Hintergrund

Ultraweitwanderer Carsten Jost: Tausende Kilometer zu Fuss unterwegs

Siri Schubert
18.10.2023

Allein die Namen klingen magisch: Pacific Crest Trail und Appalachian Trail. Für Weitwandernde sind sie Traum und Herausforderung zugleich. Carsten Jost hat beide Trails durchwandert.

4240 Kilometer hat Carsten Jost zu Fuss in den USA zurückgelegt. Mit Rucksack, Zelt und sonst sehr wenig. Auch in Europa ist er immer wieder auf längeren Wandertouren unterwegs, so etwa auf dem GR11 in den spanischen Pyrenäen vom Atlantik bis zum Mittelmeer. Seine aktuell geplanten Touren sind weniger weit entfernt und auch kürzer: In den Alpen gibt es noch viele ein- bis zweiwöchige Touren, die ihn reizen. Die Erfahrungen, die er in den USA gesammelt hat, helfen ihm auch auf Trails in europäischen Gefilden.

Um seine Leidenschaft für das Unterwegssein in der Natur zu teilen, bietet er auf Fastpacking Kurse an und gibt Tipps. Zudem ist er Referent bei den German Trail Days im November in Deutschland und plant für das kommende Jahr weitere Workshops.

Du bist Ultraweitwanderer. Was genau muss ich mir darunter vorstellen?

Carsten Jost: Hmmh – ich bin mir gar nicht sicher, ob es da eine Definition gibt, was «ultra» im Wanderbereich bedeutet. Ich bin noch vor einigen Jahren Wanderwege mit Rucksack und Zelt gelaufen, die mehrere hundert, manchmal mehrere tausend Kilometer lang waren. Jetzt sind meine Touren kürzer.

Du bist den Appalachian Trail gewandert, der sich über mehr als 3500 Kilometer vom US-Bundesstaat Georgia bis hin zum US-Bundesstaat Maine erstreckt. Ausserdem den Pacific Crest Trail, der sich über rund 4270 Kilometer von der US-mexikanischen bis zur US-kanadischen Grenze schlängelt. Wie lange warst du jeweils unterwegs?
In beiden Fällen etwa fünf Monate.

Was waren deine schönsten Erlebnisse auf den Trails?
Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge, neue Freunde zu finden und Tiere in der Wildnis zu beobachten. Die Liste könnte ewig lang werden. Wenn dein Tag aus – ich zitiere mal Christine Thürmer, die meistgewanderte Frau der Welt – essen, schlafen und laufen besteht, dann ist viel Raum vorhanden, sich an Dingen zu freuen, die einem vielleicht sonst gar nicht auffallen.

4270 Kilometer entlang der US-amerikanischen Westküste schlängelt sich der Pacific Crest Trail.
4270 Kilometer entlang der US-amerikanischen Westküste schlängelt sich der Pacific Crest Trail.
Quelle: Sébastien Goldberg/Unsplash

Was waren die wichtigsten Lektionen, die du unterwegs gelernt hast?
Manche Dinge kann man nicht ändern, nur die Art, mit ihnen umzugehen. Und man ist zu sehr viel mehr imstande als man glaubt, wenn man ein Ziel hat, auf das man Tag für Tag, Schritt für Schritt hinarbeitet.

Was hat dich inspiriert, die langen Wanderungen zu unternehmen?
Eine Trekkingtour auf dem West Coast Trail auf Vancouver Island in Kanada. Das war das erste Mal Wildnis für mich und ich wollte mehr davon erleben.

Mehr davon: Draussen in der Natur erlebt Carsten Jost viele schöne und bereichernde Momente.
Mehr davon: Draussen in der Natur erlebt Carsten Jost viele schöne und bereichernde Momente.
Quelle: Carsten Jost

Was ist dein nächstes Abenteuer zu Fuss?
Ich bin mittlerweile verheiratet, habe zwei Kinder, ein Haus, einen Baum gepflanzt … das ganze Paket. Gern würde ich noch den Continental Divide Trail in den USA laufen oder das Gröna Bandet in Schweden. Realistisch ist aber wahrscheinlich eher der Grenzgängerweg im Allgäu, der etwa sechs Tage dauert.

Wie bereitest du dich darauf vor?
Früher habe ich mich nicht vorbereitet, habe in den ersten Wochen ein bisschen gelitten und dann lief das schon. Jetzt würde ich einfach ein paar Monate vorher mit der Vorbereitung anfangen und an den Wochenenden längere Touren irgendwo zu Hause unternehmen.

Kannst du etwas zu deiner Ausrüstung sagen?
Ich habe Sachen dabei, die man als ultraleichte Ausrüstung bezeichnen würde. Einen superleichten Daunen-Quilt, also eine Daunendecke, keinen Schlafsack, einen ultraleichten Rucksack ohne Gestell, ein einwandiges Tarptent, also eine Mischung aus Plane und Zelt, und eine sehr leichte, aufblasbare Isomatte. Und von allem anderen am besten ganz wenig.

Geschafft: Carsten Jost am Ende des fünfmonatigen Laufabenteuers auf dem Appalachian Trail.
Geschafft: Carsten Jost am Ende des fünfmonatigen Laufabenteuers auf dem Appalachian Trail.
Quelle: Carsten Jost

Wie hast du die Ausrüstung im Laufe der Zeit angepasst?
Ich glaube, dass ich die ganz normalen Ausrüstungswellen mitgemacht habe, bevor bei mir ein bisschen «Weisheit» eingesetzt hat. Ich habe leicht angefangen und dann gerade auf den langen Touren gemerkt, dass es häufig noch leichter geht. Dann kam die Phase, in der man das Gewicht nicht mehr über weglassen, sondern nur noch über den Neukauf der neuesten, heissesten Ausrüstung einsparen konnte. Heute ist es so, dass ich einen leichten Rucksack immer noch sehr schätze, ich mich aber nicht ärgere, wenn meine Packliste mal nicht ultraleicht ist.

Angenommen, ich will im Herbst ein bis zwei Wochen wandern und auch biwakieren. Welche Tipps würdest du mir geben?

Das ist jetzt schon eine komplizierte Frage, weil der Herbst eine sehr angenehme Zeit sein kann, wenn die Sonne scheint oder ganz schön garstig, wenn es regnet. Wie leicht man hier unterwegs ist, kommt ein bisschen aufs Wetter und ein bisschen aufs eigene Können an.

Was benötige ich an Ausrüstung? Wie bereite ich mich vor?
Grundsätzlich würde ich mit einer normalen, ultraleichten Ausrüstung für Drei-Jahreszeiten-Touren losgehen. Da finden sich im Internet unzählige Packlisten, an denen man sich orientieren kann. Aber eines ist toll am Herbst (lacht): Die Mücken sind weg. Bei guten Verhältnissen kann man also getrost mit einem sehr leichten Tarp unterwegs sein.

Welche Missverständnisse gibt es zum Ultraweitwandern, die du gerne korrigieren möchtest?
Man kann das in jedem Alter machen und muss nicht obersportlich sein. Ich habe Leute mit über 60 auf dem Pacific Crest Trail getroffen, die den Trail genauso fertig gelaufen sind wie ich, ebenso wie Couch-Potatoes, die dann unterwegs fitter wurden. Einfach mal loslaufen, wenn du Bock drauf hast. Ultraleichte Ausrüstung ist hier kein Muss, aber sie hilft. Oft bekommt man seine herkömmliche Ausrüstung durch Weglassen schon in einen Bereich, in der sie leicht genug für einen Weitwanderweg ist.

Mount Katahdin: der nördlichste Punkt des Appalachian Trails.
Mount Katahdin: der nördlichste Punkt des Appalachian Trails.
Quelle: Joseph Holihan/Unsplash

Wenn jemand ins Weitwandern einsteigen möchte, aber nicht genau weiss, wie anfangen – was würdest du empfehlen?
Ich glaube, die meisten Leute, die mit dem Weitwandern loslegen wollen, haben entweder eine starke Wander- oder Trekking-Vorgeschichte – die hatte ich zum Beispiel — oder einen sehr starken Wunsch, sowas zu machen. Die wirklich grösste Hürde bei Weitwanderwegen ist es, loszulaufen, sich die Zeit zu nehmen. Sich mehrere Monate freizuschaufeln macht einem viel mehr Stress, als beispielsweise in einem Outdoorladen ein paar Hundert Euro für eine superleichte Regenjacke auszugeben. Mein Tipp wäre hier also: Such dir einen Weg, der dich anmacht, such dir Leute, die den schon gelaufen sind und dir Mut machen. Wenn du den Jakobsweg laufen willst, hilft es dir wenig, wenn dir jemand erzählt, dass irgendein anderer Trail so viel schöner ist. Let your passion guide you.

Was sind typische Anfängerfehler, die es zu vermeiden gilt?
Eine Antwort hierauf ist immer eine Gratwanderung (schmunzelt). Ich halte schwere Ausrüstung für einen Anfängerfehler. Eine ultraleichte Ausrüstung, die vielleicht nicht richtig benutzt wird, weil die Erfahrung fehlt, ist allerdings genauso schlimm. Gleich am Anfang zu viel zu laufen, kann zu Verletzungen führen. Zu kurze Tagesetappen zu planen, ist aber auch nicht optimal, weil man dann länger zur nächsten Versorgungsstelle braucht und mehr Lebensmittel schleppen muss. Ich glaube, mein grösster Anfängerfehler war meine damals fast unumstössliche Meinung, genau zu wissen, was ich tue (lacht). Wusste ich nicht.

Titelfoto: Carsten Jost

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Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.


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