Hintergrund

Meine Reise zum Norden – und schliesslich auch seinen Lichtern

Thomas Meyer
6.10.2023

Den Wunsch, die Aurora borealis zu sehen und zu fotografieren, hatte ich schon lange. Und immer vor mir hergeschoben. Nun habe ich ihn endlich in die Tat umgesetzt.

Natürlich ist das ärgerlich, zumal eine Kamera nie allein untergeht, sondern prinzipiell mit Objektiv. Aber mein langgehegter Traum, die Nordlichter zu sehen und zu fotografieren, ist an diesem Abend endlich wahrgeworden, daher hält sich mein Unmut in Grenzen. Wie ich aber die Sony am Stativ aus dem See ziehe und sie dabei tropft wie Spaghetti im Sieb, fällt mir ein, dass ja auch die SD-Karte im Wasser lag. Meine Fotos!

Mein Reiseführer Peter, der seine Sachen ein paar Meter weiter hinten aufgestellt hat, beruhigt mich: Die Daten seien sicher, SD-Karten seien wasserdicht. Erleichtert packe ich mein Material zusammen und gehe zurück zum Auto, wo Susanne, die andere Teilnehmerin unserer Expedition, ebenso begeistert fotografiert. Sie wollte nicht auf den Steinen am nächtlichen Ufer herumturnen – eine vernünftige Einschätzung.

Und zack, bist du 49

Schon seit Jahren wollte ich die Nordlichter sehen. Aber wie das eben ist mit solchen Wünschen: Du schiebst sie vor dir her, denkst regelmässig: Das will ich unbedingt mal erleben, und zack, bist du 49 und hast es immer noch nicht gemacht. Darum kontaktierte ich letzten Winter endlich ein Reisebüro.

Das Angebot überzeugte mich nicht. Ich wäre nach Tromsø geflogen und hätte dort «individuelle Ausflüge» machen können, «zum Beispiel eine Hundeschlittenfahrt». Der zweite Teil der Reise hätte mich in ein Ferienresort in einem Fjord geführt, ohne weitere Aktivitäten. Mir wurde klar, dass ich jemanden brauche, der sich auskennt.

Ich fand ihn ein bisschen später hier bei Digitec Galaxus. In einer Rezension für das Sony-14mm-Objektiv las ich, man könne damit prima die Nordlichter fotografieren. Wo er dies gemacht hätte, wollte ich vom Verfasser wissen. Er antwortete mit einem Link zu seinen Nordlicht-Fotoreisen. So lernte ich Peter Schurte kennen.

Ja, schon, sagte Peter

So einfach würde sich mein Wunsch also wohl nicht erfüllen. Trotzdem sagte ich sofort zu. Ich mochte Peter, und wenn es mit den Nordlichtern nicht klappte, würde es trotzdem eine tolle Reise werden.

Wisst ihr, was geil wäre?

Wisst ihr, was geil wäre? Ein paar autofreie Sonntage im Jahr und ein paar lichtfreie Nächte. Und generell die Einsicht von Firmen, dass sich zwischen 23 und 7 Uhr kein Schwein für ihre Schaufenster und Logos interessiert.

Ständig neue dicke Wolken

Am 5. September ging es los. Mein Koffer war voll mit Winterkleidung, was angesichts der beängstigend hohen Temperaturen hier ziemlich absurd war. Nach vier Stunden stiegen wir in Tromsø aus. Es war windig und bitterkalt und regnete. Und so sollte es vorerst auch bleiben.

Wenn du nach Norwegen reist, um die Nordlichter zu sehen, und sie nicht sehen kannst, weil ständig neue dicke Wolken von der Küste her ins Land kriechen und alles nass machen, ist das eine regelrechte Charakterprüfung. Du musst so cool bleiben wie der Wind dort. Du musst dir immer wieder sagen: Ja, Nordlicht wäre schön, der Rest ist es aber auch, ausserdem bist du erst drei Tage hier, es liegen noch acht vor dir.

Am vierten Abend erwischten wir, obwohl die Apps keinerlei Raum für Hoffnung liessen, Peter aber daran erinnerte, dass das Wetter draussen stattfinde, einen kleinen wolkenlosen Fleck und ein bisschen Nordlicht darin. Die Freude war riesig. Und kurz. Die Wolken schlossen sich nach wenigen Minuten wieder. Aber hey! Wir haben es gesehen! Wir haben das Nordlicht gesehen!

Deine Kamera sieht mehr als du

Eine kurzer Exkurs zur Formulierung «Nordlicht sehen»: Während das menschliche Auge einem Kamerasensor in der Disziplin Hell-dunkel-Unterscheidung deutlich überlegen ist, verhält es sich bei dem Erkennen von Farben bei Dunkelheit genau umgekehrt. Ich verstehe die Bedeutung des Sprichworts «Nachts sind alle Katzen grau» bis heute nicht, aber in fotografischer Hinsicht ist es völlig zutreffend.

Schliesslich ist alles perfekt

Am achten Abend sahen wir endlich ein bisschen länger Nordlicht. Die Bewölkung war aufgerissen, aber immer noch hartnäckig. Die Fotos wurden toll, aber längst nicht so wie in Peters Tourkatalog. Meine Geduld war mittlerweile erheblich strapaziert, was mich ironischerweise zusehends entspannte. Ich hatte das Nordlicht gesehen und fotografiert – nicht so, wie ich wollte, aber wann im Leben kommt schon etwas genau so heraus, wie man es will?

Aber es hat sich gelohnt. Und als ich zuhause meinen Versicherungsberater frage, ob meine Hausratskasko auch ertrunkene Kameras umfasse, meint er: «Ja, auch dieser Fall ist versichert.» Puh!

Wenig Autos, viel Natur, krass flexen

Ich kann dir Norwegen sehr empfehlen (und natürlich Peter als Reiseführer). Es ist wunderschön und herrlich menschenleer. Du siehst sehr wenige Autos und enorm viel Natur. Und vielleicht sogar das Nordlicht. Auch wenn du dafür möglicherweise kurz rüber nach Finnland musst. Dafür hast du nachher Fotos, mit denen du in jeder Runde – wie sagt man das heute? – krass flexen kannst.

Titelfoto: Thomas Meyer

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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