Domagoj Belancic
Hintergrund

Mit der Switch hat Nintendo alles richtig gemacht

Während der Rest der Gaming-Welt mit Studio-Schliessungen und Entlassungen negative Schlagzeilen generiert, bricht Nintendo Rekorde. Mit der Switch hat das japanische Unternehmen alles richtig gemacht.

Es weht ein rauer Wind in der Gaming-Branche. Im laufenden Jahr haben über 10 000 Menschen (!) ihren Job verloren. Eine Zahl, die bereits jetzt den traurigen Rekord des Vorjahres übertrifft. Unzählige Entwicklerstudios müssen ihre Pforten schliessen. Viele Games werden gecancelt.

Die aktuelle Krise in der Industrie ist vor allem auf steigende Produktionskosten und immer länger werdende Entwicklungszeiten von AAA-Games zurückzuführen. Die Gewinnmargen werden dadurch immer dünner. Verkauft sich ein Game nicht millionenfach, wird es prompt als Flop abgestempelt und das verantwortliche Studio geschlossen. Das spüren auch die Konsolenhersteller, die verzweifelt nach neuen Wachstumsmöglichkeiten und Einsparmöglichkeiten suchen.

Alle Konsolenhersteller? Nein. Es scheint, als würde Nintendo in seiner eigenen Parallelwelt existieren, in der es von der harten Realität der Videospielindustrie verschont bleibt. Das Unternehmen reitet mit der Switch seit Jahren auf einer unglaublichen Erfolgswelle, die nicht abzureissen scheint. Kurzum: Mit der Switch hat Nintendo alles richtig gemacht.

Nintendos Reise in den blauen Ozean

Der aktuelle Erfolg der Switch ist auf einen drastischen Strategiewechsel während der Gamecube-Ära zurückzuführen. Nintendos lilafarbene Lunchbox kann sich Anfang der Nullerjahre trotz hochmoderner Technologie nicht gegen die Konkurrenz durchsetzen. Sony und Microsoft dominieren den AAA-Game-Markt mit teuren, grafisch aufwändigen und «erwachsenen» Games.

Bei uns geht es nicht [mehr] um State-of-the-Art-Technologien zur Steigerung der Rechenleistung.
Satoru Iwata (2004)

Das Resultat dieses Strategie-Shifts in Nintendos Handheld-Sparte ist der Nintendo DS. Der Gameboy-Nachfolger wird 2004 veröffentlicht. Statt stärkere Hardware in einem neuen Gameboy-Formfaktor zu verarbeiten, geht Nintendo ein Risiko ein und verbaut gleich zwei Screens im Gerät, einer davon ein Touchscreen. Dieser ermöglicht neue Steuerungsmöglichkeiten und spricht mit seiner einfachen Bedienung auch jene an, die bislang nicht zocken.

Mit der Heimkonsole geht Nintendo noch mehr Risiken ein. Der Gamecube-Nachfolger Wii kommt 2006 auf den Markt und spielt nicht nach den Regeln, die Sony und Microsoft im Konsolenkrieg diktieren. Nintendo verabschiedet sich gänzlich vom teuren, technologischen Wettrüsten – die Wii ist nur marginal leistungsfähiger als der Gamecube. Dafür bietet sie eine innovative Bewegungssteuerung, mit der sich das Unternehmen neue Casual-Zielgruppen erschliesst.

Der Plan geht auf. Der Nintendo DS entwickelt sich zu Nintendos bis dato erfolgreichsten Konsole und auch die Wii ist ein riesiger Erfolg. Es ist der Grundstein für die noch grössere Erfolgsgeschichte, die das Unternehmen rund zehn Jahre später mit der Switch schreiben wird.

Die Switch ist das neueste Schiff auf Nintendos «Blue Ocean»

Nach dem Ausflug in den blauen Ozean mit dem DS und der Wii kehrt Nintendo nicht mehr in den hart umkämpften roten Ozean zurück.

Auch der kolossale Flop, den das Unternehmen mit der Wii U erlebt, bringt das japanische Schiff nicht vom Kurs ab. Nintendos erste HD-Konsole mit Tablet-Controller soll an den Erfolg der Wii anknüpfen und wieder neue Zielgruppen ansprechen – diesmal Tablet- und Apple-User. Das Experiment scheitert kläglich. Auch das gehört zur riskanten «Blue Ocean»-Strategie – Risiken eingehen und Fehlschläge akzeptieren.

Nach der Wii U geht Nintendo mit der Switch noch einen Schritt weiter. Die Tablet-Idee wird weiterentwickelt. Doch auch Ideen aus älteren Konsolen, wie beispielsweise die Bewegungssteuerung der Wii, werden in das neue Gerät integriert. Die Switch fühlt sich mit all ihren einzigartigen Features an, wie die Kulmination der innovationsgetriebenen Geschäftsstrategie, die Nintendo seit gut 20 Jahren konsequent verfolgt.

Auch die Switch ist zum Launch 2017 technisch veraltet. Sie kann es nicht annähernd mit der Konkurrenz, der PS4 und der Xbox One, aufnehmen. Aber das ist egal, denn die Switch bietet etwas, was die anderen nicht bieten: Nintendos Hybrid-Hardware verwischt die Grenzen zwischen stationären Konsolen und mobilen Spielgeräten. «Echte» Konsolenspiele unterwegs spielen zu können, ist für viele ein wahr gewordener Traum.

Nintendo kreiert mit der Switch wieder einen neuen «Blue Ocean»-Markt, während sich die Konkurrenz im «Red Ocean» mit riesigen Schlachtschiffen selbst zerfleischt.

Aktuell scheint es so, als würde sich die kleine Konsole zu Nintendos grösstem Erfolg entwickeln. Bisher hat das Unternehmen 141 Millionen Stück verkauft. Analysten sind sich sicher, dass Nintendo schon bald ihren bisherigen Rekordhalter (Nintendo DS – 154 Millionen) und die PS2 als meistverkaufte Konsole aller Zeiten (ca. 160 Millionen) überholen wird.

Nintendo-Games sind losgelöst von den Fesseln des AAA-Marktes

Dass sich Nintendo mit der «Blue Ocean»-Strategie vom technologischen Wettrüsten der Konsolen- und PC-Welt verabschiedet hat, zahlt sich für das Unternehmen besonders während der Switch-Ära aus.

Die grafischen Sprünge zwischen Konsolengenerationen werden immer kleiner – der Unterschied zwischen der PS1 und PS2 ist um Galaxien grösser als der Unterschied zwischen einer PS4 und PS5. Viele Konsumenten können die Unterschiede zwischen «Last Gen» und «Next Gen» kaum noch erkennen.

Trotz kleinen visuellen Upgrades zwischen den Konsolen-Generationen steigen die Entwicklungskosten exponentiell. Höhere Auflösungen, detailliertere Modelle sowie rechenintensive Effekte wie Raytracing kosten viel Geld, Zeit und menschliche Ressourcen.

Sony und Microsoft sind aufgrund des kostspieligen Wettstreits im roten AAA-Gaming-Ozean dazu verdammt, Blockbuster um Blockbuster zu produzieren. Jedes Spiel muss noch grösser, schöner und spektakulärer sein als das Vorherige und sich noch besser verkaufen. Währenddessen geniesst Nintendo in seiner «Blue Ocean»-Parallelwelt viele Freiheiten und produziert nach Lust und Laune kleine sowie grosse Hits.

Wenn hingegen das kommende 2D-Zelda «The Legend of Zelda: Echoes of Wisdom» floppen sollte, werden die Konsequenzen für Nintendo gering sein. Einerseits, weil die Produktionskosten deutlich niedriger als bei einem AAA-PS5-Game sein dürften. Und andererseits, weil Nintendo sein Game-Portfolio so stark diversifiziert hat, dass ein Misserfolg nicht gleich das ganze Boot ins Wanken bringt und zu Entlassungen führt.

Holt die harte Realität der Gaming-Branche auch Nintendo ein?

Der Launch der Switch 2 steht kurz bevor. Analysten und Branchen-Insider gehen davon aus, dass das Unternehmen keine radikalen Änderungen am Switch-Konzept vornehmen wird. Heisst: Der Nachfolger wird wieder eine mobile Konsole sein, die man via Dock auch am TV spielen kann.

Die Entwicklung von Spielen wird in Zukunft noch länger, komplexer und anspruchsvoller.
Shuntaro Furukawa (2024)

Für mich stellt sich zudem die Frage: Segelt Nintendo mit der Switch 2 immer noch auf einem blauen Ozean? Reicht es, beim gleichen Konsolen-Handheld-Hybrid-Konzept zu bleiben und lediglich leistungsfähigere Hardware reinzupacken?

Schliesslich haben andere Hersteller aus dem PC-Bereich mit extrem leistungsfähiger Hardware Fuss im Handheld-Markt gefasst. Allen voran Valve mit dem Steam Deck. Und Gerüchten zufolge arbeitet sogar Microsoft an einem eigenen Xbox-Handheld. Das technologische Wettrüsten hält mit diesen neuen Playern auch im zuvor ruhigen, blauen Ozean Einzug.

Es bleibt abzuwarten, ob Nintendo trotz Mehraufwand durch technologischen Fortschritt und neuer Konkurrenz im Handheld-Markt an die Erfolge der Switch anknüpfen kann.

Ich wünsche mir, dass ich auch am Ende der nächsten Konsolengeneration einen ähnlichen Artikel schreiben kann – «Mit der Switch 2 hat Nintendo alles richtig gemacht». Denn in einem tiefroten Gaming-Ozean voller Studio-Schliessungen, Massenentlassungen und eingestampfter Spiele braucht es weiterhin Schiffe, die mutig in unerforschte, blaue Gewässer segeln.

Titelbild: Domagoj Belancic

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Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.


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