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Body Positivity: Warum ich nicht jede Narbe, jedes Kilo, jedes Grübchen freudig umarmen will

Frauen werden heute für üppige Bäuche genauso geschmäht wie für Sixpack oder schmale Hüften. Na toll. Was kann der Ausweg sein? Body Neutrality.

Ich fühle mich von Nackten umzingelt – und zwar nicht nur im Bad oder in der Sauna. In der digitalen Welt vor allem von Frauen (jungen wie alten), die mir stolz ihre üppigen Bäuche, Pos und Hüften entgegenhalten – weil: Body Positivity. Mittlerweile in den sozialen Medien omnipräsent, werden ihre Wurzeln gerne vergessen: In der ursprünglichen Bewegung ging es um die politische Antwort auf die extreme Gewichtsdiskriminierung in unserer Gesellschaft.

Body Positivity im Reality-Check

Body Shaming: Jetzt dürfen wir uns alle mies fühlen

Es ist nichts falsch daran, uns selbst zu lieben, wenn wir uns damit konfrontieren, was diese «Liebe» bedeutet. Ich wehre mich nur gegen die Vorstellung, dass wir in der Lage sein sollten, einen ständigen Strom von Glücksgefühlen zu empfinden – oder dass wir jedes Grübchen, jedes Wackeln, jeden Zentimeter freudig umarmen müssen.

Neutrale Freiheit: Verkneif dir den Kommentar

Zu besseren Erklärung: Body Positivity ermutigt dich, dich immer schön zu fühlen und deinen Körper in jeder Größe zu lieben. Hingegen konzentriert sich Körperneutralität mehr darauf, wie du dich fühlst, als darauf, wie du aussiehst. Body Neutrality lädt dazu ein, sich selbst und andere zuerst als ganze Menschen zu verstehen und ein Werte-Konzept auch auf der Grundlage des inneren Selbst einer Person zu entwickeln.

Sie hilft also, die vielen Schichten komplexer sozialer Konditionierung abzustreifen, die dir eintrichtern, was unterschiedliche Körperformen bedeuten, um schließlich die Wahrheit sehen zu können: Dass Schönheit, Schlankheit und Attraktivität angenehm sein können, aber nichts über den Charakter, die Persönlichkeit, den Lebensstil und das Glück eines Menschen aussagen.

Schau lecker, da ist mehr dran

So oder so, ich finde es unangenehm, wenn mir solche «Komplimente» gemacht werden: ‹dass bei mir die Pfunde ja eh gut aussehen›, ‹dass an mir mehr dran ist, und das sei soooo sexy›. Ich fühl mich dann immer ein bisschen wie die preisgekrönte Sau am Dorffest. ‹Schau lecker, da ist mehr dran›.

Unlängst wurde ich aber Zeugin einer weitaus unangenehmeren Situation. Frau A zu Frau B im Schwimmbad, offensichtlich entfernte Bekannte: «Wow, so super, du hast ja ordentlich abgespeckt. Wie hast du das gemacht?» Frau B: «Ich habe Darmkrebs.» Grauslich, gell? Aber das ist der Preis dafür, wenn man sich gehen lässt. Nicht körperlich. Sondern menschlich.

Titelfoto: shutterstock

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Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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