Produkttest

Isetta unter Strom: Der Microlino ist ein teurer Traum vom anderen Fahren

Michael Restin
7.7.2025
Co-Autor: Martin Jungfer
Kamera: Piero Istrice, Davide Arizzoli
Schnitt: Piero Istrice
Bilder: Piero Istrice

Der Microlino ist der Gegenentwurf zum Zwei-Tonnen-SUV, der die Innenstadt verstopft. Das knuffige Elektro-Gefährt zieht Blicke auf sich und wuselt straff gefedert durch die Strassen. Gedämpft wird der Spass durch den Preis.

Schreiben wir nicht lange um den heissen Brei herum: Ja, der Microlino ist teuer. In der Long-Range-Version, die Kollege Martin Jungfer und ich einige Tage zum Testen bekommen haben, kostet er über 24 000 Franken – zumindest Listenpreis. Ob er dir das wert ist, musst du entscheiden. Wir können dir sagen, was du für dein Geld bekommst.

Wir, das ist zum einen Michael Restin, Familienvater, Stadtbewohner, Fahrer eines fünfzehn Jahre alten Dacia, der als Familienkutsche dient. Die Anschaffung eines Ersatzautos ist kürzlich daran gescheitert, dass der Hersteller insolvent ging und das Elektrofahrzeug mit integrierten Solarzellen in der Karosserie nicht mehr auf den Markt brachte.

Und da ist Martin Jungfer, auch Familienvater, aber wohnhaft in der Agglomeration und bereits seit über vier Jahren in einem vollelektrischen Auto unterwegs. Sogar der kleine Zweitwagen, ein e-Up von VW, fährt rein elektrisch.

Wir haben mit dem Microlino in einer Woche rund 250 Kilometer absolviert, in der Stadt, über Land und sogar auf der Autobahn.

Das Design

Kinder winken, die Ü60-Generation lächelt, oft halten uns Menschen nach oben gestreckte Daumen entgegen. Dem in Italien produzierten Microlino fliegen die Herzen zu. Er sticht aus der Masse der hochbeinigen SUV-Panzer heraus. Ältere Semester erinnert das Micro-Auto an die BMW Isetta, ein Rollermobil, das von 1955 bis 1962 gebaut wurde.

Das Platzangebot

«Bequem Platz für zwei Erwachsene und Raum für drei Kisten Bier, perfekt für einen spontanen Ausflug», wirbt Microlino. Da das eine Menge Bier für zwei Personen ist und mindestens eine von beiden fahrtüchtig bleiben sollte, haben wir unsere Erfahrungen stocknüchtern im Alltag gemacht. Das Erlebnis ist berauschend genug.

Wenn die Frontklappe, die sich über einen seitlich an der Karosserie versteckten Knopf öffnen lässt, das erste Mal vor einem aufschwingt, klappt die Kinnlade ein bisschen nach unten. Der Anblick ist einfach ungewohnt. Genau wie die Tatsache, dass du dich beim Einsteigen um 180 Grad drehen musst.

Der Profi greift nach der Lasche, um die Türe zu schliessen, schwingt sich an der Lenksäule vorbei, landet sanft gebremst auf dem Polster und rastet dabei die Frontklappe ein. Eine Soft-Close-Funktion hilft mit: Die letzten Zentimeter schliesst sich die Tür automatisch. Schiebt man den Doppelsitz nach hinten, haben auch grössere Personen genug Beinfreiheit. Selbst mit etwas über 1,90 Meter Körperlänge sitzt Kollege Martin Jungfer durchaus bequem.

Da es keine Mittelkonsole gibt und die Lenksäule frei in den Raum ragt, fühlt sich der Innenraum grosszügig bemessen an. Auch nach oben ist für die Grösseren genug Luft, also Kopffreiheit. Nur in der Breite kommen sich zwei Passagiere auf der durchgehenden Sitzbank schon beim Anschnallen etwas näher.

Der Kofferraum nimmt lieber Rucksäcke auf, die sich in Form pressen lassen, mit kantigem Gepäck lassen sich die 230 Liter Kofferraumvolumen unter der Klappe im Schrägheck schlechter nutzen. Für ein paar Einkäufe, Sport- oder Laptoptaschen reichen sie allemal. Zum Vergleich: In einen neuen Fiat 500 passt weniger. Da gibt’s nur 185 Liter Volumen, allerdings auch vier Sitzplätze.

Ganz gross wirkt der kleine Microlino, wenn du schon sitzt und dann erst die weit offen stehende Türe schliessen willst. Das kann zu leichten Verrenkungen und «Dad Noises» führen, wenn du nach der entfernten Lasche greifst.

Und kein Parkplatz ist auf einmal ein Parkplatz. Es findet sich stets eine Lücke, die sonst niemand nutzen kann, der Microlino passt seitlich oder rückwärts in die Blaue Zone. Falls du dich gerade fragst: Ja, es ist legal den Microlino quer zu parken und über die Tür aufs Trottoir auszusteigen. Generell fühlt es sich frei und leicht an, mit dem Mini-Auto in der Stadt zu fahren.

Das Go-Kart-Feeling hat allerdings auch eine Kehrseite: Die harte Federung des Microlino gibt jede Bodenwelle an die Bandscheiben der Insassen weiter. Der Elektromotor im Heck surrt hochfrequent mit dem Tinnitus des Fahrers um die Wette. Kaum gedämmt und kaum gedämpft, fährt es sich angenehmer, wenn die Boombox dazu ein paar sommerliche Beats spielt. Dann passt die Soundkulisse auch wieder zum leichten Lebensgefühl, das die kleine Karre innerorts versprüht.

Mit den Stadtgrenzen kommt der Microlino bald an seine Grenzen. Den Hügel zwischen Regensdorf und Höngg erklimmt er maximal mit 67 km/h – und die dicken Autos, in der Stadt noch belächelt, preschen wieder vorbei. Da hilft es auch nichts, den «Raketenknopf» zu drücken. Damit wechselt das Display auf aggressives Rot und der Zwerg tritt noch etwas giftiger an.

Auf flacher Strecke ist das Erlebnis weniger demütigend, dann schafft der Microlino auch die 90 km/h Höchstgeschwindigkeit, die sich in dem kleinen Gefährt fast schon rasant anfühlen. Es kann jedoch nicht der Tatsache davonfahren, dass es sich im städtischen Gewusel am wohlsten fühlt.

Wer ein Elektroauto fährt, weiss es: Geschwindigkeit killt Reichweite. Das ist beim Microlino nicht anders. Beim Ausflug auf die Autobahn entlädt sich der Akku schnell. Und auch beherzt Gas geben bringt zwar Spass, kostet aber Energie, genauso wie die Klimaanlage auf vollen Touren laufen zu lassen. Im Test lag unsere Reichweite eher im Bereich von 170 Kilometern als den vom Hersteller angegebenen 228 Kilometern.

Der Komfort

Ist der Microlino komfortabel? Kommt ganz darauf an, wie du Komfort definierst. Wenn du Massagesitze, eine butterweiche Federung oder allerlei Assistenzsysteme erwartest, findest du nichts davon. Nicht einmal eine Servolenkung oder ein Bremskraftverstärker ist verbaut. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig.

Aber der automobile Winzling wiegt so wenig, dass man ihn locker mit Muskelkraft zähmen kann. Bei ihm geht es um unkompliziertes Fahren und ein wenig frische oder warme Luft. Dem ist alles untergeordnet, und auch das kann sich komfortabel anfühlen: Die grundlegenden Dinge mit einem Handgriff zu regeln, überall Parkplätze zu finden oder in wenigen Stunden an der Haushaltssteckdose aufzuladen.

Fazit

Der Microlino ist ein automobiles Statement mit Charme – leider recht teuer

In Zeiten, in denen der neueste Smart knapp 4,7 Meter lang ist und 2,2 Tonnen wiegt, ist der Microlino ein Statement. Eines, für das es ein gewisses Mass an Idealismus und ein gut gefülltes Konto braucht. Stell dir vor, er würde massenhaft gebaut, der Preis würde sinken und die Menschen würden sich morgens durch das Sardinendosendach ihrer zweifarbigen Knutschkugeln zuwinken.

Der Gedanke hat ebenso viel Charme wie der in Italien gebaute Microlino. Für die meisten zerschellt der Traum an der Tatsache, dass du fürs gleiche Geld sehr viel mehr Auto bekommst. Im Moment machen ihn die Anschaffungskosten zum Liebhaberstück für Individualisten, die sich nicht in erster Linie von Spar-Argumenten bei der Versicherung, Steuervorteilen oder niedrigen Parkgebühren leiten lassen. Sondern von Emotionen.

Pro

  • zieht Blicke auf sich (wenn man das mag)
  • sehr solide Verarbeitung
  • verhältnismässig grosser Kofferraum
  • Parkplatz leicht(er) zu finden
  • Fahrspass in der Stadt
  • Konzept mit viel Charme

Contra

  • zieht Blicke auf sich (falls man das nicht mag)
  • spartanische Sicherheitsausstattung
  • surrendes Elektromotörchen
  • wenig bis keine Dämpfung

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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