

Schweben im Reagenzglas

Kein Sky, kein Diving, kein Fall, kein Vergleich: Was beim Bodyflying im Winterthurer Windwerk abgeht, habe ich bislang noch nicht erlebt.
Ich schaue in die Röhre. Es wird laut. Noch einmal tief durchatmen, die Hände nach oben. Instruktor Rafael nickt mir aufmunternd zu, dann kippe ich durch den Türrahmen und der Wahnsinn beginnt. Schwebend, wankend, wackeln liege ich in der Luft. Die ganzen schönen Fakten zu Dimensionen und Windgeschwindigkeiten der Anlage im Winterthurer Windwerk? Eben hätte ich sie dir nennen können, jetzt sind sie wie weggepustet.
Völlig egal.
Wichtig ist gerade nur, dass mir der Luftstrom ein Dauergrinsen ins Gesicht fräst. Ich lerne, was es heisst, im freien Fall zu sein. Ohne zu fallen. Indoor Skydiving. Irgendwie ist das absurd. Aber geil. Quasi der Himmel auf Erden. Und mehr als Fallschirmspringen für Feiglinge. In diesem riesigen Reagenzglas mit Netz und doppeltem Boden lässt sich einiges lernen, denn Feedback gibt’s direkt: Jeder abgespreizte Finger, jedes Nicken oder nach oben blicken kann den Unterschied zwischen Gleichgewicht und Kontrollverlust bedeuten.

Im perfekten Sturm
Rafael hat mich im Griff, wenn es sein muss, und lässt los, sobald ich stabil in der Luft liege. Reden ist hier drin unmöglich. Aber seine Zeichen sind klar und seine Begeisterung färbt ab.
«Ich muss schnell verstehen, wie jemand lernt und die Ruhe im Chaos bewahren», erklärt er mir später seinen Job. Schliesslich solle jeder ein echtes Flugerlebnis haben. «Was bringt es, wenn ich die Leute die ganze Zeit festhalte?»
Nix. Kunden wollen fliegen, und das klappt gut. Nach anderthalb Minuten bugsiert er mich zurück auf die Beine, raus aus dem perfekten Sturm, der in meinem Kopf noch etwas weiter tobt. Das Grinsen bleibt. Zeit, die Gedanken zu sortieren. Was mache ich hier? Kurze Rückblende.

Die Wind-Werbetrommel
Im nagelneuen Windwerk Winterthur werden Journalisten und der Freestyle-Profi Elias Ambühl in die überdimensionale Wind-Werbetrommel geworfen. Starke Bilder und ein Promi – das zieht. «Endlich mal fliegen», sagt der Big-Air-Spezialist und Helikopterpilot lächelnd, während die versammelte Journaille leicht verunsichert zuschaut, als die Instruktoren bei der Auftaktshow durch die Röhre wirbeln wie Blaubeeren im Smoothie-Mixer. Körper rasen vorbei, schiessen nach oben und fallen nach unten. Alles dreht sich und sieht doch gewollt aus.
Wie geht das? Ach ja, die Fakten. Sie erklären nicht alles, verdeutlichen aber die Dimensionen. 17 Meter hoch ist die Flugkammer, der Durchmesser beträgt gut vier Meter. Mit ein paar Physik-Tricks und ordentlich Power sind in dem geschlossenen Luftkreislauf Windgeschwindigkeiten bis zu 280 km/h möglich.
Unsere Vorbereitung ist kurz und knapp: Einmal die Fluglage üben und ein paar Handzeichen lernen, in den Anzug schlüpfen, Ohrstöpsel in den Gehörgang fummeln, Helm und Brille auf. Fertig. Kinderleicht soll es sein, schliesslich dürfen schon Fünfjährige abheben.

Nimm das, Schwerkraft!
Trotzdem habe ich ein paar Fragezeichen im Kopf, bevor es zur Sache geht. Was heisst es schon für mich, wenn Könner im Wind mit der Schwerkraft spielen? Und dass Elias Ambühl schon nach ein paar Sekunden durch die Luft schwebt, als hätte er nie was Anderes gemacht?
Kann ich das auch? Oder klebe ich gleich mit der Nase an der Scheibe? Und wie putzen die eigentlich das ganze Plexiglas?
Irgendein dummer Gedanke schwirrt mir immer durchs Hirn, bis es dann endlich losgeht und mich der Moment gefangen nimmt. Die Flugzeit ist zwar nicht lang, aber es steckt viel drin. Neue Erfahrungen. Selbst für den Vielflieger Ambühl.

Winken wie die Queen
Vor allem die zweite Flugrunde macht mich euphorisch. Die Basics klappen jetzt schon ganz gut, ich spüre, wie ich meine Fluglage beeinflussen, mich drehen und wenden kann. Einmal locker aus dem Handgelenk winken wie die Queen, schon geht es rund. Leicht gegensteuern, Kopf hoch und geniessen. Dann gibt Rafael ein Zeichen, der Luftstrom schwillt an und wir schiessen gemeinsam nach oben, rotieren, fallen wieder Richtung Boden, erobern endgültig die dritte Dimension und mein Hirn spendiert eine Extrarunde Endorphine.
Tatsächlich Muskelkater
Von aussen betrachtet sieht die Fliegerei nett und entspannt aus, aber mittendrin zu sein ist tatsächlich Sport. Ich hätte das nicht gedacht und gebe es ungern zu, aber ich hatte drei Tage lang Muskelkater im Sitzfleisch. Die bananig-überstreckte Körperhaltung ist ungewohnt und auch wenn sich im Flug alles leicht anfühlt, muss der Körper arbeiten. Spannung halten, korrigieren, intervenieren. Für mich war es auf jeden Fall eine neue Bewegungserfahrung und ein Erlebnis, dass ich gerne wiederholen würde. Oder verschenken. Es ist eine super Sache für alle, die schon alles haben – ausser einem Lächeln im Gesicht.

Mehr heisse Luft von mir gibt's hier.


Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.