Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Gepäcktürme und Betrunkene
Hintergrund

Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Gepäcktürme und Betrunkene

Arthur und Jannik sind zwei Fotografen in Ausbildung. Letzten Winter begeben sie sich in den Sportferien auf eine abenteuerliche Expedition in den Norden Norwegens. Das ist ihr Reisetagebuch.

Sonntag, 10. Februar

Letzte Vorbereitungen

Wir treffen uns in unserem Schulzimmer in Zürich Altstetten zum finalen Check der Packliste. Aus Angst, etwas Wichtiges zu vergessen, sind wir schon viel zu früh dort. Es ist noch dunkel, als Arthur nochmals sicherstellt, dass unsere abgepackte Trekking-Nahrung insgesamt zirka 90 000 Kcal entspricht. Wir rechnen mit 4 500 Kcal pro Person täglich, während zehn Tagen bei durchschnittlich minus zehn Grad.

Das sieht doch lecker aus.
Das sieht doch lecker aus.

Jannik stellt indessen sicher, dass sich keine Zigaretten in Arthurs Rucksack befinden. Er hat vor einigen Wochen beschlossen, das Norwegen-Projekt als Chance zum Rauchstopp zu nutzen. Die verbleibende Zeit bis zum Aufbruch verbringen wir damit, uns im Schulzimmer die Zeit mit Kartenspielen zu vertreiben. So sind wir etwas abgelenkt von der bevorstehenden Reise und ihren Herausforderungen.

Lieber Gruss an den Chauffeur der Buslinie 89

Als wir mit unseren rund 110 Kilo Ausrüstung abmarschbereit sind, begeben wir uns zur nahegelegenen Busstation vor dem Schulhaus. Endlich geht es los. Die erste beschwerliche Etappe unserer Reise lautet Zürich Altstetten – Zürich Hauptbahnhof. Beschwerlich deshalb, weil Zürcher Stadtbusse nicht für sperrige Pulkas ausgelegt sind und unsere Materialschlitten die Türe blockieren. Der Busfahrer schimpft lauthals und versucht, die Türe zu schliessen, um endlich weiterfahren zu können. Nach mehreren erfolglosen Versuchen und lautem Gefluche klappt es schliesslich doch noch. Nächster Halt Züri HB.

Wir taumeln mit unseren beeindruckend grossen und schmerzhaft schweren Rucksäcken und Taschen über das Bahnhofsgelände am Zürcher Hauptbahnhof. Vor der Abfahrt decken wir uns noch rasch mit Schweizer Schoggi ein. Das muss sein. Um Punkt zwölf Uhr mittags steigen wir in den Zug nach Hannover und so beginnt unsere 42.5-stündige Reise zum Polarkreis.

Weil der Tag früh losging und wir unser Kartenspiel in der Schule liegen gelassen haben, nutzen wir die nächsten fünf Stunden bis Hannover zum Vorschlafen.

Anmerkung von Arthur: Bei dieser Aufnahme kam ein Weitwinkel-Objektiv zum Einsatz, um Janniks Gesichtsform zu betonen.
Anmerkung von Arthur: Bei dieser Aufnahme kam ein Weitwinkel-Objektiv zum Einsatz, um Janniks Gesichtsform zu betonen.

In Hannover wartet die nächste Prüfung auf uns. Das Umsteigen in den Zug nach Flensburg klappt aber überraschend gut. Als wir unsere Wagennummer gefunden und unser Gepäck unter grössten statischen Herausforderungen hüfthoch im Gang aufgebaut haben, nehmen wir unsere reservierten Plätze ein. Die Fahrt nach Flensburg verbringen wir damit, die zahlreichen Koffer der nachfolgenden Passagiere über unsere Gepäcktürme zu hieven, welche den Gang unpassierbar machen. Bis Flensburg herrscht bei fast jeder der neun Stationen immer reger Umsteigebetrieb in unserem Wagen. Die Zeit zwischen den Stationen verbringen wir mit dem Kontrolleur. Und endlosen Diskussionen. Er verlangt mit steigender Dringlichkeit, dass wir unser Gepäck in verschiedenen Wagen verteilen sollen. Was wir aber nicht tun.

Montag, 11. Februar

Nachdem wir im Zug von Hannover nach Flensburg wenig geschlafen aber viel gehievt haben, steigen wir unter Zeitdruck in Flensburg in den Zug nach Fredericia in Dänemark. Dort angekommen erfahren wir über eine Durchsage, dass unser Anschlusszug aufgrund eines technischen Problems mit unbestimmter Verspätung abfahren wird. Dieser Umstand versetzt uns, in Anbetracht der sieben Anschlüsse, die uns noch von unserem Ziel trennen, in helle Panik.

Von Dänemark über Schweden nach Norwegen

Während sich der Lokführer mit einer Technikerin in einer uns unverständlichen Sprache – wir tippen aufgrund lokaler Hinweise auf Dänisch – unterhält, plaudern wir auf dem Perron mit den Obdachlosen der Region auf Englisch über Gott, die Welt und Zugverspätungen. Nach rund einer halben Stunde Wartezeit verlässt unser Zug endlich den Bahnhof.
Im Zug treffen wir auf so viele Betrunkene, dass wir uns aus Sorge um unser Gepäck während der Fahrt bis Kopenhagen, trotz grosser Müdigkeit, keinen Schlaf erlauben.

All aboard!
All aboard!

Bis Hallsberg in Schweden verläuft die Reise ohne weitere Zwischenfälle, namentlich Verspätungen. Nach rund 13 Stunden treffen wir im norwegischen Kongsvinger ein. Kurz vor unserer Ankunft kommen wir, zum zweiten Mal auf unserer Reise, in eine Konfliktsituation mit einem etwas unerfahrenen Schaffner. Er will unseren Interrail-Pass nicht als gültig anerkennen und zu allem Übel beherrscht er die englische Sprache nur schlecht. Unsere Argumente haben Hand und Fuss und überzeugen ihn schliesslich, dass unser Ticket gültig ist. Weiter geht es nach Lillestrøm, wo wir in den Zug nach Trondheim umsteigen. Die Stimmung ist gut, der Himmel blau und der der Weg nicht mehr weit: Nur noch einmal umsteigen bis zu unserem Ziel Røkland!

Fast am Ziel.
Fast am Ziel.

Als wir aus dem fahrenden Zug nach Trondheim zwei Mal einen Elch sehen, steigt unsere Vorfreude und wir können es kaum erwarten, endlich anzukommen. Während der achtstündigen Fahrt von Trondheim nach Røkland schlafen wir uns nochmals tüchtig aus.

Einschlafen!
Einschlafen!
Schlafen!
Schlafen!

Diesen Schlaf werden wir in den nächsten Tagen noch bitter nötig haben. Mehr dazu im nächsten Teil unseres Reisetagebuchs. Geschichten aus dem Tiefschnee mitten im Hochsommer.

Was bisher geschah:

  • Hintergrund

    Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: ein Test mit Tücken

    von Arthur Gamsa und Jannik Kaiser

  • Hintergrund

    Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Planung eines Himmelfahrtskommandos

    von Arthur Gamsa und Jannik Kaiser

Wie es dazu kam, dass Arthur und Jannik für Galaxus von ihren Erlebnissen berichten, erfährst du hier.

  • Hintergrund

    Zwei Fotografen, ein Ziel: zu Fuss durch Norwegens Nationalpark

    von Patrick Bardelli

15 Personen gefällt dieser Artikel


User AvatarUser Avatar

Wir sind zwei Fotografen in Ausbildung an der F+F (Schule für Kunst und Design) in Zürich.
Da uns die Natur sehr fasziniert, sind wir viel in den Bergen und Wäldern der Schweiz unterwegs. Meist mit Kamera, Zelt und einem Gaskocher im Gepäck.


Sport
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar