Hintergrund

Mary Sue, Teil 2: Was ist mit Luke Skywalker?

Luca Fontana
14.5.2020

Die Meisten sind sich einig: Rey aus «Star Wars» ist eine Mary Sue, weil sie praktisch unfehl- und unbesiegbar ist. Können wir Luke Skywalker denselben Vorwurf machen?

Was ist eine Mary Sue? Eine Mary Sue ist ein Charakter, der ohne nähere Erklärung in jedweder Hinsicht unbesiegbar, unfehlbar und von allen geliebt ist. Er macht keine Entwicklung durch, überwindet keine Schwächen und wächst nicht an Niederlagen – denn Mary Sues sind perfekt.

Wie Rey in «Star Wars».

Haben wir dieselben Filme gesehen? Keine Niederlagen? Sehe ich jetzt etwas anders. Es gäbe übrigens noch Luke, auf den «Mary Sue», unpassender Name imho, passen würde.
georgf, 30. April 2020

Die Antwort:

@georgf sorry, aber das Konzept der Mary Sue ist einfach in relevanten Bereichen komplett anders als was Du grad beschreibst. [...] Was Luke ist – und hey @Luca Fontana, macht da mal was drüber ;) – was Luke wirklich ist, ist ein «Chosen One».
rithar, 5. Mai 2020

Aber der Schein trügt. Zumindest in meinen Augen. Schauen wir uns das an.

Luke Skywalker vs. Rey vs. Mary Sue

Zur Erinnerung. Das sind die typischen Eigenschaften eines Mary-Sue-Charakters:

  1. Er besitzt überlegene Fähigkeiten, ohne dass sie je erklärt werden
  2. Er ist nahezu unfehlbar, moralisch erhaben und so gut wie unbesiegbar
  3. Er wird von allen anderen Charakteren bedingungslos gemocht oder gar geliebt
«Sir, Luke ist der beste Buschpilot in den Outer-Rim-Territorien.»

Und Rey?

Luke ist weder unfehl- noch unbesiegbar.

Punkt 3: Luke wird nicht von allen Charakteren gemocht. Zumindest nicht sofort. R2-D2 schert sich anfangs kaum um Luke und trickst ihn aus, um zu Obi-Wan zu gelangen. Auch Leia ist nicht gerade Feuer und Flamme für den «kurzen» Skywalker. Und Han Solo hat nichts als Hohn und Spott übrig.

@georgf sorry, aber das Konzept der Mary Sue ist einfach in relevanten Bereichen komplett anders als was Du grad beschreibst. [...] Was Luke ist – und hey @Luca Fontana, macht da mal was drüber ;) – was Luke wirklich ist, ist ein «Chosen One».
rithar, 5. Mai 2020

Luke ist weder Mary Sue noch «Chosen One» (sorry rithar). Letzteres wäre jemand, der mit besonderen Talenten oder Gaben ausgestattet ist und der durch eine Prophezeiung oder Ähnliches dazu bestimmt ist, eine bestimmte heroische Aufgabe zu erfüllen. Anakin Skywalker, zum Beispiel.

Aber Luke ist kein Auserwählter, sondern ein «Everyman» – ein «Jedermann». Und seine Geschichte beschreibt die üblichen Stationen dessen, was der irische Schriftsteller James Joyce (1882 – 1941) einst als «Heldenreise» bezeichnet hat.

Ich erklär’s dir.

The Hero's Journey – die Heldenreise

Kommt dir das bekannt vor?

Tatsächlich gibt George Lucas in der Star-Wars-Doku «Empire of Dreams» – läuft übrigens auf Disney+ und ist die beste Star-Wars-Doku überhaupt – offen zu, dass er sich anno dazumals beim Schreiben von «Star Wars» massgeblich von Campbells Arbeit hat beeinflussen lassen.

Aber was macht Luke zum Everyman?

An Lukes Charakter ist zunächst gar nichts ungewöhnlich. Bewusst. Er ist ein Junge auf einem riesigen Wüstenplaneten mit grossen, aber unerfüllten Träumen. Er soll nicht überlegen oder erhaben wirken. Luke soll sich wie du und ich anfühlen. Wie jemand, mit dem wir uns problemlos identifizieren und mit dem wir sympathisieren. Ein Jedermann halt. Wer sein Vater war und was er ihm womöglich vererbt hat – das kommt alles erst viel später.

Der Everyman ist übrigens ein Griff in die erzählerische Trickkiste, die ich auch in meinem Artikel über den «The Matrix»-Charakter Neo geschrieben habe.

Reys Charakterentwicklung beginnt ähnlich. Aber in jeder Gefahrensituation hat sie neue Fähigkeiten, die vorher nie erklärt wurden. Als Schrottsammlerin fliegt sie wie ein Flieger-Ass, repariert Raumschiffe im Nu und besiegt in ihrem allerersten Lichtschwertkampf den seit Kindesalter von Luke Skywalker persönlich ausgebildeten Kylo Ren. Das macht sie nicht zum Everyman, sondern zur Mary Sue.

Anders ausgedrückt: Wäre Luke ein Spielcharakter, würde er bei Level Null beginnen. Immer wieder gerät er in Kämpfe, die er verliert, weil sein Powerlevel noch zu niedrig ist. Sei es bei den Tusken in «Episode IV», im Kampf gegen Vader in «Episode V» oder im Thronsaal des Imperators in «Episode VI». Erst durch die gesammelten Erfahrungen erreicht er das zum Gewinnen benötigte Level.

Rey hingegen steigt keine Levels auf. Sie hat die Fähigkeiten bereits, die sie zum Gewinnen benötigt. Von Anfang an.

Sie cheatet.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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