
Ratgeber
Kauf lieber Bierdeckel statt «Beste Mama von allen»
von Michael Restin
Ich bin gerade bei dir, mein Schatz. Warte kurz. Ich komme. Nein, nur noch kurz. Warte. Und vorbei sind teils Minuten wertvoller Zeit mit dem eigenen Kind. In solchen Situationen tun mir meine Töchter leid!
Den sozialen Medien verfallen, starre ich oftmals minutenlang ins Handy und vergesse mich vollkommen. Nur kurz auf Pinterest die neuen Bastelvorschläge anschauen. Oh, das wäre ein Geschenk für die Grosseltern! Nachricht auf Whatsapp. Gut, kurz switchen und antworten. Hmm, kam da nicht noch eine Mail rein, die ich kurz beantworten muss und die neusten Deals vom Lieblingsanbieter muss ich auch noch kurz checken. Oh shit, hab gestern das Telefonat mit dem Servicetypen vergessen, nur kurz erledigen. Echt, mich stört es selber extrem, dass ich von dem Ding teils völlig absorbiert werde. Warum nicht einfach mit der Kleinen losbasteln, mit der Spielküche spielen oder mit dem Laufrad einen Ausflug machen?
Diesen Sommer kam meine zweite Tochter auf die Welt. Ich habe mir vorgenommen, dass ich die Zeit mit den Süssen bewusster geniessen will, und zwar ohne die lästigen Aussetzer am Handy. Schade, dass es so weit gekommen ist, dass ich mir das bewusst vornehmen muss! Aber immerhin habe ich es gemerkt und geändert. Wir waren somit stundenlang auf dem Spielplatz und haben neue Leute kennengelernt. Tolle Leute, die wir mit gesenktem Blick aufs Smartphone nicht kennengelernt hätten. Wir haben gebastelt, gemalt, gepuzzelt, gekocht, gebacken und viel gespielt. Sensationell! Und das Beste, ich fühle mich gut. Denn ich eifere nicht anderen tollen Instagram-Mamas hinterher, die Zeit im Überfluss für kreative Essensdarbietungen, neue Bastelideen und tolle Einrichtungsideen für die Kinderzimmer haben. Hier trügt der Schein. Es sind oft nicht ansatzweise alle so toll, wie sie sich profilieren. Aber wir glauben gerne an Schönes und lassen uns inspirieren. Ich auch. Doch wenn ich alle meine neuen Projekte von diesem Sommer gepostet hätte, glaub mir, ich wäre die tollste Mum ever. Bin ich nicht, gebe ich auch ehrlich zu.
Doch nicht nur das Smartphone ist elend. Der Fernseher noch mehr. Wird er einmal eingeschaltet und vom Kind entdeckt, dann gibt es kein Halten mehr. So auch bei uns. Wir haben uns bewusst entschieden, die ersten zwei Jahre auf den TV zu verzichten. Also nicht wir als Eltern, sondern unsere Tochter durfte nichts sehen, bis sie den zweiten Geburtstag erreicht hat. Das geht gar nicht, magst du nun denken, aber wir würden es wieder gleich handhaben. Der Fernseher wurde erst eingeschaltet, als die Kleine schlief. Dumm nur, wenn das Umfeld nicht mitmacht. Aber auch da waren wir strikt. Bei uns gab es Nichts, auch wenn bei Oma mal die Gutenachtgeschichte eingeschalten wurde. Wir würden es wieder so machen. Bei der zweiten Tochter ist es aber leider schon etwas schwieriger. Denn wenn die Grosse ihre Gutenachtgeschichte sehen darf, macht die Kleine daneben die grössten Verrenkungen, um nur einen kleinen Blick auf die Flimmerkiste zu erhaschen. Wahnsinnig anziehend diese flimmernden Bilder! Sie bekommt wohl oder übel mehr mit und darf entsprechend mehr als die Grosse. Für uns ist das eine kleine Herausforderung, da wir beiden Töchtern das Gleiche bieten möchten.
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (zhaw) hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesprogramm Jugend und Medien des Eidgenössischen Departements des Innern den Leitfaden «Medienkompetenz» herausgegeben. Der Ratgeber bietet eine Hilfestellung zum Thema Jugend und digitale Medien. So wird zum Beispiel auch auf die «3-6-9-12»-Faustregel eingegangen. Das heisst, kein Fernseher vor 3 Jahren, keine eigene Spielkonsole vor 6 Jahren, Internet ab 9 und soziale Netzwerke ab 12 Jahren. Als Fernseher sind nicht-interaktive Medien wie Fernsehen und DVD gemeint. Wobei interaktive Medien für kurze Sequenzen durchaus vor drei Jahren genutzt werden können. Allerdings nur im gemeinsamen Spiel und nur in ständiger Begleitung eines Erwachsenen.
Für mich persönlich gehören Smartphone, TV, Tablet und Co. vor dem zweiten Lebensjahr aber trotzdem nicht in Kinderhände. Und wenn sie verwendet werden, dann nur sehr rar. Die Kleinen machen in diesen ersten zwei Jahren so viele Wachstumsschübe und Entwicklungsschritte durch, dass ihr Gehirn auch ohne diese Medien jeden Tag enorm gefordert wird. Auch der Leitfaden der zhaw geht auf diese Thematik ein. Es heisst, dass für die Hirnentwicklung die direkte Begegnung mit Objekten und für die sensormotorische Entwicklung frische Luft und Bewegung notwendig sind. Haltungs- und Augenschäden sowie Aufmerksamkeitsdefizit können durch den Konsum verstärkt werden. Zudem können gemäss Leitfaden Fernsehbilder und schnelle Schnitte ein Kind regelrecht überfordern.
Ganz ehrlich, geniess die kurze Zeit mit deinem Kind und lass es nicht vor der Glotzkiste herumgammeln. Wenn du Zeit für dich brauchst, solltest du lieber die Familie, Kollegen oder nette Nachbarn um Hilfe bitten. Auch freies Spielen, Bücher, Spaziergänge oder Puzzles sind immer eine gute Alternative zum Medienkonsum. Das Smartphone solltest du in den ersten Lebensjahren deines Kindes höchstens als Fotoapparat verwenden oder um ein Selfie mit den Kleinen zu machen. Medien kannst du jederzeit konsumieren, aber die unvergesslichen und herzzerreissenden Momente mit den Kindern vergehen, wenn du sie nicht geniesst und teilweise festhältst. Also verpasse sie nicht wegen einem gesenktem Kopf!
Wie handhabst du das mit den digitalen Medien? Gehören Sie für dich dazu oder bist du sogar noch strikter als wir? Erzähl uns davon! Dafür steht dir unten das Kommentarfeld zur Verfügung. Damit du keine spannenden Tipps, Tricks und Themen rund um Babys sowie Kleinkinder verpasst, kannst du mir mit nur einem Klick am Ende der Page als Autorin folgen.
Köchin. Putzfrau. Polizistin. Krankenschwester. Entertainer. Motivator. Autorin. Erzählerin. Beraterin. Organisatorin. Chauffeur. Anwältin. Richterin. .… also einfach gesagt Mami von zwei Töchtern und somit nicht nur (Content) Manager im Beruf, sondern auch im Privatleben.