
Meinung
Kleines Ding, grosse Wirkung: Wie mir eine Fahrradklingel den Sonntag versüsste
von Patrick Bardelli
Ich will keine Bewunderung. Kein Schulterklopfen. Keine Komplimente für Dinge, die für mich Alltag sind. Ich will einkaufen. Kaffee trinken. Leben. Ganz normal.
Ich stehe an der Migros-Kasse. Hinter mir ein Mann: «Mega stark, dass Sie das alles so meistern.» Ich lächle höflich. Aber eigentlich denke ich: Bro, ich habe einfach eine Gurke gekauft.
Menschen meinen es gut. Sie wollen freundlich sein. Oder respektvoll. Oder was Nettes sagen. Aber am Ende sagen sie vor allem eines: Dass ich anders bin. Dass ich auffalle. Nicht wegen meiner Persönlichkeit. Sondern wegen meines Rollstuhls.
Dabei will ich gar nicht auffallen. Ich will einkaufen. Oder einen Kaffee trinken. Oder irgendwo sitzen, ohne dass mir jemand auf die Schulter klopft und sagt: «Toll, dass Sie das so machen.»
Ich will auch nicht inspirieren. Ich will einfach meine Ruhe.
Ich fahre mit dem Tram. Der Platz für Rollstühle ist besetzt – von einem Kinderwagen, daneben ein Fahrrad. Niemand schaut auf. Ich bleibe neben der Tür stehen. Fahrgäste steigen ein, schieben sich an mir vorbei. Manche schauen mich an, dann schnell wieder weg. Als wäre ich ein Hindernis. Oder eine Erinnerung daran, dass Mobilität nicht für alle gleich funktioniert.
Später im Lift am Bahnhof. Ich warte. Und warte. Der dritte Aufzug, der vorbeifährt, ist endlich leer. Ich fahre rein. Eine Frau sagt: «Oh, Sie dürfen zuerst.» Ich denke: Ich darf gar nichts. Ich muss.
Diese kleinen Szenen wiederholen sich. Nicht dramatisch. Nicht schrecklich. Aber ermüdend.
Manchmal kommt noch ein: «Sie haben ja echt Mut, so alleine unterwegs zu sein.» Ich nicke freundlich. Aber innerlich denke ich: Es kostet Kraft, dir jetzt ein Lächeln zu schenken. Mutig wäre es, dir die Wahrheit zu sagen.
Oder wenn jemand fragt: «Sind Sie denn ganz alleine hierher gekommen?» Ja. Ich bin alleine hierhergekommen. Wie ungefähr eine halbe Million andere Menschen heute auch. Oder wenn Leute bewundernd sagen: «Das könnte ich nicht.» Doch. Wahrscheinlich könntest du das. Genauso wie ich früher nicht gedacht habe, dass ich mal meine Wohnung barrierefrei einrichten muss. Und es dann einfach gemacht habe.
Diese Sätze wirken harmlos. Manchmal sogar freundlich. Aber sie haben immer eine Schieflage. Sie sagen: Du bist nicht wie wir. Auch wenn sie sagen wollen: Du bist stark.
Stell dir vor, es ginge dir so: Du stehst an der Kasse. In deiner Hand eine Packung Butter. Hinter dir sagt jemand: «Wow, dass Sie das so hinkriegen – echt beeindruckend.» Du würdest wahrscheinlich denken: Geht’s noch? Ich kaufe ein. Mehr nicht.
Es ist nicht der Rollstuhl, der mühsam ist. Es sind die Erwartungen, die projiziert werden. Dass ich dankbar sein soll für jede Hilfe. Dass ich erklären soll, warum ich da bin. Dass ich mich entschuldigen soll, wenn ich Platz brauche. Dass ich bewundert werde – aber nicht ernst genommen.
Ich wünsche mir keine Aufmerksamkeit. Ich wünsche mir: Raum. Respekt. Und Ruhe.
Barrierefreiheit bedeutet nicht, dass ich überall gefeiert werde. Barrierefreiheit bedeutet, dass ich irgendwo hinkomme und niemanden interessierts. Dass es Rampen gibt und Lifte funktionieren. Dass ich meinen Alltag leben kann, ohne ständig Erklärungen abgeben zu müssen. Ohne Smalltalk über meinen Körper. Ohne komische Blicke. Ohne Bewunderung für Dinge, die für mich einfach Alltag sind.
Natürlich freue ich mich über Freundlichkeit. Natürlich finde ich es gut, wenn Menschen helfen, wenn ich wirklich Hilfe brauche. Aber meistens brauche ich keine Extrawurst. Und wenn doch, dann frage ich danach.
Ich bin nicht euer Inspirations-Meme. Ich bin kein Werbesujet für Durchhalteparolen. Ich bin Ramon. Ich wollte eigentlich nur eine Gurke kaufen. Mehr nicht.
Bezahlt werde ich dafür, von früh bis spät mit Spielwaren Humbug zu betreiben.