Hintergrund

Wandern mit Kindern: Lust oder Frust?

Martin Rupf
12.10.2022

Nur weil ich gerne z'Berg gehe, heisst das noch lange nicht, dass meine Kinder diese Passion mit mir teilen. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Zum ersten Mal habe ich mit meinen Kindern eine Hütten-Wanderung unternommen. Hier mein persönliches Tagebuch von 2700 Höhenmetern, 20 Wander-Kilometern, 8 Pack Chips und fast so vielen Packungen saure Öpfelringli.

Soll ich meinem Sohn den Rucksack abnehmen oder soll ich nicht?

Doch bevor die Wanderschuhe zum Einsatz kommen, geht es mit Zug und Postauto nach Wildhaus im sankt-gallischen Toggenburg. Wenig erstaunlich finden unsere Kinder an diesem Teil der «Wanderung» grossen Gefallen. Während draussen die wunderschöne Herbstlandschaft – der Altweibersommer zeigt sich in den nächsten drei Tagen von seiner besten Seite – vorbei gleitet, wird im Zugabteil bereits ein ansehnlicher Teil des Lunchs vernichtet.

Dann die erste wegweisende Entscheidung. Sollen wir ab Wildhaus die ersten 300 Höhenmeter zu Fuss bewältigen oder nehmen wir die Dienste der Gondel in Anspruch? Eine rhetorische Frage, vor allem wenn du deine Kinder bei einer solchen Entscheidungsfindung involvierst. Natürlich nehmen wir die Gondel, die bereits ein beachtliches Loch in unser Wander-Budget reisst. Oben angekommen, gibt’s eine letzte WC-Pause und dann geht's endlich los.

Die Väter, wissend, was der Tag noch bringt, laufen gemächlich los. Die Kinder, nicht wissend, dass noch 700 Höhenmeter vor ihnen liegen, rennen übermütig voraus, die mahnenden Worte unsererseits ignorierend. Flankiert von imposanten Felswänden geht’s erst einmal gemütlich vorwärts.

Nachdem mein Sohn mehrmals dem Kollaps nahe war – hat er zumindest behauptet –, erreichen wir endlich die Zwischenhöhe. Weiter oben auf dem Pass, nochmals 200 Meter höher, sehen wir bereits die «Zwinglipasshütte». Doch was heisst hier bereits: «Waaaaaaaaaaaas, so weit müssen wir noch wandern», tönt es fast unisono. Es muss hier noch erwähnt werden: Alle Kinder tragen einen kleinen, relativ leichten Rucksack.

Geheimtipp: Wandert als Gruppe, dann bekommt ihr ein Zimmer für euch

Nicht nur für die Kinder, auch für Flo und mich ist eine SAC-Hütte Neuland. Barbara und Bruno begrüssen uns freundlich. Wir sind die ersten Gäste von rund 28 Wandersleuten, die das Wirtepaar an diesem Abend erwartet.

Unkompliziert, aber doch bestimmt werden wir von Bruno in die Hüttenregeln eingeführt. Unser Glück: Weil wir zu siebt unterwegs sind, bekommen wir ein eigenes Zimmer. Das ist weiss Gott keine Selbstverständlichkeit, ist doch der Massenschlag die Regel einer jeder Übernachtung in einer SAC-Hütte.

Leider kann von Schlafen vorerst keine Rede sein. Denn dummerweise befindet sich genau auf der anderen Seite der Wand die Toilette. Jedes Mal, wenn jemand Papier aus dem Spender zieht, rattert es, als würde mit einer Maschinenpistole Jagd auf Murmeli gemacht werden. Darauf angesprochen verspricht Hüttenwart Bruno, den Papierspender anderswo anzubringen.

Appenzeller Gastfreundschaft – oder wie mich die Gastwirtin zurechtwies

Geschlafen habe ich dann doch noch und, wie ich am Morgen erfahre, auch die Kinder sehr gut. Nach dem Frühstück machen wir uns etwa um 10 Uhr auf die zweite Etappe. Doch halt: Erst muss die Blase an der Ferse meiner Tochter aufgestochen und fachmännisch mit einem Pflaster abgedeckt werden.

Eine halbe Stunde später ist der Fall hingegen klar. Mein Adlerauge hat eine Herde Gämsen entdeckt. Staunend sitzen wir am Fusse einer riesigen Felswand und schauen den Tieren beim Weiden zu. Ein wohliges Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit überkommt mich, dass ich meinen Kindern diese Momente des Friedens in der Natur schenken darf.

Hüttenwart Peter: Vom Burnout zum perfekten Gastgeber

Und auch Hüttenwart Peter trägt seinen Anteil zum Ambiente bei. Vor acht Jahren erlitt der heute 67-jährige Unternehmer ein Burnout, das ihn zwang, die Weichen neu zu stellen. Und so übernahm er vor drei Jahren er als Pächter die Hundsteinhütte.

Und er tut dies mit sehr viel Leidenschaft. Seine Mischung aus Herzlichkeit und väterlicher Strenge kommt bei den Kindern gut an. Wieder haben wir Glück und erhalten als siebenköpfige Gruppe ein Zimmer für uns.

Wie schon am ersten Abend ist für die Kinder ein Höhepunkt, das Nachtlager bereit zu machen. Dazu gehört etwa, die Kissen mit den eigens mitgebrachten Kissenbezügen zu beziehen und die ebenfalls mitgeführten Inlett-Schlafsäcke auszubreiten.

Meine Argumente stechen nicht, da kommt mir der Hüttenwart unverhofft zur Hilfe

Tag 3: Geschlafen haben wir alle ziemlich gut und auch Muskelkater und Wehwehchen von den ersten zwei Tagen halten sich in Grenzen. Um acht Uhr gibt’s Frühstück. Und auch hier punktet Peter als Gastgeber mehrfach. Da wäre zum einen sein selbst gebackenes Brot und zum anderen das hausgemachte Birchermüesli.

Die Autobahn auf dem Grat hat es in sich

Auch wenn es die anderen nicht gerne zugeben: Die Routenänderung hat sich so was von gelohnt. Nachdem wir den Fählensee passiert haben, erreichen wir nach gut einer halben Stunde den Pass «Letzi Saxerlücke».

Nochmals eine Viertelstunde später stehen wir oben auf dem Grat. Wir werden mit einer fantastischen Aussicht hinunter ins Rheintal, das mehrheitlich noch unter einer Nebeldecke liegt, belohnt.

Und genüsslich blicke ich immer wieder den Abhang hinunter, wo sich weit und teils im Schatten liegend unsere ursprüngliche Route befindet. Nach rund drei Stunden haben wir endlich den Hohen Kasten erreicht, wobei es der letzte Aufstieg hinauf zur Bergstation nochmals so richtig in sich hat. Doch auch diese letzte giftige Passage meistern unsere Kinder ohne Wehklagen.

Am Schluss hat es sich gar nicht mehr ums Drehrestaurant gedreht

Ich bin mir fast sicher, dass es nicht unsere letzte Hüttenwanderung bleiben wird. Und für nächstes Mal weiss ich auch, was als Lockmittel für eine etwas anspruchsvollere Route ziehen könnte: ein Drehrestaurant.

Cartoon: Stephan Lütolf

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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