Ratgeber

Schminke gegen Kamera: Wie du elektronisch unsichtbar wirst

Gesichtserkennungssysteme verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Wie kannst du dich dieser Überwachung entziehen, ohne dass du gegen geltende Gesetze verstösst? Wir haben den Versuch gemacht.

Wenn du dein Handy auf ein Gesicht richtest, dann erscheint da ein Quadrat oder ein Kreis um Augen, Mund und Nase. Die Maschine identifiziert dich als Mensch mit Gesicht. Die Sache mit dem Smartphone mag harmlos sein, doch Grossunternehmen wie Siemens vertreiben Überwachungskamerasysteme mit Gesichtserkennung an jeden, der sie sich leisten kann. Polizei, Fussballstadion, Modeladen am Eck. Diesen Maschinen zu entkommen, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Das Experiment zeigt: Je auffälliger du für Menschen wirst, desto unsichtbarer wirst du für Maschinen.

Das Experiment im Detail

Models Lea Krummenacher und David Lim sollen bei perfekter Studiobelichtung in die Kamera des Vivo Nex S blicken, eines der modernsten Smartphones auf dem Markt. Die Gesichtserkennung – ein gelbes Rechteck – soll nicht erscheinen.

Make-up Artist Marc Moser macht Menschen digital unsichtbar.

Die Gesichtserkennung funktioniert wie folgt: Die künstliche Intelligenz hinter dem elektronischen Auge sucht Augen. Oder besser, zwei helle Flächen mit etwas Dunkel in der Mitte. Das geht auch im Profil mit nur einem Auge, daher funktioniert die Gesichtserkennung unter anderem mit einem oder zwei «Hell mit Dunkel drin». Nicht aber mit drei, da es keine Menschen mit drei Augen gibt. Ein erster Anhaltspunkt.

Dazu sucht die Kamera weitere Linien. Eine vertikale Linie als Nase, eine horizontale Linie als Mund. Dazu entweder eine Nase im Profil oder eine Symmetrie in der Frontalansicht. Die Theorie: Wenn wir der Kamera Formen, Kontraste und Farben geben, die sie nicht in einem Gesicht erwarten würde, dann erscheint das gelbe Rechteck nicht. Dann erkennt dich die Kamera im Stadion vielleicht auch nicht.

Das Konzept Dazzle

Die Idee, die wir verfolgen, heisst Dazzle. Erfunden wurde die auffälligste Tarnung aller Zeiten im ersten Weltkrieg. Damals haben Armeen Schiffe mit verwirrenden Mustern bemalt, damit U-Boote mit ihren Periskopen nicht sicher sein konnten, ob da ein Schiff ist oder ob es sich um Wellen und Wolken handelt. In ruhigen Gewässern sind Menschen schwer zu täuschen, aber im Kampf, wenn jeder Torpedo zählt, da will sich Soldat sicher sein, dass da wirklich ein feindliches Schiff ist und wo genau es ist und in welche Richtung es fährt. All das wird von Dazzle so schwierig wie möglich gemacht.

Die Dazzle-Tarnung auf einem Schlachtschiff.

Im Jahre 2012 hat der Künstler Adam Harvey das Konzept für moderne Überwachungskameras aufgegriffen und Make-ups sowie Frisuren erschaffen, die die digitale Unsichtbarkeit garantieren sollen. Seither hat sich in der Technologiebranche viel getan. Kameras sind schlauer, Computersysteme schneller und intelligenter geworden. Funktioniert das noch? Und wenn nicht, wie weit müssen wir gehen, damit die Person vor der Kamera nicht erkannt wird?

Die einäugige Lea

So brechen wir die Linien im Gesicht. Dazu benutzt Make-up Artist Marc Moser Lippenstifte. Er zeichnet Lea drei Streifen über das rechte Auge und drei Punkte auf die rechte Wange. Die Unterlippe macht er zur Hälfte schwarz, den Rest lässt er natürlich. Dann frisiert er ihre hellblonden Haare über die Hälfte ihres Gesichts.

Das Vivo Nex meint: Da ist kein Mensch im Bild. Auch im Profil erkennt das Nex Lea nicht. Drei Punkte und drei Linien und ein bisschen Lippenstift reichen aus.

Lea Krummenacher fällt auf, ist aber für Kameras unsichtbar.
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Wenn Lea aber ihre Haare auch nur einen Zentimeter nach links bewegt, den Blick auf ihr linkes Auge freigibt, dann schlägt die Kamera an. Denn dann hat sie die gerade Linie der Nase gefunden und sieht ein bisschen Auge. Das Elektronengehirn rechnet, abstrahiert das Make-up und das gelbe Rechteck erscheint. Die Kameras achten also auch auf Symmetrie und wenn eine solche gefunden ist, dann kann das System hinter der Kamera über die Schminke hinwegsehen und erkennt das Gesicht.

Der dreiäugige David

Bei David versucht Marc Moser, die Linien im Gesicht so zu überzeichnen, dass die Kamera nicht mehr an ein Gesicht glaubt. Auf Davids Nase zeichnet er einen vertikalen, schwarzen Strich, daneben weisse Highlights. Einen weissen Fleck über die Oberlippe rechts, schwarze Striche auf die rechte Wange und einen weissen Strich zwischen Lid und Augenbraue.

David wird nie für die Kamera unsichtbar.
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Ein gelbes Rechteck erscheint.

Marc vermutet, dass die Symmetrie in Davids Gesicht die Kamera das Make-up übersehen lässt.

«Dann muss ich halt sein linkes Auge verunstalten», sagt er mit einem Lachen.

Ein Dreieck unter dem linken Auge soll es richten. Dazu ein formloser Fleck auf dem Oberlid. Es kommt etwas «Clockwork Orange»-Ästhetik auf. Doch die Kamera sagt immer noch: Da ist ein Mensch.

Genau zwischen die Augen

Was also macht den Look Leas unerkennbar, aber David ist offensichtlich menschlich? Liegt es daran, dass Teile ihrer Schminke ihrer Augenfarbe gleichen?

«Unwahrscheinlich», sagt Marc, «denn Davids dunkle Augen könnten vor der Maschine in etwa in dieselbe Kategorie fallen wie seine schwarze Schminke.»

Genau sagen, was wie gut funktioniert, können wir während dem ganzen Experiment nicht. Denn ein Samsung A5 aus dem Jahre 2017 hört schnell auf, Lea oder David als Menschen zu erkennen. Das Vivo Nex aber ist cleverer. Ein iPhone 5 erkennt David, nicht aber Lea.

Etwas Probieren zeigt: Die Kamera des Vivo Nex legt grossen Wert auf die Partie zwischen den Augen. Dort kommt die Linie des Nasenrückens, die der Augenbrauen und die hellen Partien der Augen zusammen.

Leas Look wird ausgebaut. Marc malt ihr ein blaues Dreieck auf die bisher leere linke Wange und die Kamera erkennt das Model ohne weiteres. Er drapiert die Haare ins Gesicht: Lea wird unsichtbar.

Der Kampf gegen die Abstraktion

Da moderne Smartphone-Kameras eine gewisse Intelligenz besitzen, lohnt es sich in «If Then»-Statements zu denken. Also, wenn Faktor A, dann Mechanismus B. Diskussionen zwischen Models, Make-up Artist, Grafikern, Fotografen, Journalisten und Managern entbrennen. «Was, wenn…?» dominiert das Studio. Marc pinselt, streicht und wischt.

Wir stellen fest, dass die Kamera immer aktiv nach Gesichtern sucht. Also auch wenn die Person vor der Kamera mit digital Camouflage geschminkt ist, dann gibt die Kamera nicht auf. Denn wenn Lea ihren Kopf dreht, dann schlägt das Rechteck auf einmal an. In der Regel an dem Punkt, an dem die Kamera den Gedanken «Wenn jetzt das ein Gesicht ist, dann würde ich die andere Seite des Gesichts nicht sehen» fasst.

Lea ist mit dem Dreieck und der Haartolle im Profil digital unsichtbar.

Marc gibt sich nur ungern geschlagen. Tatsächlich, nach kurzer Zeit gibt streckt das Nex die Waffen, wenn es Lea im Profil mit dem knalligen Dreieck und der Haartolle auf der Nase sieht. Menschen haben keine Dreiecke auf dem Gesicht und keine zwei Nasenspitzen. Da die Kamera aber Leas andere Seite ohne Probleme erkennt, können wir schliessen: Es ist das Dreieck.

Ein letzter Versuch mit David, den die Kamera bisher immer erkannt hat. Marc adaptiert Techniken, die schon bei Lea funktioniert haben. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, denn wenn Davids Haare ihm über die kritische Partie zwischen den Augen hängen, wird auch er digital unsichtbar.

Endlich unsichtbar. Wenn die Partie zwischen den Augen verdeckt wird, ist auch David unsichtbar.

Mit den Make-ups fallen Lea und David im echten Leben auf wie bunte Hunde. Der paradoxe Effekt ist aber, dass genau ihre abnormalen Looks dazu führen, dass sie so weit aus dem Rahmen fallen, dass eine Kamera keinen Menschen mehr sieht.

Ob das Experiment auch mit den professionellen Kameras im Stadion oder in Supermärkten funktioniert, wissen wir nicht. Was wir aber wissen: Wir verstossen mit Leas und Davids Make-ups gegen keine Gesetze. Denn das Vermummungsverbot betrifft zwar Kleidung, aber nicht Schminke.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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