Hintergrund

Revox A77: Meine Nostalgie-Maschine

David Lee
25.9.2021

Spulentonbänder sind für Leute, denen Musikkassetten zu modern und Schallplatten zu Mainstream sind. Und für Leute wie mich, die damit eine Kindheitserinnerung aufleben lassen wollen. Pflegeleicht ist so ein Gerät nicht. Aber es macht trotz aller Macken und Mühen Freude.

Ich habe das Tonbandgerät Revox A77 Mk IV meines verstorbenen Vaters revidieren lassen. Es stammt aus den Siebzigerjahren, als Musikkassetten noch nicht geläufig waren. Eine Bandmaschine, fast ein halbes Jahrhundert alt, hergestellt nicht in China und auch nicht in Japan, sondern in der Schweiz in Deutschland. Von einer Schweizer Firma.

Die Revision kostete einen vierstelligen Betrag, denn das ist Handarbeit mit Schweizer Lohnniveau. Wegen tatsächlicher und vermeintlicher Mängel fuhr ich insgesamt drei Mal zum Spezialisten. Jedes Mal mit dem 15 Kilogramm schweren Teil im Gepäck. Im Auto auf dem Rücksitz angeschnallt.

Noch viel schwerer war etwas anderes. Ich hatte keinen geeigneten Ort, um das Tonbandgerät aufzustellen. Also bestellte ich mir ein 80 Kilogramm schweres Sideboard. Weil ich für eine Lieferung in die Wohnung mehrere Monate hätte warten müssen, liess ich es mir vor den Haupteingang kippen. Und da das Ding an einem Stück kam, musste ich erst ein paar Kumpels zum Essen einladen und ihre Zügelhilfe beanspruchen.

Ein ziemlicher Aufwand also – warum eigentlich?

Ich erinnere mich an etwas Schönes aus meiner Kindheit und möchte diese Erinnerung gern wieder zum Leben erwecken. Dass ich Musik heute viel einfacher, praktischer und in höherer Qualität hören kann, spielt keine Rolle. Ebenso wenig wie die Kosten. Die Kindheitserinnerung ist unbezahlbar.

Musik hören, sehen und fühlen

Zur Erinnerung gehört zuerst einmal die Musik selbst. Die Tonbänder enthalten Musik, die mich für immer geprägt hat. Dazu gehört Abbey Road von den Beatles, Before the Flood von Bob Dylan oder Bridge Over Troubled Water von Simon & Garfunkel. Diese Alben habe ich später als CDs gekauft.

Drücke ich auf «Play» oder später auf «Stop», hat das ein resolutes «Zack» zur Folge – ähnlich wie bei einer Schreibmaschine, wenn der Buchstabe auf das Farbband schlägt. Verursacht wird das durch die Andruckrolle, die nach oben springt. Beim Vorwärts- oder Rückwärtsspulen ist ein Windgeräusch wie bei einem Ventilator zu hören.

Von der Vergangenheit in die Gegenwart

Ich will mir meine Kindheitserinnerung zurückholen. Doch nach der Revision wird klar, dass das nicht so einfach ist. Die alten Bänder sind hinüber. Über die Jahrzehnte zersetzen sie sich, sodass beim Abspielen Abrieb entsteht. Der verschmutzt die Tonköpfe, der Sound wird sehr dumpf, teilweise bleibt das Band gar kleben. Die anschliessende Reinigung der Tonköpfe ist mühsam.

Als ich mir das Ergebnis anhöre, merke ich: Es ist nicht dasselbe. Es wird nie mehr genau so sein wie damals. Die Vergangenheit kommt nicht zurück. Je mehr ich versuche, alles genau zu rekonstruieren, desto schmerzlicher wird mir das bewusst.

Also gebe ich die Idee auf, die Revox A77 als Zeitmaschine zu benutzen. Sie soll ihren Platz in der Gegenwart finden. Ein Erbstück soll nicht dazu dienen, der Vergangenheit nachzutrauern, sondern die Gegenwart zu bereichern. Ich wickle das Band auf hochwertige Metallspulen auf und bespiele es mit meiner Lieblingsmusik.

Technik: Die Qualität ist variabel – der Platz auch

Ohnehin ist die Revox A77 Mk IV cool genug, um nicht bloss als Relikt zu dienen. Sie sieht ansprechend aus, und unter optimalen Bedingungen klingt sie auch gut.

Die Soundqualität hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das Wichtigste ist, dass die Tonköpfe absolut sauber sind. Zudem sollten die Metallteile, die mit dem Band in Berührung kommen, von Zeit zu Zeit entmagnetisiert werden. Dafür habe ich mir ein spezielles Tool bestellt.

Du weisst, dass du ein Nerd bist, wenn du einen Tonkopf-Entmagnetisierer dein Eigen nennst.

Ich selbst denke nicht im Traum daran, Musik in Mono aufzuzeichnen. Aber mein Vater hat das sehr oft getan. Stereo wurde erst in den Siebzigern zum selbstverständlichen Standard. Highway Chile von Jimi Hendrix aus dem Jahr 1967 kam beispielsweise noch in Mono heraus.

Falls dich die Technik genauer interessiert: Hier ist das recht ausführlich und verständlich erklärt.

Launische Diva, ich liebe dich

Wie gesagt, unter optimalen Bedingungen klingt das Ding gut. Aber es passiert sehr leicht, dass die Qualität massiv absinkt. Eine hartnäckige oder unentdeckte Verschmutzung der Tonköpfe, falsches Reinigen, nicht optimal laufendes Band, oder eine andere Ursache. Die Revox A77 ist zwar verglichen mit anderen Bandmaschinen sehr zuverlässig, aber dennoch eine launische Diva.

Beim Googlen nach möglichen Fehlern verliere ich mich schnell in einem Universum von Halbwissen und Pseudo-Expertentum. Da ist die Rede von Tonkopf-Azimuth und Einmessen mit einem Kalibrierungsband. Will ich mich wirklich so tief einarbeiten?

Immer wieder mahnt mich eine innere Stimme zur Vernunft: Hör auf, das ist eine Sisyphusarbeit! Aber ich liebe dieses Gerät. Je mehr ich darin investiere, desto mehr wird es zu einer Herzensangelegenheit. Und zu einer Art Hassliebe.

Mir scheint, dass die Bandmaschine einen warmen, «analogen» Klang erzeugt. Ich bespiele die Bänder zudem mit Aufnahmen aus den Siebzigerjahren, und diese haben eh schon einen warmen Sound. Auch sie wurden zuerst auf Band aufgezeichnet, bevor daraus Schallplatten gepresst wurden. Vielleicht hat es damit etwas zu tun.

Übereinander gelagerte Aufnahmen

Als Amateurgitarrist gefällt mir, dass mit der Revox A77 Overdubs möglich sind. Zwar nur in Mono, aber immerhin. Ich kann zum Beispiel eine Basslinie aufnehmen, dann eine Gitarre drüber legen und in einem dritten Aufnahmedurchgang noch Gesang hinzufügen. Heute reisst das niemanden vom Hocker, schliesslich geht das auch mit dem iPhone. Aber: Gewöhnliche Kassettenrekorder konnten das noch Jahrzehnte später nicht.

Während dieser Aufnahme ging der Bandzähler kaputt, sodass ich keine Ahnung hatte, bis wohin ich das Band zurückspulen musste. Die Diva hat wieder zugeschlagen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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