

Entrümpeln für den (inneren) Frieden

Kurse bei sogenannten Clutter Choaches, also Entrümplungsexperten, boomen zurzeit. Ich weiss jetzt warum.
Soll ich, oder soll ich nicht? Mein fragender Blick wandert hektisch zwischen der Elsa Spielfigur in meiner Hand und dem Abfalleimer hin und her. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren und ich versuchte mehrere Fragen simultan zu beantworten. Wozu benötige ich das Teil überhaupt noch? Was passiert, wenn ich mich für den Abfalleimer entscheide? Würde ich es eines Tages bereuen? Oder würde dieser Gegenstand einfach in Vergessenheit geraten? Würde meine Erinnerung an den tollen Frozen-Adventskalender, in dem das Ding steckte und den mir meine Mutter letzten Dezember geschenkt hatte, verblassen? Dass ich mir so tief gehende Fragen stellte, angesichts dessen, dass es sich hier lediglich um ein sechs Zentimeter grosses Stück Plastik handelte, beschämte mich zugegebenermassen etwas.
Ein paar Wochen nach meinem Umzug in meine erste eigene Wohnung, die Kartons noch längst nicht ausgepackt, schlich sich bei mir ein extrem bedrückendes Gefühl ein. Mein Enthusiasmus über die neu gewonnene Freiheit wich träger Lustlosigkeit. Mein Tatendrang hatte sich ohne grosses Adieu verabschiedet und ich konnte mich kaum noch dazu aufraffen, unser neues, viel zu bequemes Sofa zu verlassen.
Ein paar Tage später
Als ich am Bahnhof auf jemanden warten sollte, lief ich in einen Buchladen und schlich so unauffällig wie möglich in der verpönten «Ratgeber» - Abteilung umher. Da fiel mir das Buch von Hideko Yamashita ins Auge: «Dan-Sha-Ri – Das Leben entrümpeln, die Seele befreien». Ich gebe zu, der Titel brachte selbst mich zum Schmunzeln. Ich griff danach, blätterte darin herum – und legte es dann entschlossen wieder weg. Schliesslich wäre es ein bisschen paradox, sich etwas zuzulegen, wenn man doch eigentlich entrümpeln möchte. Ich arbeitete mich in andere Abteilungen vor, merkte aber schnell, dass sich mein Unterbewusstsein längst entschieden hatte. Ich lief zurück, schnappte mir das Buch, kassierte ein unterschwelliges Lächeln von dem Mädchen, das ebenfalls schon eine Weile mit einem Ratgeberbuch liebäugelte, und machte mich ans Zahlen.

Der Wandel
96 Seiten später war ich entschlossen. Etwas musste sich ändern, und zwar noch an jenem Wochenende. Gesagt, getan! Von meinen gezogenen Weisheitszähnen bis hin zu meinen alten E-Gitarre Plektren. Ich trennte mich radikal von so vielen Dingen, die ich bisher aufhob, in der Angst, sie eines Tages mal zu vermissen. Und siehe da: Plötzlich konnte ich wieder atmen. Mein Gemüt hellte sich auf und meine Energie kehrte wieder zurück.
Bloss Zufall?
Es mag vielleicht Einbildung sein, aber eine plausible Erklärung dafür habe ich dennoch auf Lager. Ein einfaches Beispiel dazu: Haben wir Stress, was einer seelischen Belastung und innerer Unruhe gleichkommt, werden wir kaum die Zeit und Energie aufbringen können, unsere vier Wände auf Vordermann zu bringen. Und je unordentlicher es bei uns ist, desto mehr geraten wir unter Druck, diesen Zustand zu ändern. Das wiederum bereitet uns noch mehr Stressgefühl. Ein Teufelskreis. Unser chaotisches und überfülltes Umfeld spiegelt in gewisser Weise also das wider, was wir zurzeit fühlen. Umgekehrt heisst das aber auch, dass wir durch das Verändern unseres Umfeldes einen Einfluss auf unsere Gemütslage nehmen können.
Die Dinge Dinge sein lassen
Die Autorin des Buches legt bei ihrer Vorgehensweise der Entrümpelung den Fokus auf die Beziehung zwischen den Dingen und der Person, die sie besitzt. Die Gegenstände, die man behalten möchte, müssen immer einen Bezug zum Hier und Jetzt haben und sich nicht an der Vergangenheit (Erinnerungen haften daran) oder der Zukunft («Ich könnte das Ding irgendwann mal brauchen») orientieren. Ausserdem werden Objekte schnell mal von Menschen zu Subjekten gemacht, indem wir sie mit Gefühlen und Erinnerungen aufladen. Das wiederum erschwert uns das Wegwerfen.
In der japanischen Methode Dan-Sha-Ri geht es nicht einfach darum, alles radikal wegzuwerfen. Es geht darum, die Dinge, die man behält, zu schätzen und jene, die man selbst nicht mehr benutzt, an einen Ort zu geben, an dem sie wieder einen Nutzen stiften. Daraus soll ein ganzheitliches Denken entstehen, welches das nötige Bewusstsein dafür schafft, Materielles bereits vor dem Kauf kritisch zu hinterfragen.
Wer also das nächste Mal vor der gleichen Entscheidung steht wie ich mit meinem Gerümpel, kann sich getrost für den Abfalleimer entscheiden. Denn vom Loslassen hat man komischerweise mehr als vom Behalten – inneren Frieden zum Beispiel.
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Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.