
Hintergrund
Schweben im Reagenzglas
von Michael Restin
Im Spitzensport verdichtet sich alles in einem entscheidenden Moment. Freestyle-Profi Elias Ambühl war jahrelang zwischen Sieg und Sturz, siebtem Himmel und hartem Boden der Tatsachen unterwegs. Was geht dabei im Kopf ab?
Wenn sich etwas verdichtet, steigt der Druck. Nur wer damit umgehen kann, lässt all die Trainingsweltmeister hinter sich und schafft es an die Spitze. Elias Ambühl war jahrelang dort, trat im Slopestyle an und flog vor allem im Big Air sehr erfolgreich über die Kicker dieser Welt. Mich bringt schon das Zuschauen um den Ruhepuls, er bleibt scheinbar immer cool. Kann doch nicht sein, wenn man nicht weiss, ob man gleich im Spital oder auf dem Podest landet. Oder doch? Und wenn ja: wie macht er das nur?
Wie war das, kurz vor einer Entscheidung im Big Air da oben zu stehen?
Elias Ambühl, Freestyle-Profi: Oft kam noch dazu, dass ich als Letzter gestartet bin. Dann merkst du, dass was in der Luft liegt und die Nervosität baut sich auf. Aber wenn ich losfahre, ist – baff! – alles weg.
Was hast du für Routinen entwickelt, um die Nervosität zu bekämpfen?
Ich hatte schon ein paar Ticks und musste zum Beispiel immer erst in den linken Ski steigen. Jahrelang hatte ich auch die gleiche Kappe unter dem Helm, da war schon etwas Aberglauben dabei. Aber im Endeffekt musste ich mir eingestehen, dass es nur darauf ankommt, wie stark ich im Kopf bin.
Leicht gesagt. Aber wie schaffst du es, im entscheidenden Moment alles ausblenden?
Dann gehe ich bewusst noch mal alles durch, was ich zeigen will. Das ist das Ritual. Und danach probiere ich, es so gut wie möglich umzusetzen. Wenn ich noch andere Gedanken im Kopf habe, funktioniert es nicht. Ich muss voll im Moment angekommen sein.
An welchem Punkt spürst du, ob es gut kommt oder nicht?
Das merke ich beim Absprung ziemlich schnell.
Bist du in der Luft quasi auf Autopilot und ziehst den Sprung durch? Oder triffst du bewusste Entscheidungen?
In der Luft kann ich schon noch viel steuern. Das einzige, was ich nicht mehr kann, ist etwas rückgängig machen. Wenn ich merke, dass es schiefgeht, kann ich nur noch versuchen, mich zu retten. Ich muss Ruhe bewahren und mich für die beste Möglichkeit entscheiden, die die geringste Verletzungsgefahr mit sich bringt.
Wie lange war das Adrenalin nach einem Wettkampf noch da?
Sehr lange. Es gab Momente, die mir abends immer noch durch den Kopf gingen. In denen ich dachte, jetzt hast du wirklich Glück gehabt. Oder dass es super aufgegangen ist.
Deine Wettkampf-Karriere hast du inzwischen beendet. Wird dir etwas fehlen?
Ich werde weiter für Filme und Projekte fahren. Da werde ich auch an Grenzen kommen. Ich werde spüren, wenn ich parat sein muss, und meine Adrenalinschübe haben. Ich glaube nicht, dass ich die Wettkämpfe vermissen werde.
Getroffen habe ich Elias Ambühl im Windwerk Winterthur, wo der 26-jährige beim Bodyflying eine neue Flugerfahrung gesammelt hat. Schweben in einem Windstrom von bis zu 280 km/h – das hatte selbst der Vielflieger und Helikopterpilot bislang noch nie gemacht. Ich sowieso nicht, weshalb mir mein Hirn freundlicherweise einen Endorphin-Adrenalin-Cocktail gemixt hat.
Und wie ist das bei Elias Ambühl?
Löst Bodyflying bei dir einen Adrenalin-Kick aus oder ist das zu wenig?
Adrenalin würde ich nicht sagen, aber sehr viel Spass. Und ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Solche Sachen sind immer Herausforderungen für mich. Wenn ich das nicht auf Anhieb beherrsche, dann gehe ich raus und es rattert bei mir schon: wie kann ich besser werden? Ich will immer an mein Limit kommen, das macht mir Freude.
Elias Ambühl wurde am 26. März 1992 in Masein geboren. Der Freestyle-Skier gewann unter anderem viermal die Bronzemedaille im Big Air bei den X-Games und wurde in der Saison 2017/2018 zweiter im Big-Air-Weltcup. Nebenbei hat er noch den Geschwindigkeits-Weltrekord im Rückwärts-Skifahren aufgestellt: 131,23 km/h. Im November 2018 gab er seinen Rücktritt vom Wettkampfsport bekannt.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.