
Meinung
Kinder beim Sport: Was Eltern alles falsch machen
von Michael Restin
«Pfèrd» statt «Ross», «Träppè» statt «Schtägè», «arbäitè» statt «schaffè» und «Fläschènè» statt «Fläschè»: Unsere Kinder verlernen die Mundart im Eiltempo. Ja, Sprache ist im Wandel – aber muss es diese schreckliche Richtung sein? Der sinnlose Protest eines alternden Sprachwächters.
Bestimmt kennst du die legendären Schweizer Kasperli-Theater. Sie enthalten einerseits üble Stereotypen, andererseits schönstes altes Zürichdeutsch. «Du chasch mèr blèèterlè», sagt Kasperli zu Jägermeister Möösli, als der vor lauter Angst vor dem Drachen nicht mit in den Wald kommen mag. Und der erschreckte Kurtli Mosimann ruft: «Mèrci, Butzèli!», als «d Häx Nörgeligäx» ihn ebenda anspricht.
Moment mal, blèèterlè und mèrci? Ja, denn Zürichdeutsch hat zwei verschiedene «ä»: das helle von der Häx und dem Zwätschgeräuber sowie das dunklere von er, wer und leer – ausgesprochen aber eben nicht als är, wär und läär, sondern als èr, wèr und lèèr. Und was heisst es? «Ès Blèèterli» ist der Diminutiv der «Blaatere», der Blase. Wir finden es auch im «Blèèterliwasser», zu Deutsch Sprudelwasser. «Du chasch mèr i d Schuè blaasè» kommt Kasperlis Aussage am nächsten.
Wie dem auch sei: Die Kasperlitheater (Chaschperli, übrigens, nicht Chasperli!) wurden vor einer ganzen Weile produziert. Ines Torelli, Paul Bühlmann und Jörg Schneider nahmen ihre legendären Hörspiele zwischen 1967 und 1976 auf. Heutige Kinder reden ganz anders. Meines, zum Beispiel.
«Papa, ich bruuch no ès Pferd», sagte mein Sohn vor ein paar Jahren, als er mit seinen Lego-Rittern spielte. «Das häisst Ross!», tadelte ich. Und hoffte, die Angelegenheit sei damit erledigt. Im Sinne von: Dies werde das einzige Wort bleiben, das zu korrigieren sei, und keine weitere Berichtigung werde nötig sein.
Weit gefehlt. Immer wieder benutzte mein Sohn dieses deutsche, nicht schweizerdeutsche Wort, und immer wieder korrigierte ich, es sei ein «Ross», kein «Pferd». Und dass man «schaffè» sage, nicht «arbäitè». Und schon gar nicht «Zygè»! Es ist eine «Gäiss»!
Immer neue und immer schlimmere Germanismen brachte mein Sohn aus der Schule nach Hause. Und mich damit halb um den Verstand. Ich fand es grässlich, sowas zu hören, zumal aus dem Mund eines überaus sprachbegabten Kindes.
Ich besprach die Angelegenheit mit meinem alten Freund Stefan. Der hat drei Kinder, die auch so reden. «Es ist furchtbar», berichtet Stefan: «Sie sagen ‹Was ès Goal!› statt ‹Was für ès Goal!› und ‹èm See entlang› statt ‹èm See naa›! Und ‹benutzè› statt ‹bruuchè›!»
Wie ich opponiert auch er jedesmal. Verständnis bekommt er keines, nur Spott: «Papa, ich cha nüüt dèfüür, dass ièr früènèr so komisch gredt händ!»
Komisch? Richtig! Richtiges Zürichdeutsch haben wir gesprochen und tun es immer noch! Frächi Chäibè!
Natürlich stellt sich die Frage, wie schlimm das alles ist. Die Butter heisst ja auch schon lange nicht mehr «Anke». Und die Kartoffelschale nicht mehr «Schelfèrè», und «Glünggi» sagt ausser Kasperli auch keiner mehr. Es weiss auch kaum noch jemand, dass «lehren» und «lernen», zwei total verschiedene Dinge, auf Zürichdeutsch beide «leerè» heissen und «lèrnè» immer schon falsch war.
Ja, Sprache ist im stetigen Wandel. Aber muss es ein solcher Wandel sein? Veränderung ist unvermeidlich, Verluderung aber nicht. Das Schweizerdeutsch in seiner aktuellen Form wirkt wie eine Billigkopie seiner selbst. Kein Wunder, müssen immer mehr Schweizer Kinder die DaZ-Kurse besuchen (Deutsch als Zweitsprache), die eigentlich für Migrantenkinder bestimmt sind – sie beherrschen ihre eigene Muttersprache nicht mehr richtig.
Das Problem ist übrigens nicht neu, wie die Pseudoplural-Suffixe zeigen: «Fläschènè» und «Flaggènè» – dabei sind es auch im Plural Fläschè und Flaggè. Es sind ausserdem «zwäi Tee und zwäi Kafi», nicht «zwäi Tees und zwäi Kafis». Auch das -s als Pluralform ist im Schweizerdeutschen weder bekannt noch zulässig. Es wurde ihm einfach aufgenötigt.
Man müsste doch merken, wie bescheuert es klingt, «ich hett gèrn zwäi Kafis» zu sagen!
Bei mir zuhause ging es weiter bergab. Eines Abends wollte mein Sohn etwas über einen «Zuun wärfè». Ich war fassungslos. «Zuun!» «Wärfè!» «Ès häisst übèr dè Haag ruèrè!» sagte ich. Und dass ich ihn liebe, egal wie er rede. Und dass das mit diesem grässlichen Neozüritüütsch ein Ende haben müsse. Bitte! Ich kann nicht mehr!
Der Tiefpunkt kam aber erst noch. Ich telefonierte mit einer Freundin und sagte im Gespräch: «Hèruusfordèrig.» Sie, nicht minder militant in diesen Dingen: «Thomas, häsch du jetz wükli Hèruusfordèrig gsäit? Das isch è-n-Usèforderig!» Eine schwere Schmach.
Schliesslich unterhielt ich mich mit meinem Freund Daniel, den ich seit fast 40 Jahren kenne und ebenfalls drei Kinder hat, die fürchterliche Wörter nach Hause bringen, über das Thema. «Chürzlich!», sagte Daniel kopfschüttelnd. «Chürzlich?» fragte ich, das Problem nicht erkennend. «Thomas! Das häisst letschti! Und ‹damals› gits au nöd! Das häisst doo! Oder doozmaal!»
Stimmt. Wusste ich nicht. Ich Glünggi!
Während ich das schreibe, spielt mein Sohn Fortnite mit seinen Freunden. Und fordert sie auf, ihm in «diè Eggè deet hinè» zu folgen. Hrrngn! Ès isch DÈ Eggè! Männlich!
Soll ich noch etwas sagen? Es interessiert ihn sowieso nicht, und wenn ich jetzt in sein Game reinplärre, ist es ihm vor seinen Freunden total peinlich. Wobei ich seit einiger Zeit nicht mal mehr etwas sagen muss, um peinlich zu sein.
Der Chaschperli in mir ist stärker. Ich stelle mich vor den TV, auf dem mein Sohn gerade fröhlich Headshots verteilt, und annonciere: «Dè Eggè! Nöd diè! Männlich!»
Der Blick, den ich bekomme, zeigt mir, wie alt ich geworden bin.
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.