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Tierärztemangel: «Das Problem ist sehr ernst»

In der Schweiz fehlt es an Veterinärinnen und Veterinären. Olivier Glardon, Präsident der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte, sagt, die Situation sei prekär. Und dies, obwohl beim Nachwuchs grosses Interesse vorhanden sei.

Olivier Glardon, wie dramatisch ist der Mangel an Tierärzten und Tierärztinnen in der Schweiz?
Das Problem ist sehr ernst. Tierärztinnen und Tierärzte kommen vielfach an ihre Belastungsgrenze, damit unsere Haus- und Nutztiere noch angemessen behandelt werden können. Der Bogen ist definitiv überspannt.

Was sind die Gründe?
Der Bund hat den Fachkräftemangel im Veterinärbereich in den letzten Jahren nicht erkannt. Er deckte das Bedürfnis mit ausländischen Arbeitnehmenden und dachte, das reicht.

Wie viele sind das im Verhältnis zu den Schweizer Absolvierenden in den Veterinärwissenschaften?
Jedes Jahr werden 180 bis 200 Tierärztinnen und Tierärzte aus der EU in die Schweiz geholt. Nur 120 Schweizer Studierende schliessen jährlich ihr Studium ab. Das Verhältnis ist also etwa 60 zu 40. Hinzu kommt, dass viele Tierärztinnen und Tierärzte der geburtenstarken Generation nun in Pension gehen.

Können diese nicht ersetzt werden?
Nicht eins zu eins. Viele junge Tierärztinnen und Tierärzte wollen nicht mehr Vollzeit arbeiten, sondern Teilzeit. Wir müssten die Vollzeitstellen zurzeit mit rund 1,4 Mal so vielen Teilzeitstellen ersetzen. Inländische Absolventinnen und Absolventen allein können dieses Verhältnis nicht decken.

Wieso eigentlich? Ist der Beruf nicht mehr attraktiv?
Im Gegenteil. Pro Jahr interessieren sich rund 600 Schweizer Studierende für Veterinärwissenschaften. 450 absolvieren den Eintrittstest. Von diesen werden aber nur 180 zum Studium zugelassen. Und davon werden nach dem ersten Jahr die 150 besten ausgewählt.

Müsste man also die Eintrittsschwelle senken?
Aus unserer Sicht, ja. Die Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern teilt diese Ansicht jedoch nicht. Sie befürchtet, dass die Qualität darunter leidet.

Sie nicht?
Man kann sich fragen, ob nicht eher die Qualität abnimmt, wenn man immer mehr ausländische Tierärztinnen und Tierärzte ins Land holen muss. Dort hat man viel weniger Kontrolle über die Standards.

Wie lässt sich der Tierärztemangel sonst noch erklären?
Der Beruf ist viel technischer geworden, die Patientinnen und Patienten verlangen mehr und aufwändigere Behandlungen und die Krankheiten sind komplexer. Das macht den Berufseinstieg für Absolventinnen und Absolventen nicht einfach. Viele beginnen gar nicht erst, klinisch zu arbeiten. Sie bleiben an der Universität oder gehen in die Forschung oder Industrie.

Wäre der Tierarztberuf überhaupt mit den Bedürfnissen des Nachwuchses deckbar?
Ja. Doch dazu benötigten wir neue und flexiblere Arbeitsmodelle.

Zum Beispiel?
Die Zusammenarbeit innerhalb der Praxis müsste angepasst werden. Tierärztinnen und Tierärzte sollten nur noch Veterinärarbeit leisten. Andere Aufgaben müssten besser delegiert werden können.

An wen?
Es bräuchte nebst Praxisassistentinnen und -assistenten auch neue Berufsbilder in den Tierarztpraxen. Zum Beispiel Praxismanagerinnen und -manager, Agraringenieurinnen und -ingenieure oder spezialisierte Tiermedizinische Assistentinnen und Assistenten in den Bereichen Nutz- und Kleintiere.

Was erwarten Sie vom Bund?
Dass er seine Pflicht wahrnimmt. Wenn er sich für verbesserte Tierschutzmassnahmen und Seuchenprävention in der Schweiz einsetzt, muss er auch die inländischen Tierärztinnen und Tierärzte unterstützen. Das Gleiche gilt für die Qualitätssicherung der Berufsausübung. Sonst bricht das System bald zusammen.

Was hältst du vom Tierärztemangel? Spürst du etwas davon oder kennst betroffene Tierärztinnen und Tierärzte? Verrate es der Community und mir in einem Kommentar.

Titelbild: Shutterstock/Gorodenkoff

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Ich liebe alles, was vier Beine oder Wurzeln hat – besonders meine Tierheimkatzen Jasper und Joy sowie meine Sukkulenten-Sammlung. Am liebsten pirsche ich auf Reportagen mit Polizeihunden und Katzencoiffeurinnen umher oder lasse in Gartenbrockis und Japangärten einfühlsame Geschichten gedeihen. 


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