Ratgeber

Töff-Reparatur für Anfänger: Spiegel ersetzen leicht gemacht

Motorräder sind mechanisch simple Geräte. Das geht zurück in die Geschichte der Motorräder, denn bevor eine Chopper Chopper war, musste sie unter Beschuss von Amateuren repariert werden können.

Eigentlich ist Carla schuld.

Vergangenen Freitag hat die Zero-Waste-Lebefrau, Buchautorin, Schneiderin und Haare-Zöpflerin Carla Opetnik auf einem Parkplatz ihre ersten Runden auf einem Motorrad gedreht. Meinem Motorrad. Bevor sie sich voll dem Biker Lifestyle verschreibt, will sie wissen, ob ihr das Leben im Sattel überhaupt gefällt.

«Was kann da schon schiefgehen», denke ich mir und biete ihr meine Harley-Davidson Street Rod an.

Bis hierhin ging noch alles gut: Carla auf meiner Harley-Davidson Street Rod.
Bis hierhin ging noch alles gut: Carla auf meiner Harley-Davidson Street Rod.

200 Meter später liegt die Harley auf der Seite, der linke Seitenspiegel einige Meter daneben. Carla ist unverletzt.

Das Erbe aus dem Zweiten Weltkrieg

Stellt sich raus, dass die Street Rod extrem gut darin ist, auf der Seite zu liegen. Der Spiegel und das linke Fussraster fangen das Gewicht ab, die schönen Teile bleiben unzerkratzt. Nur der Seitenspiegel muss ersetzt werden. Das Ersatzteil ist schnell bestellt, einige Tage später klingelt das Telefon im Büro. Ich könne in der Werkstatt vorbeikommen und den Spiegel ersetzen lassen. Darum ist früh Feierabend. Prioritäten.

Die Harley sieht ohne Spiegel armselig aus. Armes Ding.
Die Harley sieht ohne Spiegel armselig aus. Armes Ding.

«Ersetzen lassen» habe ich anscheinend falsch verstanden. «Ich soll das machen? Nein, ich geb dir Werkzeug, dann kannst du das selbst. Geht zehn Minuten. Maximum», sagt Joël Brönnimann von der Abteilung Service and Parts bei Harley Heaven in Dietikon. Es sei ihm ein Anliegen, dass jeder Biker auf der Strasse zurechtkommt und im Notfall selbst Hand anlegen kann.

Denn Joël weiss, was schon Ralph Hubert Barger, besser bekannt als Sonny Barger, wusste. Der Gründer des Oakland Chapters des Motorradclubs Hells Angels beschreibt. in seiner Autobiografie das, was Biker von heute immer noch leben müssen.

These days bikes are a lot more reliable and everyone has a cell phone; if something does go wrong, you can just call for help. But back then if your bike broke down, you had two choices: fix it or walk. To be a motorcycle rider in the early days of motorcycling meant that you had to be a decent motorcycle mechanic, too.
Sonny Barger, Let's Ride: Sonny Barger's Guide to Motorcycling, ISBN 978-0061964275

Kurz: Jeder Biker muss auch ein bisschen Mechaniker sein. Denn Motorräder haben ein Geheimnis: Sie sind mechanisch erstaunlich simpel. Das geht unter anderem auf die Entstehung der Chopper-Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA zurück. Nachdem die Nazis besiegt sind, stehen die Motorräder der Alliierten – Harley-Davidson WLA, auch bekannt als Liberator – unnütz herum. Soldaten, jetzt wieder Zivilisten, kaufen sie sich, da sie die einhändig bedienbaren Maschinen über Jahre lieben gelernt haben. Und sie sind günstig.

Die Harley-Davidson WLA hat die Chopper-Szene zu verantworten.
Die Harley-Davidson WLA hat die Chopper-Szene zu verantworten.

Liberators sind so gebaut, dass sie mit minimalen mechanischen Kenntnissen im Kriegsgebiet Europas repariert werden können. Ersatzteile sind rar oder teuer oder nicht besonders stylish. Daher nehmen die Biker von damals ihre Liberators auseinander – englisch «chopped apart» – und neu zusammengesetzt. Voilà: Chopper.

Das Erbe der Vorfahren prägt die Harleys bis heute. Der Spiegel meiner 2020 Street Rod besteht aus einer Metallstange mit einem Spiegel daran. Keine Toter-Winkel-Sensoren oder Lichter oder Spiegelheizungen.

Genau darum, will Joël auch gar nicht an meiner Maschine herumschrauben. Da stehen Härtefälle und Tuning-Projekte in der Werkstatt, die Aufmerksamkeit und Zeit erfordern. Ein Biker ist auch Mechaniker. Und wenn Liberators aus dem Zweiten Weltkrieg noch heute rumkurven, dann kann ein Spiegel nicht so verreckt kompliziert sein.

«Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Ich helf dir schon, aber zuerst schraubst du selbst.»

10 Minuten zum neuen Spiegel

Die Reparatur eines Spiegels an den Lenkerenden ist simpel. Du brauchst folgendes Werkzeug und etwa zehn Minuten Zeit:

PB Swiss Tools Stiftschlüsselsatz - PB Rainbow - lang - Kugelkopf
Sechskantschlüssel
CHF49.70

PB Swiss Tools Stiftschlüsselsatz - PB Rainbow - lang - Kugelkopf

Das Spiegelglas ist an einer Spiegelhalterung angebracht. Die Halterung ist standardisiert, also kannst du so ziemlich jeden Lenkerendspiegel an deine Maschine montieren. Die Aussenspiegel sind manchmal mit Sechskantschrauben verschraubt, manchmal mit anderen Schrauben. Denn da kommt Style ins Spiel. Mein Spiegel ist recht brachial befestigt.

Wenn du den Lenker von der Seite her ansiehst, dann sieht das so aus:

Das Quadrat in der Mitte ist genauso gross wie der Teil der Ratsche, auf den du die Nuss steckst. Du brauchst also keinen Aufsatz.

Darunter liegt eine Inbus-Schraube.

Der Rest ist simpel. Quadratschraube – ich nenne das einfach mal so, ich bin Journalist, kein Mechaniker – auf, Sechskantschraube auf. Kaputte Teile weg, neue Teile ran, WhatsApp an Carla schreiben, Cola trinken, losfahren.

Zuerst müssen die kaputten Teile raus.
Zuerst müssen die kaputten Teile raus.

Kurz: Viele kleine Reparaturen am Bike kannst du selber machen. Vielleicht ist dein Spiegel an einer anderen Stelle, vielleicht mit einem anderen Schraubsystem versehen. Aber da ein Töff ein mechanisch simples Gerät ist, brauchst du nur einen guten Werkzeugkasten und schon bist du im Rennen. Zieh einfach alle Schrauben sauber und richtig fest an. Denn wenn dir bei 80 km/h eine Schraube zu locker wird, dann versaut dir das so richtig den Tag.

Und Carla? Sie hat den Spass am Töfffahren gefunden. Wir gehen demnächst einen Helm kaufen. Mir war's die paar Fränkli für den Spiegel wert, denn schon bald fressen wir gemeinsam Kilometer über die Pässe und Berge der Schweiz.

Die Quadratschraube musst du gut anziehen.
Die Quadratschraube musst du gut anziehen.

So. Fertig. Wenn du dich je gefragt hast, was die ganzen komischen Stoffrollen vorne an den Choppern in all den Filmen sein sollen: Das sind Werkzeugkästen. Denn wie Sonny Barger sagt: Jeder Töfffahrer ist immer auch ein bisschen Töffmechaniker.

11 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


E-Mobilität
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Basteln
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Garten
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Pflanzen
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Ratgeber

    Trotti-Klau: Wie du die Scooter sichern kannst

    von Michael Restin

  • Ratgeber

    Geschichten aus der Velowerkstatt: die Reifenpanne

    von Patrick Bardelli

  • Ratgeber

    Siris Freiluftlabor: Warum die Fahrradkette im Reiskocher landete

    von Siri Schubert

10 Kommentare

Avatar
later