Hintergrund

Polyzystisches Ovarialsyndrom: die häufigste Hormonstörung von Frauen

Kaum jemand kennt es, dabei ist weltweit rund ein Fünftel der Frauen im gebärfähigen Alter vom Polyzystischen Ovarialsyndrom betroffen. Die Dunkelziffer ist vielleicht sogar noch höher. Doch es gibt Gründe, warum die Erkrankung so selten diagnostiziert wird.

Geheimratsecken, Oberlippenbart, Fruchtbarkeitsprobleme, Übergewicht. Was ich beschreibe, ist kein Klischee eines Mannes mittleren Alters, sondern die Symptome einer der häufigsten Hormonstörungen von Frauen in ihren reproduktiven Jahren: das Polyzystische Ovarialsyndrom, kurz: PCOS. Noch nie etwas davon gehört? Ich auch nicht.

Der Grund für die hohe Dunkelziffer sei die schwierige Erkennung: «PCOS ist ein Chamäleon. Es gibt kein eindeutiges Leitsymptom, das alle betroffenen Frauen haben.» Zeit, die Bildungslücke zu schließen, Licht ins Dunkel zu bringen und über Symptomatik, Diagnose und Behandlung zu sprechen.

Polyzystisches Ovarialsyndrom: Was man bisher über die Entstehung weiß

Warum es dazu kommt, ist nicht abschließend geklärt, sagt Dr. Roth-Hochreutener. In der Fachwelt gehe man von einer multifaktoriellen Genese aus – also von einem Zusammenspiel mehrerer Ursachen. Auch die genetische Veranlagung scheint eine Rolle zu spielen.

«Was man bisher herausfinden konnte: Bei den Betroffenen liegt oft ein gestörter Insulinstoffwechsel vor. Quasi eine Art Vorstufe zu Diabetes.» Durch den gestörten Zuckerstoffwechsel kommt es in weiterer Folge zu einem gestörten Hormonhaushalt.

Die Expertin erklärt: «Durch einen Insulinüberschuss kann es zu einer vermehrten Bildung und Ausschüttung androgener, also männlicher Hormone kommen. Die Eizellreife am Eierstock, eine Grundvoraussetzung für Zyklus und Schwangerschaft, wird dadurch gestört.»

Dieser Überschuss männlicher Sexualhormone wird auch Hyperandrogenämie genannt, doch er liegt nicht bei allen, sondern bei rund zwei Dritteln der PCOS-Patientinnen vor. Wie gesagt, es ist kompliziert.

PCOS: Eine komplexe Symptomatik

Durch den gestörten Hormonhaushalt ergibt sich ein komplexes Beschwerdebild. Diagnoseleitend sind vor allem Zyklusstörungen, sagt Expertin Roth-Hochreutener: «Das Symptom, das rund drei Viertel aller Patientinnen zu uns führt, ist die Oligomenorrhoe – also sehr lange Zyklen mit Abständen zwischen der Periode von mehr als 35 Tagen.»

Zusätzlich weisen die meisten Frauen mit PCOS vermehrte Eibläschen (Follikel) an den Eierstöcken auf, die auch namensgebend für das Krankheitsbild sind: Poly (viele), Zysten (Bläschen) und Ovar (Eierstock).

Bei Frauen, die Eibläschen als isoliertes, also einziges Symptom aufweisen, spricht man übrigens von PCO (polyzystische Ovarien). Bei mehreren zusätzlichen Symptomen ist hingegen vom PCOS (Polyzystisches Ovarialsyndrom) die Rede.

Und schließlich deuten schwer in den Griff zu bekommende Gewichtsprobleme auf das Polyzystische Ovarialsyndrom: «Zwei Drittel der Patientinnen leiden an Übergewicht, die Hälfte aller PCOS-Patientinnen sogar an Adipositas, also an Fettleibigkeit» sagt Dr. Roth-Hochreutener.

Polyzystisches Ovarialsyndrom: Von vielen Symptomen zu einer Diagnose

Wie du dir vorstellen kannst, ist die Diagnose alles andere als einfach und benötigt Fachexpertise. Bei vielen jungen Frauen werden Symptome wie unregelmäßige Zyklen durch die Antibabypille unterdrückt und erst Jahre später weiter untersucht, zum Beispiel wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. PCOS-Expertin Roth-Hochreutener bestätigt: «Bei den Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch stellen wir die Diagnose überdurchschnittlich oft.»

Eine Hilfestellung bei der Diagnose geben die so genannten Rotterdam-Kriterien: Frauen werden auf die drei Kernsymptome untersucht:

  • Zyklusstörung (zu lange Abstände zwischen den Blutungen oder Ausbleiben der Periode für mehr als drei Monate)
  • Anzahl der Eibläschen im vaginalen Ultraschall (ab 20 Bläschen an mindestens einem Eierstock) oder ein vergrößertes Eierstockvolumen
  • Hyperandrogenämie und Hirsutismus

Können zwei der drei Symptome nachgewiesen werden, lautet die Diagnose: Polyzystisches Ovarialsyndrom. Die Hormondiagnostik und Untersuchung der Eierstöcke im Ultraschall sollte frühzyklisch stattfinden, also in den ersten fünf Tagen des Zyklus. Sie besteht aus der Hormonbestimmung durch eine Blutuntersuchung und dem Ultraschall.

Hormonpräparate wie die Antibabypille sollten für aussagekräftige Ergebnisse drei Monate vor der Diagnose abgesetzt werden.

Krebs, Diabetes, Depression: Risiken von PCOS

Auch Karzinome im Endometrium, also Krebs der Gebärmutterschleimhaut, können bei PCOS besser wachsen. «Weil es bei PCOS seltener zum Eisprung kommt, fehlt das Gelbkörperhormon – die Grundlage für das Abbluten der Schleimhaut. Auch Übergewicht und Diabetes erhöhen das Risiko für Krebs der Gebärmutterschleimhaut zusätzlich.» sagt die Ärztin.

Und schließlich ist PCOS eine psychische Belastung für Betroffene. «Frauen mit vermehrter Körperbehaarung, Akne und Übergewicht leiden», sagt Roth-Hochreutener. «Es kommt bei diesen Patientinnen vermehrt zu Angst- und Essstörungen, wie auch zur Depression. Darüber wird leider viel zu selten gesprochen. Studien belegen eine reduzierte Lebensqualität bei PCOS-Betroffenen.»

PCOS ist nicht heilbar: Welche Therapien gibt es dann?

Da PCOS nicht heilbar ist, geht es bei der Therapie um die Symptomkontrolle. Im Vordergrund steht die Zyklusregulierung, etwa mit Gelbkörperhormonen in der zweiten Zyklushälfte oder der Antibabypille. Auch das Medikament Metformin zeigt positive Effekte auf die Zyklusregulation, da es den Zucker- und Hormonhaushalt ins Gleichgewicht bringen kann.

Zudem ist die chirurgische Entfernung der Eibläschen oder von Teilen des Eierstocks möglich, aber keine First-Line-Therapie. Die Expertin sagt: «Daten zeigen, dass dadurch die Produktion androgener Hormone gehemmt wird und somit Hirsutismus, Akne, Zyklusstörungen und auch Schwangerschaftschancen verbessert werden können. Daran sollten Betroffene aber erst denken, wenn sonst nichts wirkt.»

Der erste Weg zur Besserung liegt nicht in aufwendigen Therapien, sondern im Alltag: «Der Lebensstil ist die Grundlage der Therapie. Er ist fast das Wichtigste», sagt PCOS-Spezialistin Roth-Hochreutener. Eine gesunde Ernährung und Bewegung gelten bereits als wichtige Regler der Symptomkontrolle: «Durch die Gewichtsreduktion können männliche Hormone gesenkt, die Fruchtbarkeit gesteigert und andere Risikofaktoren reduziert werden.»

Titelfoto: shutterstock

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Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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