
Kritik
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von Kevin Hofer
«SpreadCheat» ist ein absurdes, kurzes Spiel, in dem ich die Bücher frisiere, den PC meines Chefs von Malware befreie oder ein paar Linien ziehe. Ach ja: Das Ganze spielt in den 90ern.
Willkommen bei Brocorp. Hier bin ich der «New Guy» auf Lebzeiten, weil sich mein Chef meinen Namen sowieso nicht merken kann. Glücklicherweise habe ich «kreative» Accounting-Skills, wodurch er mich auch noch schamlos ausnutzen kann.
Klingt absurd, ist es auch. Hinzu kommt, dass die Oberfläche des Spiels an Excel in Windows 3.1 erinnert und mein Boss sowie die Arbeitskollegen aussehen wie in einem Computerspiel anno 1990. Das kurzweilige, an Sudoku erinnernde Spiel macht Spass und dauert gerade so lange, dass es nicht nervig wird.
Ob ich verrückte Tabellenkalkulations-Skills habe, werde ich gleich zu Beginn des Spiels gefragt. Nun, meine sind seit meiner KV-Lehre 2001 etwas eingerostet, aber WENN-Funktionen habe ich noch heute im Griff. So weit muss ich aber zum Glück nicht gehen.
Mein Chef will von mir, dass ich die Zahlen beschönige. Der Gameplay-Loop besteht darin, dass er mir immer wieder neue Tabellen vor den Latz knallt und mir sagt, welches Ergebnis er in der letzten Zelle will. Ich muss dann durch das Einsetzen von vorgegebenen Zahlen, deren Subtraktion, Addition oder Multiplikation zum Ziel gelangen.
So kann ich meinen Bro-Chef, der selbstverständlich kein Bro ist, sondern einfach ein Arschloch, beeindrucken. Gleich zu Beginn fragt er mich, ob ich «cool» bin. Statt ihm einfach nur zu antworten, beweise ich es ihm mit meinen Skills. Die nutzt er aus, um sich selbst zu bereichern und in der Unternehmung aufzusteigen. Ich sag's ja: Arschloch.
Dadurch bringt er sich selbst immer wieder in missliche Situationen, weil er auch noch unfähig ist. Und so muss ich nicht nur Zahlen frisieren, sondern auch seinen PC von Ads für «heisse Singles aus der Nähe» befreien, die Faxmaschine reparieren oder die Sexpuppe von der Office-Party am vorangegangenen Tag, zu der ich selbstverständlich nicht eingeladen war, verschwinden lassen.
Dabei steuere ich alles exklusiv mit der Maus. Zahlen muss ich nicht mit der Tastatur eintragen, sondern die vorgegebenen in die entsprechenden Zellen befördern. Das macht das Gameplay noch simpler als die Tabellenkalkulation. Auch sind die Rätsel im «normalen» Schwierigkeitsgrad relativ einfach, weil ich meist nur Zahlen zusammenrechnen muss. Das Niveau erhöht sich etwas beim «schwierigen» und «unmöglichen» Modus, aber ein Tabellenkalkulationsgenie muss ich auch da nicht sein.
«SpreaCheat» trieft geradezu vor 90er-Charme. Das fängt bei der wie Windows 3.1 anmuteten Spieloberfläche an. Im Hintergrund sind meist pixelige Bilder zu sehen. Mein Chef und die anderen Mitarbeitenden unterscheiden sich kaum voneinander, weil sie wie in Computerspielen jener Zeit üblich aus wenigen Polygonen bestehen. Untermalt wird das Ganze von einem eingängigen MIDI-Soundtrack.
Highlight ist Corpy – ein Clippy-Knock-off, der wie das Original nervt. Meist beleidigt er mich unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft, mal mehr und mal weniger offensichtlich. Zitat: «Und ich habe gedacht, ich sei der Dumme von uns beiden». Erscheint Corpy, folgt er meinem Cursor – auch ausserhalb des Spielefensters. Da fühle ich mich glatt in die 90er zurückversetzt, was ich gleichzeitig hasse und liebe.
Der Humor ist meist deftig und zwischendurch auch plump, so wie ich die 90er in Erinnerung habe. Etwa, wenn mein Chef mich fragt, ob ich auch wirklich 110 Prozent gäbe. Denn er würde für eine Weile nur 90 Prozent leisten, weil er einfach keine Lust habe. Deshalb müsse ich halt mehr geben, damit die Chefetage nicht misstrauisch wird, wenn zehn Prozent fehlen. Während er mir das sagt, spielt er Indoor-Golf. Für die Dauer des Spiels – ich war nach etwa einer Stunde zum ersten Mal durch – ist das witzig. Aber etwas länger und es wäre mir auf den Senkel gegangen.
«SpreadCheat» wurde mir von Games People Play zur Verfügung gestellt. Das Spiel ist seit dem 5. Mai für PC erhältlich.
«SpreadCheat» ist ein Sudoku-ähnliches Rätselspiel, das mit viel 90er-Charme daherkommt. Gameplaymässig macht es nichts neu, aber der teils derbe und plumpe Humor lockert es auf. Ich hatte durchaus meinen Spass.
Das Spiel an sich ist nicht sonderlich fordernd, ich wünschte mir noch schwierigere Rätsel, die den Wiederspielwert erhöhen würde. Falls du gerne knobelst und dich gerne in die 90er zurückversetzt fühlst, kann ich dir «SpreadCheat» dennoch empfehlen.
Pro
Contra
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.