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Captain Marvel: Die verschenkte Superheldin

Carol Danvers ist der Star des ersten Superheldenfilms aus dem Hause Marvel, der von einer Frau angeführt wird. Ein Meilenstein der Kinogeschichte? Vielleicht demografisch, aber filmisch wirkt «Captain Marvel» etwas verpfuscht.

Bevor wir loslegen: Dieser Artikel enthält leichte thematische Spoiler, keine inhaltlichen.

Skrulls sind gestaltwandelnde Aliens. Sie infiltrieren Planeten. Ihnen entgegen stellen sich die Kree, eine Rasse Aliens, die ziemlich genau so aussehen wie Menschen, ausser, dass sie andere Augenfarben haben. Mit fast schon fanatischem Hass jagt Yon-Rogg (Jude Law), gemeinsam mit der mysteriösen Vers (Brie Larson) und seinem Team von Elite-Soldaten, die Skrull.

Vers aber hat ganz andere Sorgen. Sie hat in einem Absturz ihr Gedächtnis verloren. Dazu ist Yon-Rogg immer so bitzli gemein zu ihr, nennt sie «emotional» und «unausgeglichen». Wenn sie doch nur logischer agieren würde, dann wäre sie eine viel bessere Kriegerin, selbst wenn sie sich aktuell auch schon ganz prima mit den Besten messen kann.

Während einer Mission auf dem Planeten Torfa aber geht alles schief. Zwar stirbt niemand – die Figuren könnten ja in einem Sequel noch gebraucht werden – aber trotzdem, die Truppe von Yon-Rogg wird von Skrulls unterwandert und am Ende ist Vers von ihrem Team getrennt, wird gefangen genommen und gefoltert. Aber sie erlangt Erinnerungen zurück. Sie führen die Kree-Kriegerin auf den Planeten, der intergalaktisch C-53 heisst. Wir kennen ihn als «Erde».

Die verschenkte Brie Larson

Captain Marvel ist filmisch uninspiriert. Es führt kein Weg daran vorbei, das festzustellen. Jedes Element des gut zweistündigen Superheldenfilms kennst du bereits aus anderen Filmen. Dazu ist die Geschichte zu schwach aufgebaut.

Alle Klischees in Captain Marvel werden nicht gut eingesetzt. Denn ich stelle mir das Produktionsmeeting etwa so vor.

Person 1: «Sie soll eine tolle Kriegerin sein, die ihre Vergangenheit auf der Erde wiederfindet!»

Person 2: «Aber sie soll auch tough sein. Sie hat viele Rückschläge im Leben durchgemacht! Das inspiriert die Zielgruppe.»

Person 3: «Lustig muss sie auch sein. Sie muss also popkulturell relevante Witze machen.»

Das Problem: Ohne Erinnerung an einen gesamten Planeten und dessen Kultur erinnerst du dich auch nicht an die Rückschläge deiner Jugend und die Popkultur der 1990er. Wenn dann diese beiden Elemente massgeblich zum Hauptcharakter und dessen Film beitragen, dann fühlt sich das alles irgendwie lieblos zusammengeschustert und inkohärent an. So ist dann auch das Talent einer Brie Larson und ihr hartes Training für die Rolle komplett verschenkt.

Die verschenkten Kämpfe

Denn nachdem wir mal vergessen haben, dass ihre Amnesie so gar nicht mit ihrem Heldendasein kompatibel ist, taumeln wir gemeinsam mit allen Figuren im Film ins nächste Klischee: «Curb-Stomp Battles».

Dieses Klischee beschreibt Kämpfe in einem Film, die extrem einseitig sind. So als Beispiel: Wenn in «The Dark Knight Rises» Bane (Tom Hardy) Bruce Wayne alias Batman (Christian Bale) den Rücken bricht, dann hat letzterer keine Chance. Bane steckt Schläge ein, die jeden anderen Gegner auf die Matte gelegt hätten. Batman hat keine Chance.

Genau das blüht allen, die sich Captain Marvel alias Carol Danvers gegenüberstellen. Die Skrulls beschiessen sie? Kein Problem, sie hat ja eine Rüstung. Wenn einer die Carol beleidigen will, dann ist er nur so ein bisschen fies. Yon-Rogg etwa. Nie wird er wirklich beleidigend. Nie ist Captain Marvel wirklich in Gefahr. Das zieht sich von der ersten bis zur letzten Szene durch.

Das ist dahingehend schade, dass der Film, seine Autoren und seine Schauspieler nicht mutig genug sind, sich in Territorium zu bewegen, in dem es wirklich weh tut. Denn die Reise einer Heldin muss einen Tiefpunkt haben, einen Ort, an dem es Carol richtig dreckig geht. Einen Ort, von dem sie sich aufraffen muss, über sich hinauswachsen und dann sich dem Gegner stellt, der sie an ihren Tiefpunkt geprügelt hat.

Paradebeispiel: Lorraine Broughton (Charlize Theron), die filmtitelgebende «Atomic Blonde».

Bei der atomaren Blonden, fliegen die Fäuste, Blut und Rotz fliessen, Lorraine kassiert Tritte, Schnitte und Faustschläge. Am Ende siegt sie zwar, kann aber selbst kaum mehr stehen.

Genau das fehlt in «Captain Marvel». Das Gefühl, dass Carol Danvers, ähnlich wie Lorraine Brougthon, in wirklicher Gefahr ist. Da kommen Aliens und Carol macht kurzen Prozess mit ihnen. Kaum Blut, niemand stirbt, irgendwie verliert das alles so seinen Reiz. Da können die Computer-Effekte noch so schön sein.

Der verschenkte Film

Es ist klar, dass die Macher des Captain-Marvel-Films sich davon eine Scheibe abschneiden wollen. Wer würde das nicht wollen? Das Problem ist einfach, dass sie zu viel auf einmal wollen. Zu viele Autoren, total fünf, wollen zu viele Geschichten, total auch fünf, erzählen, dabei noch witzig und unterhaltsam sein.

Das funktioniert weitestgehend nicht. Denn der Film muss sich mit einer Laufzeit von knapp über zwei Stunden recht beeilen. Darunter leiden vor allem die Kohärenz der Story sowie die Momente, die zur Gründung des Carol Corps geführt haben: Die emotionale Stärke eines Helden.

Das Problem mit Captain Marvels Emotionen ist das: Sie hat keine Zeit, zu fühlen. Gerade bei Helden, die physisch unbesiegbar wirken, ist das von grösster Wichtigkeit. Superman, ein Held, der alles kann, ist dann am stärksten, wenn er nicht irgendwelche Aliens verprügelt. Er ist dann am stärksten, wenn er seine menschliche Seite zeigt.

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Die Momente, die bei einem Helden im Gedächtnis bleiben, sind nicht die, in denen er oder sie einem Alien so richtig die Fresse poliert, oder einen Killerroboter mit blossen Händen zerlegt. Es sind die Momente, mit denen wir Zuschauer oder Leser uns direkt identifizieren können. Es sind die Momente, aus denen wir etwas ziehen können. Tom Kings Batman macht das in Ausgabe #20 ganz gut:

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Im Film hat das keiner besser gemacht als Marvel, denn wenn der titelgebende Held in «Spider-Man: Homecoming» unter einem eingestürzten Gebäude begraben ist, ganz allein, dann zeigt er seine verwundbare Seite. Wir sehen Spider-Man mit anderen Augen. Er ist ein Mensch wie du und ich. Er hat Angst, er hat keinen Ausweg.

Diese Momente fehlen in «Captain Marvel» völlig, da der Film zu schnell durch Storypoints hastet und sich nie die Zeit lässt, aufzuatmen und etwas zur Ruhe zu kommen. Es gibt immer etwas, das verprügelt werden muss, oder «Wir müssen jetzt nach Dahin gehen und das Ding suchen». Der Film braucht mehr Ruhe, mehr Momente, in denen Carol Carol sein kann. In denen wir sie als verwundbar, menschlich und herausfordernd kennenlernen.

Die «Atomic Blonde» macht das perfekt. Ohne Worte.

Denn wenn die Hauptfigur menschlich und verwundbar wirkt, dann wirken die grossen Action Set Pieces auch besser. Und die haben es bei «Captain Marvel» in sich.

Der Bombast im Weltall

Sobald Carol loslegt und eine ganze Flotte der Accuser im Alleingang angreift, dann funktioniert das Spektakel wieder. Wer auch immer die Action geschrieben und die Special Effects inszeniert hat, weiss was er oder sie tut.

Am Ende ist «Captain Marvel» ein Film, der so viel besser hätte sein können, wenn…

  • Die Filmemacher sich mehr getraut hätten
  • Die Autoren etwas weniger erzählen würden
  • Die Schauspieler etwas mehr in Szene gesetzt würden
  • Die Produzenten das Konzept eines Helden verstünden. Oder einer Heldin.

Klar, «Captain Marvel» unterhält. Zwar nicht besonders gut, aber immerhin könntest du zwei Stunden mit blöderem Mist verschwenden. Aber ein Must-See ist «Captain Marvel» nicht. Leider.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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