Warum schmeckt Espresso in Italien eigentlich so viel besser?
Hintergrund

Warum schmeckt Espresso in Italien eigentlich so viel besser?

Ferien in Italien ohne Espresso – ein Ding der Unmöglichkeit. Viele schwärmen vom «caffè». Der ist südlich der Alpen nicht nur verdammt günstig, sondern oft auch besser als zuhause. Wieso das so ist und ob du ihn zuhause auch so lecker hinkriegst, erfährst du hier.

Der Weg zu meinem Sehnsuchtsort ist gut beschildert. Wenn ich mit der Familie gen Süden reise, ist der erste «Autogrill» ein sicherer Stopp. Nicht dass mir Toilettenanlagen oder die Berge von Spiel- und Esswaren auf italienischen Autobahn-Raststätten imponieren würden. Nein, es ist der Kaffee, der mich glücklich macht. Für 1,50 Euro bekomme ich einen unschlagbaren Espresso an der Bar. Geruch, Geschmack, Aussehen – hier stimmt einfach alles. Da können die rund fünf Franken teuren Schweizer Espressi einfach nicht mithalten. Finde ich zumindest.

Doch warum eigentlich?

Laut Angaben der Firma werden an den Autogrill-Bars jährlich 120 Millionen Tassen Kaffee gebraut und getrunken. Umgerechnet sind das pro Sekunde also vier Tassen. Der Dauerbetrieb der Profi-Maschinen von Herstellern wie Cimbali ist sicher ein wichtiger Faktor für den guten Geschmack. Im Dauerbetrieb muss nichts vorgeheizt werden, um die perfekte Temperatur für die gelungene Aroma-Extraktion zu bekommen.

An einer Autogrill-Raststätte in Italien läuft die Kaffeemaschine im Prinzip Tag und Nacht.
An einer Autogrill-Raststätte in Italien läuft die Kaffeemaschine im Prinzip Tag und Nacht.
Quelle: Martin Jungfer

Die Männer und Frauen an den Maschinen beherrschen zudem ihr Handwerk. Wer pro Tag Hunderte, vielleicht sogar Tausende Tassen füllt, hat Routine. Jeder Kassenzettel ist ein neuer Auftrag für sie, den sie meist mit stoischer Gelassenheit erledigen. Tasse vom Turm nehmen, unter den Auslass stellen, Löffel auf die Untertasse, Kaffee in die Tasse, Tasse auf Untertasse, ab auf die Bar damit. Wer Zucker will, bedient sich selbst an den zu Bergen getürmten Päckchen. Und mit einem über den Bon kratzenden Fingernagel kennzeichnet der italienische Barista den Auftrag als erledigt. Einen Stift zur Hand nehmen, das würde zu lange dauern.

Autogrill ist heute ein weltweit agierendes Unternehmen, vor allem im Bereich der Systemgastronomie. Über vier Milliarden Euro Umsatz werden von über 40’000 Beschäftigten erwirtschaftet. Die über 200 Autogrill-Raststätten an den italienischen Autobahnen sind immer noch ein wichtiges Standbein der Firma. Viele Standorte sind architektonisch auffällig gestaltet. Immer wieder spielten Filme an Autogrill-Stationen, zum Beispiel «Il Sorpasso» von 1962. Auf Deutsch hiess der von Regisseur Dino Risi verantwortete Film übrigens «Verliebt in heisse Kurven». Naja.
Eine Autogrill-Raststätte
Eine Autogrill-Raststätte
Quelle: Autogrill

Die 120 Millionen Tassen Kaffee von Autogrill sind trotzdem nur ein Bruchteil des italienischen Konsums. Das Land atmet und lebt Kaffee. Das weiss nicht zuletzt Luzi Bernet, der als Italien-Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Rom lebt und arbeitet.

Er bestätigt, dass meine positive Wahrnehmung des italienischen Espresso kein Hirngespinst ist. Die Italiener, so erklärt er mir, betreiben einen richtigen Kult um ihren «caffè» – und zwar je weiter südlich im Land man sich befindet, umso mehr. So besteht ein italienisches Frühstück aus einem Kaffee und einem «Cornetto» oder einem kleinen «biscotto», eine Art Keks oder Plätzchen. Zu sich genommen an der Bar. In Rom kostet das zusammen ungefähr zwei bis drei Euro, sagt Luzi. Wer will, nimmt sich als Extra noch ein süsses Gipfeli mit Füllung. Der Zeitaufwand für die morgendliche Stärkung sei mit zehn Minuten überschaubar, und es bleibe sogar noch Zeit für heisse Diskussionen über die letzten Fussballresultate, sagt Luzi lachend.

Hier nimmt Journalist Luzi Bernet seinen «caffè» ausnahmsweise nicht im Stehen, sondern an einem Tischchen der Bar. Macht einen Aufpreis von 20 bis 50 Cent pro Kaffee.
Hier nimmt Journalist Luzi Bernet seinen «caffè» ausnahmsweise nicht im Stehen, sondern an einem Tischchen der Bar. Macht einen Aufpreis von 20 bis 50 Cent pro Kaffee.
Quelle: privat

Für den guten «caffè» in Italien sind laut Luzi die Bohnen und deren Veredlung in den wichtigsten und besten Röstereien verantwortlich. Vor allem Napoli und das rund 55 Kilometer östlich gelegene Kampanien mit der Hauptstadt Neapel seien «die Hochburgen des richtig guten italienischen Kaffees». Besonderen Wert lege man auf eine schöne Crema auf dem Espresso. Zudem behaupten die Einheimischen, dass das Wasser und die Luft den Herstellungsprozess positiv beeinflussen.

Und wo findet Luzi die besten Espressi? Sein Tipp lautet:

Je mehr Espressi eine Bar ausschenkt, desto besser ist er.
Luzi Bernet, Italien-Korrespondent

Hier haben die Barista mehr Übung, die Maschine hat immer den richtigen Druck und der Kaffee wird immer frisch gemahlen. Deshalb gilt: Wo viel Publikum ist, gibt es guten Kaffee, also zum Beispiel an der Hafenbar oder auch an Bahnhöfen.

Die richtigen Bohnen alleine reichen nicht

Nun kann ich aber nicht für jeden Espresso die nächste Hafenbar aufsuchen. Ist es nicht möglich, ein wenig Italianità selbst zu kreieren? Luzis Hinweis zu den Bohnen war wertvoll. Ich finde schnell heraus, dass Autogrill-Bars häufig Bohnen von Kimbo verwenden. In der Schweiz ist die Firma Sorgenti für den Vertrieb der neapolitanischen Bohnen zuständig. CEO ist Salvatore Simili. Rein theoretisch sollte ich auch in der Schweiz zu 99 Prozent einen italienischen «caffè» kreieren können, macht er mir am Telefon Hoffnung. Die richtigen Bohnen bekäme ich ja problemlos über Galaxus. .

Ich würde aber an der Maschine scheitern. Im professionellen Gastrobetrieb stünden welche, die so viel kosten wie ein gut ausgestatteter Fiat 500, also 20’000 Euro und mehr. Das würden sich in der Schweiz die wenigsten Restaurants leisten, zumal es die italienische Bar-Kultur hier nicht gibt.

Caffè come in Italia

Wie findest du italienischen Espresso?

  • Nichts ist vergleichbar mit einem «caffè» – so geht Kaffeegenuss!
    84%
  • Der Kult um italienischen Kaffee ist völlig übertrieben; auch bei uns gibt es guten Espresso.
    16%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Zuhause ist mein Kaffeevollautomat erst recht der limitierende Faktor. Zudem kann ich einem Apparat von DeLonghi und Co. die in der Regel öligeren Bohnen für den Gastrobedarf nicht zumuten. Dafür sind Hausgebrauch-Mahlwerke nicht gemacht. Da brauche ich mir um zwei weitere Punkte auch keine Gedanken machen: das Wasser und das Klima in Italien. Letzteres kann ich ohnehin nicht simulieren. Beim Wasser hätte ich versucht, aus einer in Italien gekauften 1,5-Liter-PET-Flasche einen Espresso zu erschaffen. Die Profis in Italien verzichten dagegen auf spezielles Wasser. In ihre Maschinen fliesst normales Leitungswasser, das vorher einen Filter durchläuft, der die Wasserhärte anpasst, sagt mir Salvatore Simili noch.

Regeln für den Kaffeegenuss in Italien

Wird also wohl nichts mit einem original italienischen Espresso bei mir daheim. Da bleibt nur das Warten auf die nächste Reise gen Süden. Immerhin könnte ich mich beim Kaffeekonsum italienisch verhalten. Das ist gemäss Luzi Bernet wichtig. So trinkt niemand in Italien einen Cappuccino nach dem Mittagessen. Am Vormittag ist dagegen fast alles erlaubt und möglich. Espresso mit oder ohne Zucker, mit einem Schuss kalter oder warmer Milch – oder ganz ohne. Auf den Cappuccino-Schaum darf Kakao – oder eben nicht. Nur eines ist festgelegt: Das zum «caffè» gereichte Glas Wasser trinkt der Kenner vor dem Kaffee, um den Mund zu reinigen. Am Nachmittag und Abend wird die Kaffeeauswahl enger, dann gibt es in der Regel nur noch Espresso oder Ristretto. Letzterer ist weniger sauer und daher auch nach einem Abendessen noch gut verträglich.

Was hältst du von italienischem «caffè»? Lass mich in den Kommentaren wissen, ob das für dich alles kalter Kaffee ist, oder ob du jetzt nicht auch Lust hättest auf einen Espresso.

Titelfoto: Shutterstock

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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