Meinung

Lust for Life

Iggy Pop ist 72. Zweiundfuckingsiebzig. Und rockt das Lörracher Stimmen-Festival wie ein junger Hund, als gäbe es kein Morgen. Ich bin platt.

Letzten Sonntag. Da war ich nach langer Zeit wieder auf einem Konzert. Denn ich finde Konzerte unterdessen schwierig. Mal ist die Akustik schlecht, mal die Band mies drauf, mal ich. Oft alles zusammen. Meine Ansprüche sind zu hoch. Und dann das: Stimmen-Festival in Lörrach. Auf der Bühne steht Iggy Pop, der Godfather des Punk, und beginnt die Show mit «I Wanna Be Your Dog».

Die Akustik ist super, die Band genial und Iggy Pop ein Vulkan. Es schüttet zwar wie aus Kübeln und ist arschkalt. Egal. Meine Laune könnte besser nicht sein. Ich tanze Pogo und singe den Refrain von «The Passenger» mit. Nach zehn Minuten sickert der Regen durch die Jacke, zwei Stunden später bin ich nass bis auf die Haut und komplett erledigt, aber glücklich. I got lust for life.

Mut zur Hässlichkeit

Iggy Pop ist ein Phänomen. In jungen Jahren macht er alles, um sich zu zerstören. Drogen, Alkohol – das volle Programm. Er kotzt während eines Konzerts auch gerne mal ins Publikum oder entleert seinen Darm hinter die Verstärker. Das Motto? Live fast, love hard, die young. Doch anders als viele Musiker seiner Zeit überlebt er den Sex, Drugs and Rock'n'Roll-Lifestyle. Und heute? Ist Iggy 72 Jahre alt. Mit seiner kaputten Hüfte humpelt und hampelt er über die Bühne. Das Publikum, sein Publikum, jederzeit in seinem Bann.

Er ist oben ohne. Natürlich. Er ist immer oben ohne auf der Bühne. Sein Oberkörper, von der Sonne Floridas braungebrannt, hat unterdessen die Struktur ausgelatschter Cowboystiefel. Der Mann beweist Mut zur Hässlichkeit. Wobei zwei Frauen hinter mir bei seinem Anblick hin und weg sind. «Der Typ ist 72», sagt die eine erregt. «72 und immer noch so verdammt sexy.» Ihre Kollegin daneben grunzt genüsslich.

Wie macht er das bloss?

Nach zwei Stunden Stimmen-Festival mit Iggy gehe ich nach Hause. Ich kann nicht mehr. Am nächsten Morgen bin ich erkältet, habe Rückenschmerzen, die Knie tun weh und ich fühle mich wie ein ausgespuckter Kaugummi. Würde man jetzt mein Hirn scannen, sähe man wohl die Struktur ausgelatschter Cowboystiefel in meinem Schädel rumschwabbeln. Keine Ahnung wie Iggy sich fühlt, am Freitag steht er jedenfalls an einem Festival in Frankreich wieder auf der Bühne, dann folgt ein Konzert in Budapest. Und dann weitere Shows. Wie er das macht? Yoga, Meditation, Fitnesstraining, Low-Carb-Diät, No-Carb-Diät? Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Vielleicht hat der Mann auch einfach nur lust for life.

Ich habe auf jeden Fall wieder Lust auf Konzerte. Aber nur alle paar Monate mal eines. Sonst werde ich keine 72.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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