Meinung

Andropause: die Wechseljahre der Männer

Thomas Meyer
28.9.2022

Wechseljahre – das ist ein Begriff, den wir ausschliesslich Frauen zuschreiben. Aber auch Männer werden ab 40 mit einer Umstellung ihres Hormonhaushaltes konfrontiert. Bericht eines Betroffenen.

Ich war begeistert. Lauter nackte Frauen in aufreizenden Posen! Nicht mal in meinen kühnsten Phantasien hatte ich mir solch herrliche Szenen ausgemalt, und ich wollte nichts mehr, als sie sofort selber in die Tat umzusetzen. Dem stand allerdings die Realität entgegen: Ich war ein pickliger Teenager, und Frauen fanden mich, falls sie mich überhaupt beachteten, allenfalls niedlich. Rundherum wurde geknutscht, und ich stand daneben und trank Martini Bianco.

Eines Tages, ich besass längst einen Führerschein, verliebte ich mich in eine Frau, die meine Gefühle erwiderte, was mich erst mal in einen Schockzustand versetzte. Aber ich erholte mich rasch, und schon bald war Sex zum Zentrum meines Daseins geworden. Ich dachte ständig an Sex, redete ständig über Sex, und wenn ich mich recht erinnere, hatte ich auch von früh bis spät eine Erektion.

Ein Leben ohne Latte?

In jenen Tagen las ich, dass Rudy Giuliani, damals Bürgermeister von New York, Prostatakrebs hätte und die Operation, der er sich unterziehen müsse, den Verlust der Erektionsfähigkeit zur Folge hätte. Ich fragte mich, warum so etwas in der Zeitung stehen muss, und beschloss, mich sofort umzubringen, würde ich jemals meine Erektionsfähigkeit verlieren. Ein Leben ohne Latte? Unerträglich. Unvorstellbar.

Mit Ende 30 bemerkte ich, dass mein Vorhaben, mit allen schönen Frauen der Stadt zu schlafen, an Dringlichkeit einzubüssen begann, was aber nicht weiter schlimm war. Es bedeutete ohnehin eine Menge Stress und Enttäuschung. Und mein Penis war auch nicht unglücklich darüber, nicht mehr ein- bis zweimal pro Tag einer rabiaten Erleichterungsmassnahme unterzogen zu werden.

Die erste Unlust

Das erste Mal eindeutig keine Lust auf Sex hatte ich mit 44. Das war vor allem deswegen unangenehm, weil er gerade dabei war, sich zu ergeben. Aber es interessierte mich einfach nicht. Ich wollte lieber Musik machen mit meinem Synthesizer. Das sagte ich natürlich beides nicht. Ich sagte: «Ich mag gerade nicht, ich bin müde, tut mir leid.»

Ich finde Sex weiterhin grossartig, ich finde ihn sogar aus diversen Gründen wesentlich grossartiger als früher. Ich habe auch immer noch ziemlich häufig Lust darauf. Naja, wenn ich «ziemlich häufig» lese, klingt das nach mehr, als es ist. Am besten vergleichen wir meine Libido mit einem Campingfeuer, in das schon länger keine frischen Scheite gelegt wurden, das man aber dennoch nicht unbeaufsichtigt lassen sollte.

Ergösse sich nun aber ein Gewitter über dem Campingplatz und brächte das Feuer für immer zum Erlöschen, würde ich mir nicht das Leben nehmen deswegen. Was für ein lächerlicher Quatsch.

Das Ganze hat einen Namen

Ausserdem ist er nicht ganz korrekt. Die Menopause bezeichnet die letzte Monatsblutung im Leben einer Frau und somit einen konkreten Zeitpunkt in der Phase der Wechseljahre. Eine entsprechende Zäsur fehlt beim Mann. Seine sexuelle Lust nimmt einfach zusehends ab (während dafür seine Lust, gegen eine angebliche «linksgrüne Diktatur» zu wettern, im gleichen Mass zuzunehmen scheint).

Es ist keine Krise

Man könnte über den Verlust von Seh- und Manneskraft und den Beginn des Greisentums traurig werden. Und wird das auch manchmal. Man kann aber auch ziemlich gut darüber lachen. Erst recht, wenn es alte Freunde betrifft.

Vor allem aber ist der Abschied von der Jugend, so bitter er bisweilen sein mag, ein Privileg. Viele von uns werden keine 40 Jahre alt. Manche nicht mal 20. Es ist ein Geschenk, 50 Jahre und länger zu leben. Dass der Penis, einst ein umjubelter Stürmer, erst auf der Ersatzbank landet und schliesslich in die Garderobe geschickt wird, ist, meine ich, ein fairer Preis dafür.

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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