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Energica Eva Ribelle Review: Ein Blick auf lebende Entwicklung

Die Energica Eva Ribelle ist voll elektrisch und rasend schnell. Nach 500 Kilometern steht fest: Elektrotöffs sind gekommen, um zu bleiben.

Knallrot steht sie vor mir, die Energica Eva Ribelle. Sie ist nicht nur ein Streetfighter Bike, wie es im Buche steht, sondern nichts geringeres als die Zukunft. Denn das 100% elektrische Motorrad zeigt, dass nicht nur Dominos Pizzakuriere Freude an Elektrobikes haben können.

Die Energica Eva Ribelle macht Spass, keine Frage. Aber: Elektrobikes geben mir ganz etwas anderes, als mir das ein Benziner – sei das meine Harley oder die BMW G 310 R des Kollegen – gibt. Ist das gut? Ist das schlecht? Keine Ahnung, aber ich will beides in meinem Leben.

Bevor wir hier gross loslegen, die meistgefragten Fragen in kurzen Antworten:

  • Ja, die Ribelle ist 100% elektrisch
  • Ja, sie zieht gut. Sehr gut
  • Nein, keine Ahnung, wie schnell sie werden kann. Bei 160 km/h war dann menschliches Versagen
  • Eine Akkuladung kostet etwa einen Fünfliber

Ein gigantischer Akku auf Rädern

Wenn du zum ersten Mal aufsitzt, dann merkst du, dass du auf etwas ganz anderem sitzt als dass du es dir als Biker gewohnt bist. Obwohl die Ribelle niedrig und schlank ist, fühlt sie sich massig und stark an. Das liegt unter anderem daran, dass die Ribelle 265 Kilo wiegt. Das ist viel für ein so kleines Bike. Aber das Gewicht ist in der Fahrt etwas, das so gut verteilt ist, dass easy gutes Rennfahrer-Feeling aufkommt.

Ja, du fährst mit dem Elektrotöff tendenziell gerne zu schnell.

Die Maschine hat vier Fahrmodi: Urban, Rain, Eco und Sport. Drei davon sind anwesend, Sport ist der, den du willst. Immer. Ausser vielleicht bei Regen. Habe ich nicht ausprobiert, da ich das Bike bei über 30 Grad Aussentemperatur getestet habe.

Vom Look her macht sie wenig neu. Der Rahmen in brachialem Gerüst-Look sieht arg nach Ducati aus. Die Front erinnert eine Yamaha MT-10 oder an einen Roboter aus einem Transformers-Film. Trotz all der derivativen Design-Entscheide, das Design ist stimmig und sieht passend böse aus. Gepaart mit dem Fehlen des Motorengeräuschs zieht sie extrem viel Aufmerksamkeit auf sich.

Die ruckartigen ersten paar Meter

Ich drücke die Vorderbremse und den Startknopf. Ein kleines Symbol leuchtet neben dem Display auf. Ein Pfeil nach oben und das Wort «Go» darunter. Der Motor ist scharf. Wenn ich jetzt am Gashebel drehe, dann fragt die Ribelle nicht zweimal, baut keine Kraft auf. Sie fährt los. Sei also vorsichtig und schalt den Motor lieber einmal zu viel auf Stand-By.

Der Gashebel ist etwas, das du konstant bedienen musst. Du kannst nicht mehr elegant auf der Kupplung segeln. Oder mit der Motorbremse arbeiten. Oder in den hohen Gängen mal freihändig fahren, was du natürlich nie und nimmer tun solltest. Mach ich auch nie. Logisch.

Darum sind die ersten paar Meter etwas rucklig. Die Ribelle ist zwar schnell stabil bei einer Geschwindigkeit von über 4 km/h, aber sie muss sich dein Vertrauen über die ersten paar Meter hinweg erarbeiten. Genau, wie wenn du einen Tesla fährst. Irgendwie ist alles anders. Die Beschleunigung kommt schneller, der Ton ist anders und die Kraft geht schneller verloren.

Eins aber: Die Ribelle macht vom ersten Moment an Spass. Denn wenn die Entdeckungs- und Einlebephase vorbei ist, dann kannst du mit ihr so unglaublich viel Unsinn anstellen. Und mit «Unsinn» meine ich natürlich «sicheres, stilvolles und bewusstes Fahren». Logisch.

Der Gewinner in der Stadt, ein Biest über Land

Sprich: Du hängst im Strassenverkehr so ziemlich alles ab, was da fährt. Das wird nie langweilig, selbst wenn dir irgendwann der Nacken etwas wehtun könnte.

Die Ribelle ist wendig und auch enge Kurven gehen locker und dynamisch. Dank des tiefen Schwerpunkts kannst du dich schön reinhängen und so in der Stadt recht wenig Platz für dich beanspruchen. Du flitzt einfach hin und her, schnell und mit einem zähnezeigenden Sinn für Humor.

Die Reichweite und latente Sorgen

Das ist für die meisten Einsätze des Bikes absolut okay, selbst wenn ich mir vom Handy her stete Sorgen mache und am liebsten bei 40% Akku einen Charger besuchen möchte. Rein emotional wäre es mir recht, wenn da mehr Charger in der Gegend herumstehen würden. Vor allem ausserhalb dem Zürcher Kuchen, denn erfahrungsgemäss ist es in der Ostschweizer Heimat schon etwas schwieriger, einen Charger zu finden.

Rorschach ist komplett Charger-frei. Im Buriet neben dem alten Polizeistützpunkt steht da einer, gegenüber der ehemaligen Disco Arena, die aufregenderweise jetzt eine Migros ist. Sonst musst du schon nach Walzenhausen oder St. Gallen.

Im Gegensatz dazu: Zürich. Charger überall. Wenn der Charger unter dem Digitec-Hauptsitz belegt ist, kann ich über die Brücke zur Socar Altstetten fahren. Oder hinten beim Mobility-Tesla laden gehen. Oder sonstwo. Das entspannt, selbst wenn logisch kein Grund besteht. Denn von meinem Büro nach Rorschach sind es via Autobahn rund 97 Kilometer, was nach Herstellerangaben rund 50% des Akkus ausmacht. Easy. Trotzdem lässt mich das nicht los.

Vielleicht legt sich das, wenn ich die Maschine länger als ein Wochenende lang hätte, wenn ich sie kenne und ihr vertraue. Bis dahin fordere ich von der Welt, dass sie den Arsch hochkriegt und mehr Charger hinstellt.

Die aktive Arbeit am Ökosystem

Doch das ist bei Energica noch Zukunftsmusik. Bis dato sind die Bluetooth-Funktionen noch arg limitiert und eigentlich brauchst du die App für eine ganz normale Fahrt über Pässe und Strassen gar nicht. Sie bietet dir noch keinen eigentlichen Mehrwert, was aber nicht heisst, dass das auf immer so bleiben wird.

Ein paar Worte zum Thema Tempo und deiner rechten Hand

Das Wunder-Bike kommt aber nicht ohne seine Schattenseiten. Generell: Du fährst tendenziell eher zu schnell als zu langsam. Das hat zwei Gründe:

  1. Die Geschwindigkeit kommt extrem schnell. Wenn du aus dem Stand mit Vollgas über eine zweispurige Kreuzung fährst, bist du auf etwa 70 km/h.
  2. Das Motorengeräusch ist radikal anders als bei einem Benziner. Diese Sprache musst du zuerst lernen.

Die Ribelle ist nicht still. Sie ist zwar um ein Vielfaches leiser als meine Harley oder gar eine BMW G 310 R, die bei niedrigen Umdrehungen kaum ein Geräusch von sich gibt. Sie surrt aber. Mit der Zeit kannst du dir ein Bild vom Surren machen, wie schnell du ungefähr bist anhand der Lautstärke, der Höhe und dem Wind. Aber das ist Übungssache und braucht etwas Zeit.

Bis du diese Übung hast, gibst du viel Gas, bremst mal wieder, testest vielleicht die rekuperativen Bremsen – Spoiler: Am Ende der Passabfahrt hast du ein wenig mehr Akku als auf dem Gipfel – und fährst mal schnell in die Migros oder zum Kollegen nach dem Motto «Fahr mal eine Runde, das musst du erlebt haben».

Du kriegst Muskelkater in deiner Rechten. Und du hättest keine Möglichkeit, die Hand mal auszuschütteln oder die Hand vom Lenker zu nehmen und hängen zu lassen. Denn sobald du das Gas loslässt, verlierst du Geschwindigkeit. Energica versucht, dem mit einem Tempomaten beizukommen.

Was für ein absolut seltsames Gefühl.

Da fährt dein Bike einfach so weiter. Konstant, effortlos, ruhig. Du als Fahrer machst in diesem Moment nichts. Gar nichts. Du sitzt da und lässt dich tragen, denn du wirst den Tempomaten wohl nur dann brauchen, wenn du auf einer langen Geraden bist. Und wenn bis dahin noch nie das Gefühl des Fliegens aufgekommen ist, spätestens beim Tempomat-Fahren kommt es.

Meine Arme gehen heben sich fast von selbst. Ich will den Moment spüren. Dieses Nichts zwischen Momenten. Ich. Der Wind. Ich will fast die Augen schliessen. Und wenn du nur zwei Kilometer auf der Energica fährst, probier es aus, wenn du dich sicher genug fühlst. Es lohnt sich. Ein Wunsch für das Folgemodell: Den Knopf zur Aktivierung des Tempomaten hätte ich gerne etwa fünf Millimeter weiter rechts. Ich muss mich arg strecken um mit dem Daumen daran zu kommen.

Die neue Frechheit

Im Text bisher habe ich die Fragen beantwortet, die mir am meisten gestellt werden. Vielleicht noch dies: Die Hinterbremse ist extrem empfindlich. Am besten den rechten Fuss ganz vom Pedal nehmen. In der Regel folgt dann die Frage: «Steigst du um?» Sprich: Lasse ich die Harley friedlich Rost sammeln oder bleibe ich bei der Benzinschleuder.

Ich sehe nicht ganz ein, warum ich nur das eine oder das andere haben können sollte. Der Preis entscheidet vielleicht, aber dann bist du eh beim Benziner. Die Energica ist nicht günstig, aber alle haben Freude dran. Kein Lärm für die Nachbarn, keine Abgase für die Umwelt und keine Tankkosten für dich. Dafür Speed.

Als Gegensatz: Meine Harley mit ihrem V-Twin gibt mir innere Ruhe, Entspannung und Rhythmus. Sie hat Kraft, aber du musst sie aus ihr herauskitzeln. Sonst tuckert sie friedlich mit dir durch die Gegend, geht den Nachbarn auf den Nerv und wird von explodierenden Dinosauriersäften angetrieben.

Die Idee eines Elektrobikes aber, ist schlicht zu gut, um zu sagen «Nein, nicht ich. Niemals nicht.» Daher mein Rat: Wenn du die Gelegenheit hast, schwing dich in den Sattel einer Energica. Du wirst bestimmt Spass haben.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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