Hintergrund

Nachhaltige Färbemethode: «Bakterien wachsen viel schneller als Pflanzen»

Vanessa Kim
9.8.2021

Klamotten mit lebenden Organismen färben? Die Mode- und Textildesignerin Julia Moser erklärt mir im Gespräch, wie das geht und wie die Zukunft des nachhaltigen Bakterienfärbens aussieht.

Julia Moser ist der lebende Beweis dafür, dass sich Umweltbewusstsein, Naturverbundenheit und ein hoher Designanspruch nicht gegenseitig ausschliessen. Schon früh hinterfragt sie die Modebranche nicht nur in Sachen Materialwahl kritisch. Per Zufall wird die österreichische Designerin aufs textile Bakterienfärben aufmerksam, einer nur wenig erforschten, nachhaltigen Methode, und beschliesst, sich auf Materialinnovation und Biodesign zu spezialisieren.

In ihrem aktuellen Forschungsprojekt «Wachsende Farben. Lebendige Pigmente» setzt sich Julia mit textiler Bakterienfärbung auseinander und forscht, welche alternativen Färbemethoden mit lebenden Organismen – im Zusammenspiel mit traditionellen und neuen Technologien – möglich sind. Welche das sind und ob damit künftig im grossen Stil gefärbt werden kann? Ich habe bei Julia nachgefragt.

Du hast Mode- und Textildesign studiert – wann hast du deine Leidenschaft für Fashion entdeckt?
Julia Moser: Schon als Kind habe ich meine Mutter auf Trab gehalten, weil ich ständig meine Kleidung gewechselt habe. Ausserdem begann ich schon früh damit, sie selbst zu nähen oder abzuändern. Einmal habe ich sogar Sandalen aus Karton und Stoff inklusive Verschlusssystem gebastelt.

In der Kunstschule lernte ich später verschiedene Tätigkeitsfelder und den Umgang mit unterschiedlichen Materialien kennen. Weil meine Verbindung zu Textilien immer besonders war, habe ich mich für das «textil.kunst.design»-Studium an der Kunstuniversität Linz entschieden. Dort habe ich meinen Bachelor und Master absolviert. Nun bin ich in meinem zweiten Masterstudium im Bereich «Fashion & Technology» und stehe kurz vor dem Abschluss. In meinem Forschungsprojekt beschäftige ich mich mit textiler Bakterienfärbung.

Ihre Kindheit auf dem Land hat sie geprägt: Julia ist in Kuchl, einem kleinen Dorf in Österreich, aufgewachsen und sehr naturverbunden. Bild: Yuti Kainz
Ihre Kindheit auf dem Land hat sie geprägt: Julia ist in Kuchl, einem kleinen Dorf in Österreich, aufgewachsen und sehr naturverbunden. Bild: Yuti Kainz

Wie bist du aufs Bakterienfärben gestossen?
Vor Jahren habe ich einen Beitrag über «Pili» gesehen. Die französische Firma macht textile Bakterienfärbungen mithilfe von synthetischer Biologie. Ich war davon dermassen fasziniert, dass ich mich mit dem Thema intensiv auseinandersetzte. Ich habe es dem «Vienna Textile Lab» zu verdanken, dass ich diese Methode nun auch selbst anwenden kann. Hierfür habe ich vor rund eineinhalb Jahren die Basis der textilen Bakterienfärbung in einem Workshop erlernt. Seitdem arbeite, forsche, lerne und erkunde ich die Möglichkeiten der Bakterienfärbung und wage mich in unbekannte Gefilde der Naturwissenschaften vor.

Das heisst, du bist Autodidaktin. Wie hast du dir das nötige biochemische Wissen ohne Vorkenntnisse auf diesem Gebiet angeeignet?
Aufbauend auf den Grundlagen. Ich habe mich nicht nur in die Thematik eingelesen und eingearbeitet, sondern vieles durch die praktische Auseinandersetzung mit Bakterien im Labor und den Austausch mit Mikrobiologen und Chemikern dazugelernt. Mit der Zeit entwickelt sich ein eigenes Verständnis für die Bakterien: Ich erkenne mittlerweile starke Unterschiede zwischen den einzelnen Bakterienstämmen und kann sogar bei solchen derselben Gattung Eigenheiten erkennen.

Für mich ist das Ganze abstrakt: Wie setzt du Bakterien zum Färben von Stoffen ein?
Es gibt verschiedene Wege. Entweder durch die Extraktion der Pigmente – der angezüchteten Bakterien – in einem Fermentationsprozess inklusive anschliessendem Färbevorgang oder durch den Einsatz von lebenden Bakterien. Diese überwachsen Stoffe direkt und färben sie ein.

In beiden Fällen sind Laborbedingungen beziehungsweise eine sterile Umgebung nötig, um den Bakterien optimale Bedingungen zu schaffen und unerwünschte Fremdkontaminationen zu vermeiden. Bakterien brauchen unterschiedliche Nährstoffe, da jeder Stamm unterschiedliche Präferenzen hat. Um nicht zu unerwünschten und ungeplanten Weiterzüchtungen der Bakterien beizutragen, müssen sie nach jedem Färbeprozess durch Hitze abgetötet werden. Je nach Stamm beträgt die Dauer des Färbeprozesses bei Lebendorganismen rund vier Tage.

Jacquard-Webung mit bakteriengefärbten Garnen.
Jacquard-Webung mit bakteriengefärbten Garnen.

Was sind die Vor- und Nachteile des Bakterienfärbens?
Das Färben ist nachhaltiger. Weil sich Bakterien mithilfe von Nährmedien – diese werden an die Bakterien verfüttert – in kürzester Zeit quasi von selbst vermehren, ist die Pigmentgewinnung im Vergleich zu Pflanzenfarbstoffen ressourcensparender: Es braucht keine Landflächen, Wassermengen oder Pestizide für deren Anbau. Ausserdem werden mit dieser Färbemethode Böden nicht ausgelaugt und keine grossen Maschinen, die Erdöl verbrauchen, benötigt. Zudem wachsen Bakterien viel schneller als Pflanzen.

Wenn Bakterien in lebendigem Zustand zum Färben von Stoffen eingesetzt werden, braucht es auch für den Färbevorgang kaum Wasser. Im Vergleich zu chemischen Farbstoffen sind für die Pigmentgewinnung aus oder mithilfe von Bakterien auch keine schädlichen Chemikalien nötig. Chemische Farbstoffe sind nicht nur für die Arbeiter, sondern auch für den Träger respektive die Trägerin und die Umwelt kritisch, da sie langfristig das Grundwasser verseuchen.

Synthetische Farbstoffe bringen seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert hinsichtlich Kosten, Farbbrillanz, dem breiten Farbspektrum und ihrer Haltbarkeit viele Vorteile mit sich. Es ist notwendig, nachhaltige Alternativen dafür zu finden. Aus finanzieller Sicht könnten Bakterienpigmente durchaus mithalten, obwohl das momentan in dem kleinen, nicht industriellen Rahmen noch nicht der Fall ist.

Ihr Nachteil ist jedoch, dass sie nicht lichtbeständig sind und kein breites Farbspektrum bieten. Hinzu kommt die schlechte Reproduzierbarkeit von Lebendorganismen. Dies kann allerdings auch ein Vorteil sein, wenn es darum geht, ein Unikat anzufertigen.

Julia färbt mit Bakterien sowohl Garne als auch fertige Textilien oder Kleidungsstücke.
Julia färbt mit Bakterien sowohl Garne als auch fertige Textilien oder Kleidungsstücke.

Das einheitliche Färben von Stoffen ist damit aber nach wie vor nicht möglich, oder?
Doch, mit Bakterienpigmenten ist einheitliches Färben durchaus möglich. Auch mit Lebendorganismen – wobei auf dem Textil immer eine gewisse Lebendigkeit und Unregelmässigkeit zu spüren ist. Das schätze ich persönlich sehr.

Und wie sieht es mit kontrollierten Mustern aus?
Bakterien kreieren wachstumsbedingt eine eigene Art von Muster. Innerhalb meiner Arbeit setze ich mich damit auseinander, wie kontrollierte Musterformen möglich sein können. Dafür kombiniere ich die Bakterienfärbung mit unterschiedlichen traditionellen sowie neuen Technologien. Auf diese Weise soll die Technik in ästhetischer Hinsicht mit anderen Färbe- und Druckverfahren konkurrenzfähig werden. Dabei untersuche ich ein breites Spektrum von UV- zu 3D-Druck oder Stempeltechniken und habe mir eigene Methoden erarbeitet, mit denen ich tolle Ergebnisse erziele.

Bakteriengefärbte Textil-Patches mit Musterung.
Bakteriengefärbte Textil-Patches mit Musterung.

Inwiefern könnte diese Färbemethode eines Tages massentauglich sein?
Ich denke, dass Bakterienpigmente künftig in grösserem Stil auf dem Markt erhältlich sein werden. Dass Lebendorganismen industriell eingesetzt werden, sehe ich als eher unwahrscheinlich. Zum einen, weil es mehr «Risiko» für den Kunden bedeutet, da das Endresultat nicht zu 100 Prozent abgeschätzt werden kann und zum anderen, weil sich bereits erste Tendenzen zeigen, dass die Entwicklungen hauptsächlich in Richtung Pigmentgewinnung geht. Ein Grund dafür ist, dass sie in vielen Bereichen wie beispielsweise für Printmedien eingesetzt werden kann. Aber wer weiss, wohin der Weg der textilen Bakterienfärbung noch führen und was die Forschung hervorbringen wird.

Ist diese Methode für alle Stoffarten geeignet?
Es kommt auf den Bakterienstamm und das Pigment an. Mit «Violacein», das von einigen Stämmen produziert wird, lassen sich gleichermassen Naturfasern, tierische und synthetische Fasern färben. Allgemein gesprochen: Viele Bakterienpigmente lassen sich auch ohne Beizen respektive Verätzen gut mit verschiedenen Fasern verbinden. Eine Besonderheit für Farbstoffe, wenn ich bedenke, dass insbesondere künstliche Fasern Chemikalien benötigen, um Farben überhaupt anzunehmen.

Wie sieht es denn mit Mehrfarbigkeit aus?
Daran arbeite ich gerade mit Professorin Sabine Hild von der Johannes Kepler Universität. Für die Umsetzung dieses Förderprojekts, das wir im September am «ARS Electronica Festival» vorstellen werden, kollaborieren wir mit verschiedenen Kooperationspartnern. Zusammen möchten wir künftig die Mehrfarbigkeit mit gezielten Formen mithilfe von Bakterienpigmenten möglich machen.

10 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt. 


Nachhaltigkeit
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Mode
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Gärtnern mit Kindern: Das Einmaleins des Samensäens

    von Ann-Kathrin Schäfer

  • Hintergrund

    MeliBio-Gründer im Interview: Wie wird veganer Honig hergestellt?

    von Stefanie Lechthaler

  • Hintergrund

    Zahnhygiene leicht gemacht: Der Tetrapot lagert die elektrische Zahnbürste kopfüber

    von Pia Seidel

1 Kommentar

Avatar
later