotheke
Corona ist und bleibt ein Brandbeschleuniger für die Digitalisierung. Dies gilt auch für die Gesundheitsbranche: Die Telemedizin und der Onlinehandel von Medikamenten boomen. Jvonne Scherer, Category Lead Beauty + Gesundheit bei Galaxus, hat die Zeichen der Zeit erkannt und will aus dem Online-Warenhaus auch eine Apotheke machen.
Jvonne Scherer verantwortet das Beauty- und Gesundheitssortiment bei Galaxus. Zusammen mit ihrem Team schliesst sie zurzeit etliche Kooperationen mit renommierten Beauty- und Pharma-Brands ab. Vielen namhaften Marken hat die Pandemie – und das veränderte Kaufverhalten der Kundschaft – den E-Commerce als Absatzkanal schmackhaft gemacht. «Unsere Partner wissen, dass im Jahr 2021 kein Weg mehr am E-Commerce vorbeiführt», stellt Jvonne fest und ergänzt: «Davon profitieren auch wir als Onlinehändler: Wir können unseren Kundinnen und Kunden eine immer grössere Auswahl qualitativ hochstehender Produkte direkt ab unserem Lager bieten.» Doch am Ziel ist die Powerfrau noch lange nicht – der Weg zur Online-Apotheke bringt noch einige Herausforderungen mit sich.

Zurzeit verkaufen wir rund 35’000 Artikel aus dem Bereich Gesundheit auf Galaxus.
Suche ich auf Galaxus nach «Aspirin», schlägt es mir das Acer-Notebook «Aspire» vor und keine Tabletten gegen meine Kopfschmerzen. Der Weg zur Online-Apotheke ist noch weit, nicht wahr?
Jvonne Scherer: (Lacht) Betrachtet man das Galaxus-Sortiment an Gesundheitsprodukten zum heutigen Zeitpunkt, so ist Galaxus eher eine Online-Drogerie als eine Online-Apotheke. Zurzeit verkaufen wir rund 35’000 Artikel aus dem Bereich Gesundheit auf Galaxus – vom Erste-Hilfe-Set über Augentropfen bis hin zum Fruchtbarkeitstest. 2017 sind wir mit knapp 3000 Produkten gestartet – wir haben unser Produktsortiment also mehr als verelffacht. Soeben haben wir mehrere grosse Partner angebunden, so dass man praktisch alle nicht verschreibungspflichtigen Medikamente der Abgabekategorie E bei uns bestellen kann.
Verschreibungspflichtig, nicht verschreibungspflichtig, Abgabekategorien – ich blicke nicht ganz durch: Welche Medikamente können Kundinnen und Kunden in der Schweiz bei Galaxus kaufen?
In der Schweiz haben wir vier Abgabekategorien: A, B, D und E – die Kategorie C gibt es seit 2019 nicht mehr. Wir als Onlinehändler können zurzeit ausschliesslich rezeptfreie Medikamente der Abgabekategorie E im Shop anbieten. Diese Arzneimittel sind nicht verschreibungspflichtig und frei verkäuflich in Arztpraxen, Apotheken und Drogerien, aber auch im Detailhandel. Wichtig: Es ist keine Fachberatung erforderlich und es besteht keine Dokumentationspflicht. Im Gegensatz zu uns können Drogerien und Apotheken durch die Sicherstellung einer Fachberatung auch Arzneimittel der Kategorie D abgeben.

Und wie sieht unser Sortiment im Vergleich mit anderen Schweizer Versandapotheken aus?
Online verkaufen wir in der Kategorie E das gleiche Sortiment wie alle anderen Schweizer Versandapotheken. Zudem bieten wir noch weitere Services aus dem Gesundheitsbereich wie Versicherungen oder Smart Health Produkte wie Körperanalysewaagen, Blutdruckmessgeräte und intelligente Sportuhren an. Was uns fehlt: Aktuell können wir noch kein Click & Collect anbieten, was einer Fachberatung gleichkäme. Dies würde es unseren Kundinnen und Kunden ermöglichen, nebst Arzneimittel der Kategorie E auch diejenigen der Kategorie D online zu bestellen und dann einfach in der Apotheke abzuholen. Dafür brauchen wir eine physische Apotheke als Partnerin. Wir sind zuversichtlich, dass es uns in naher Zukunft gelingen wird, eine solche Zusammenarbeit zu etablieren.
Unser Anliegen ist es, dass es für Konsumentinnen und Konsumenten einfacher wird, Arzneimittel online zu bestellen.
Bleiben wir noch kurz bei den Schweizer Versandapotheken. Zum Teil kann man dort bereits heute rezeptpflichtige Medikamente kaufen. Leider ist der Prozess noch nicht digital – da es die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zulassen: Man muss ein Online-Formular ausfüllen, ausdrucken und dieses, zusammen mit dem Rezept vom Arzt, brieflich an die Versandapotheke schicken. Klingt kompliziert. Warum ist das so?
Ja, es ist kompliziert und nicht kundenfreundlich. Die Rahmenbedingungen im Schweizer Medikamentenmarkt lassen zurzeit nicht mehr zu. Die Gesetzgebung, welche den Vertrieb von Arzneimitteln regelt, ist im internationalen Vergleich sehr streng. Unser Anliegen ist es, dass es für Konsumentinnen und Konsumenten einfacher wird, Arzneimittel online zu bestellen. Hierfür braucht es aber zuerst politische Änderungen und auch den Willen, sich digital weiterzuentwickeln.


Ich verstehe. In der Schweiz dauert es punkto Digitalisierung im Gesundheitswesen ein bisschen länger. Welche politischen Änderungen bräuchte es deiner Meinung nach, um das Apothekenwesen nachhaltig zu digitalisieren?
Zum einen stellt sich die Frage, weshalb Arzneimittel der Kategorie D nicht frei verkäuflich sind und die Fachberatung auf Wunsch digital via Chat oder telefonisch angeboten werden kann. Hier würde eine Zusammenarbeit zwischen Onlinehändlern und Apotheken Sinn machen – beide Seiten bringen ihre Expertise ein.
In Deutschland sind Arzneimittel der Kategorie D bereits frei verkäuflich: Dort kann man sich sein Aspirin oder Voltaren bereits online kaufen. Und übrigens: Auch Schweizer Kundinnen und Kunden profitieren bereits davon und bestellen Medikamente problemlos bei einer ausländischen Online-Apotheke.
Zum anderen ist das physische Rezept ein fossiles Unding: Auch diesbezüglich ist Deutschland einen Schritt weiter. Unser Nachbar führt ab 2022 das elektronische Rezept ein. Ab dann müssen Ärzte E-Rezepte mit Barcode ausstellen, die via App abrufbar sind. Dadurch wird es Patientinnen und Patienten stark vereinfacht, Medikamente online zu bestellen – was schlussendlich vielen Konsumentinnen und Konsumenten entgegenkommt.
Warum soll ich krank in die Apotheke gehen, wenn ich mir mein Medikament mit einem Klick von Zuhause aus bestellen kann?
In Deutschland rechnet man folglich mit einem Online-Boom beim Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten?
In der Tat. Diese Neuerung bringt ein gigantisches Marktpotenzial für Online-Apotheken mit sich. Gemäss einem kürzlich erschienenen Artikel im Finanzmagazin Cash werden allein in Deutschland jährlich rund 54 Milliarden Euro mit rezeptpflichtigen Medikamenten umgesetzt. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt die Onlinepenetration bei mickrigen 1,4 Prozent. Der Löwenanteil wird heutzutage folglich im stationären Handel abgewickelt. In der Schweiz ist die Situation vergleichbar. Dies wird sich ändern, sobald neue gesetzliche Rahmenbedingungen in Kraft treten – und die Konsumentinnen und Konsumenten realisieren, dass sie ihre Medikamente bequem online bestellen und nachhause liefern können. Warum soll ich krank in die Apotheke gehen, wenn ich mir mein Medikament mit einem Klick von Zuhause aus bestellen kann?

Denkst du, dass die Pandemie Online-Apotheken in die Hände spielt und den politischen Prozess in der Schweiz beschleunigt?
Ich denke, Corona hat bewiesen, dass vieles digital genauso gut funktioniert. So hat uns die Pandemie aufgezeigt, dass Home-Office oder Remote Working valable Alternativen zum klassischen Büroalltag sind. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten – auch nicht im Gesundheitswesen. In der Schweiz müssen wir uns diesbezüglich die Frage stellen, ob wir eine Vorreiterrolle einnehmen oder die Letzten sein wollen, die auf den Digitalisierungszug aufspringen. Der Status Quo ist folgender: Die Schweiz verfügt über eine der restriktivsten Medikamenten-Regulierungen in Europa. Wollen wir diese so beibehalten? Es wäre doch sinnvoll und zielführend, wenn wir auch im Gesundheitsbereich digitaler aufgestellt wären. Ich appelliere hier an die Schweiz Politikerinnen und Politiker: Wir müssen aufwachen, sonst verschlafen wir die digitale Wende im Gesundheitswesen.
86 Personen gefällt dieser Artikel


Studien behaupten, wir hätten eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als ein Goldfisch. Autsch. Mein Job ist es, deine Aufmerksamkeit so oft und so lange wie möglich zu bekommen. Mit Inhalten, die dich interessieren. Ausserhalb vom Büro verbringe ich gerne Zeit auf dem Tennisplatz, beim Lesen und Netflixen oder auf Reisen.