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Hintergrund

Testosteron-Therapie und Depression: Das rät der Experte

Anna Sandner
29.8.2025

Das Hormon Testosteron sorgt für Diskussionen – von Energie- und Libidoboost bis zur antidepressiven Wirkung liegen viele Hoffnungen auf dem Botenstoff. Was ist dran an Selbsttests, Hype und der tatsächlichen Wirksamkeit? Dr. Andreas Walther von der Universität Zürich – Experte auf diesem Gebiet – ordnet ein.

Kommen wir zur Stimmung. Wie genau wirkt Testosteron auf die Psyche?
Testosteron kann einen direkten Effekt auf die Stimmung haben, aber es wirkt auch indirekt. Wenn ich eine erhöhte Libido habe und diesem Gefühl nachgehe (also mehr Sexualität lebe), wirkt sich das positiv auf die Stimmung aus. Oder wenn ich durch mehr Testosteron körperlich aktiver werde, hat das wiederum positive Effekte auf meine Gemütslage.

Aus Mausstudien wissen wir zudem, dass Testosteron das Überleben neuronaler Zellen fördert. Als anaboles Hormon unterstützt es neue Verschaltungen im Gehirn, was bei Depression hilfreich sein kann. Wenn ein Mann depressive Denkmuster hat und neue neuronale Verbindungen bildet, überleben diese besser mit mehr Testosteron.

Außerdem hemmt Testosteron die Stressachse. Wenn viel Testosteron vorhanden ist, wird die Ausschüttung von Stresshormonen reduziert und auch Entzündungsprozesse werden gedämpft. Ein weiterer Mechanismus: Testosteron aktiviert das Serotoninsystem, auf dem auch moderne Antidepressiva basieren.

Besonders spannend: Die Wirkung von Testosteron auf depressive Symptome zeigte sich unabhängig davon, ob die Männer ursprünglich tiefe oder normale Testosteronlevel hatten. Das heißt, auch Männer ohne Hypogonadismus (Testosteronmangel) profitierten davon.
Dr. Andreas Walther

Bei uns handelte es sich um jüngere Männer zwischen 25 und 50 Jahren mit einer erstmaligen Depression ohne andere psychische oder körperliche Erkrankungen. Wir haben nicht gesehen, dass diese depressiven Männer tiefere Testosteronlevel hatten – teilweise hatten die gesunden Kontrollen sogar tiefere Werte. Wir haben intensiv nach hypogonadalen Männern (Männern mit Testosteronmangel) unter den Depressiven gesucht und keine gefunden.

Wenn sich gezeigt hat, dass Testosteron unabhängig vom tatsächlichen Spiegel eine positive Wirkung hat – warum wird es dann nicht einfach allen Männern mit Depression verschrieben?
Den Gedanken hatte ich natürlich auch. Das Problem bei der ganzen Hormongeschichte ist aber:

Wenn man erstmal anfängt, mit dem Hormonhaushalt herumzuexperimentieren, kann dieser leicht aus der Balance geraten.
Dr. Andreas Walther

Wenn ich von außen ständig Testosteron zuführe, meldet mein Körper: «Wir haben genug, ihr müsst nichts mehr produzieren.» Dann kann meine längerfristige Fähigkeit, selbst Testosteron auszuschütten, so weit gehemmt werden, dass ich es vielleicht nicht mehr so gut auf die Reihe bekomme, wenn ich nicht mehr supplementiere.

Deshalb würde ich allen Männern abraten, einfach so Testosteron nachzuschieben, wenn sie normale Werte haben. Es gibt keinen Grund dafür.
Dr. Andreas Walther

Zudem gibt es weitere Risiken: Wenn ein unerkanntes Prostatakarzinom vorliegt und man Testosteron verabreicht, kann das Wachstum der Krebszellen gefördert werden.

Ich rate dringend davon ab, solche Dinge einfach auszuprobieren, ohne ärztlich begleitet zu sein.
Dr. Andreas Walther

Man greift in komplexe Systeme ein. Und wenn man Präparate aus dem Internet bestellt, stellt sich auch die Frage, was da überhaupt genau enthalten ist.

Deshalb ist klar: Solange es keine deutlich belastbarere Forschung gibt – also richtig große, kontrollierte Studien mit unterschiedlichen Patientengruppen – bleibt eine pauschale Testosterontherapie bei Depression Wunschdenken. Was bleibt, ist: ein spannendes Feld mit Potenzial. Die Wissenschaft ist aber noch mitten in der Forschung.

Titelbild: Akarawut/Shutterstock

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Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.


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