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Polar Vantage V Review: Vom Werkzeug zum Lifestyle

Mit der Polar Vantage V beschreitet Polar neue Wege. Weg vom reinen Werkzeug, hin zu etwas Lifestyle-Smartwatch. Verrät die finnische Marke ihre Tradition?

Polar ist legendär. Das sei mal vorausgeschickt, denn auch wenn das wie ein Lob klingt, so ist es sowohl Prestige wie auch Bürde für den finnischen Konzern. Seit 1977 hat sich Polar einen Namen gemacht als Hersteller von Sportgeräten, die mindestens den Puls von Sportlern misst. Ohne Kabel, ohne grosse Gerätschaften. Das war anno dazumal revolutionär.

Kurz: Der Markt ist umkämpfter denn je. Trotz der Tatsache, dass Polar als de facto Standard und Benchmark für Sportuhren angesehen wird, darf sich die Marke nicht ausruhen.

Diese Entwicklung hat über die funktional einwandfreie aber im modernen Verständnis hässliche M600 zur Polar Vantage geführt.

Bisher sahen Polar-Uhren so aus.

Die Vantages aber kommen rund daher.

Das ist nur der Anfang in Punkto Neuerungen und die mit Abstand konsequenzloseste. Denn die Vantage ist leicht, bequem und fällt nicht auf. Irgendwie unspektakulär, hardwareseitig. Dennoch: Die Vantages haben es in sich.

Neu etwas Lifestyle

Die wohl für Sportler grösste Neuerung ist die Tatsache, dass Polar mit der Vantage-Serie auf Smartwatch macht und nicht nur auf Werkzeug für Sportler. Du kannst dank neuem Software Update Benachrichtigungen deiner Messaging Apps auf die Uhr spielen.

Ich sag jetzt was Kontroverses: Ich will das nicht.

Noch schlimmer ist das beim Sport. Wenn ich klettere, dann will ich nicht noch wissen, dass ein Newsletter reingekommen ist und Outlook zu dumm ist, den rauszufiltern. Benachrichtigungen unseres Planungstools gehen mir auf dem Velo am Arsch vorbei. Da habe ich besseres zu tun. Ausgleich, Entspannung, Abschalten. Sowas halt.

Technologisch aber funktionieren die Benachrichtigungen tadellos. Auf dem Hauptbildschirm nach oben swipen und da sind sie. Wenn du Apps wie Spotify fernsteuern willst, dann ist die Polar Vantage nichts für dich, denn so smartwatchig ist die Vantage nicht. Noch nicht, vielleicht.

Die Crux mit den Notifications

Dass ich die Notifications aber im Opt-In-Verfahren aktivieren muss und die Uhr eigentlich Uhr mit Sportfunktion ist, macht die Uhr nur sympathischer. Ich mag die Ruhe am Handgelenk sehr. Und die Tatsache, dass ich nicht alle Notifications einzeln ausschalten muss. Einzig bei längeren Velotouren am Wochenende mach ich mir die Mühe und schalte die Notifications ein.

Es zeigt sich, dass das Notification System noch nicht ganz ausgereift ist. Ich erhalte in der Regel nur Notifications von ausgesuchten Kontakten zu definierten Zeiten auf meinem Smartphone. Diese Einstellungen werden von der Polar Vantage nicht übernommen. Schlimmer noch, sobald ich die Notifications aktiviert habe, macht die Uhr etwas ganz Seltsames.

Puls passt

Der Pulsmesser am Handgelenk ist so eine kritische Sache. Historisch gesehen. Denn die Technologie ist relativ neu. Wie mit jeder neuen Technologie sind beim Launch der optischen Pulsmesser einige Dinge zusammengekommen, die dann zum Verruf des Systems geführt haben.

  1. Die Industrie hat etwas ganz neu erfunden oder zum ersten Mal in diese Form gebracht
  2. Das Marketing erklärt das Ding zur Wiederkunft von Technologie-Jesus. Wie hast du es je geschafft, ohne zu leben?
  3. Die Käufer glauben das, kaufen und am Ende haben sie irgendwie nichts davon.

Polar hingegen hat stets auf den Brustgurt gesetzt, zum Punkt an dem Polar und Brustgurt kaum voneinander trennbar waren: Du kannst keinen Puls messen ohne Brustgurt und ohne Uhr keine Daten aufzeichnen. Wenn jetzt Polar vom Brustgurt wegkommt, dann hat die finnische Marke zwei Probleme:

  1. Die Messungen müssen stimmen, denn seit 1977 stimmen sie
  2. Wie rechtfertigt sich der Brustgurt, wenn die Handgelenksmessungen stimmen?

Die gute Nachricht: Die Messungen am Handgelenk stimmen. Du musst die Uhr schon recht krass verrenken oder grob anders tragen, damit der Sensor Werte auswirft, die nicht stimmen können. Ansonsten reden wir von einer Abweichung von plusminus fünf Herzschlägen in der Minute. Für Profisportler mag das zu viel sein, für Amateure und ambitionierte Amateure dürfte plusminus fünf ausreichen.

Training fertig… was nun?

Wenn du etwas ambitionierter und interessierter Sport treibst, dann ist ein datengetriebenes oder datenbeeinflusstes Training naheliegend und interessant. Auch die Daten aus dem orthostatischen Test geben dir zumindest ein Indiz dafür, was du vom Training des Tages erwarten kannst. Ferner kannst du langfristig einen Trend auslesen.

Aber vorsicht: Viele der Daten sind für Laien nur schwer eindeutig deutbar. Nur weil dein Herz irgendwo irgendwas macht, heisst das nicht zwingend, dass irgendwas falsch ist. Bevor du also radikal datengetriebenes Workout betreibst, red mit einem Trainer darüber. Denn dazu sind sie da. Eine Smartwatch oder das Internet wird dir nie ohne vorherige Konversation mit Arzt oder Trainer verlässlichen medizinischen oder sportlichen Rat geben können.

Selbst arbeite ich nur wenig mit den Daten. Etwas Kalorienzählen, mit der Polar Balance mein Gewicht messen und den Schlaf aufzeichnen. Das ist es eigentlich schon. Praktisch ist Flow deswegen, weil ich die Daten exportieren kann. Mein Trainer ist also nicht abhängig von irgendwelchen Apps oder Niederschriften. Ein Workout kann im CSV-Format heruntergeladen und verschickt werden. Zudem werden Workouts auf Wunsch in den Google-Kalender eingespeist.

Ich mag die Vantage sehr. Sie leistet gute Dienste, erlaubt viele Freiheiten und der Akku muss auch nur alle paar Tage mal kurz aufgeladen werden. Apropos aufladen: Um die Vantage zu laden, brauchst du ein separates Kabel. Wenn du das nicht dabei hast und dir der Akku ausgeht, dann hast du ein Problem. Daher rate ich zur Investition in ein zweites Kabel für unterwegs. Dann hast du sicher ein Fallback zuhause.

Wenn du Lifestyle und so Klickibunti-Haitaitai suchst, dann bist du bei der Polar Vantage definitiv falsch. Die Vantage ist ein Werkzeug. Sie macht dir keine Illusionen mit Notifications und Musikfernsteuerung. Sie ist dazu da, um dir Daten über dein Training auszuwerfen, diese zu analysieren und dir Ratschläge zu geben. Der Rest ist alles extra. Dass sie die Zeit anzeigt ist mehr oder weniger Zufall. Und das ist gut so.

Kurz: Polar ist legendär und bleibt das auch.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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