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Magic the Gathering ist das komplexeste Spiel von allen

Überraschung für algorithmische Spieltheoretiker: Nie hätten sie sich träumen lassen, dass ein Spiel so komplex sein kann. Doch «Magic» überfordert Rechner mitunter gewaltig, wie eine aktuelle Forschungsarbeit zeigt.

Wer im September 2018 in Las Vegas war, konnte sich leicht in die beliebte Fernsehserie «The Big Bang Theory» versetzt fühlen: In einem Raum bekämpften sich 24 erwachsene Männer mit bunten Fantasy-Spielkarten, auf denen magische Kreaturen und Zaubersprüche abgebildet sind. Tatsächlich handelte es sich um die jährlich stattfindende «Magic: The Gathering»-Weltmeisterschaft, bei der die Spieler um Preisgelder von insgesamt 300 000 Dollar wetteifern.

Mittlerweile hat das Kartenspiel auch in wissenschaftlicher Hinsicht viele Menschen in seinen Bann gezogen, denn es scheint jahrzehntealte Überzeugungen von Spieltheoretikern über den Haufen zu werfen: Offenbar ist Magic mit seinen vielen Karten, komplizierten Regeln und ausgeklügelten Strategien für Computer eine größere Herausforderung als Informatiker für möglich gehalten haben.

Für extrem große Zahlen gibt es daher keine effiziente Möglichkeit, sie in ihre Primfaktoren zu zerlegen, während es sehr einfach ist, das Ergebnis zu überprüfen. Solche Probleme sind in der Informatik als NP-Probleme bekannt.

Überraschung für Spieltheoretiker

Wie Churchill und seine zwei Kollegen nun gezeigt haben wollen, ist das bei Magic aber der Fall. Sie vermuten sogar, dass das Sammelkartenspiel noch komplexer sein könnte. Um zu diesen Schlüssen zu kommen, bedienten sich die Forscher eines gängigen Konzepts der theoretischen Informatik: einer so genannten Turingmaschine. Dieses 1936 vom britischen Wissenschaftler Alan Turing eingeführte Rechnermodell simuliert die Arbeitsweise klassischer Computer.

Ein Klassiker bei der Auseinandersetzung mit Turingmaschinen ist die Frage, ob eine Maschine bei der Berechnung eines Problems jemals zum Ende gelangt oder endlos weiterläuft, Informatiker sprechen vom Halteproblem. Bereits 1936 hatte Turing gezeigt, dass es keine Möglichkeit gibt, diese Frage allgemein für alle möglichen Algorithmen zu beantworten.

Churchill und seinem Team gelang es jetzt zu beweisen, dass die Frage nach dem Spielausgang eines Magic-Duells dem Halteproblem entspricht: Das bedeutet, dass es Spielsituationen gibt, in denen ein Computer nicht berechnen kann, wer gewinnen wird.

Die Wissenschaftler gelangten zu dem überraschenden Ergebnis, indem sie zeigten, dass Magic: The Gathering die gleichen Funktionen besitzt wie eine Turingmaschine, also «Turing-vollständig» ist, wie Experten sagen. Anders ausgedrückt: Man kann mit Magic eine Turingmaschine simulieren und umgekehrt.

Dazu konstruierten Churchill, Biderman und Herrick eine spezielle Ausgangssituation zwischen zwei Magic-Spielern und identifizierten die möglichen Spielzüge mit den wesentlichen Funktionen einer Turingmaschine: das Auslesen, Beschreiben und Bewegen des Bands. Dadurch besitzt das Spiel sämtliche Eigenschaften des theoretischen Rechnermodells und kann mit den Mitteln der theoretischen Informatik untersucht werden.

Ein Spiel als Computer

Vor dem Beginn eines Magic-Spiels wählt ein Spieler aus seiner Sammlung 60 Karten aus – diese Auswahl aus dem riesigen Fundus der verfügbaren Karten und die damit einhergehenden Kombinationsmöglichkeiten führen zu der außergewöhnlichen Komplexität des Spiels. Hat der Spieler eine Auswahl getroffen, mischt er seine Karten sorgfältig und nimmt anschließend sieben davon auf die Hand. Die übrigen bilden seinen Nachziehstapel.

Unter den Karten befinden sich Kreaturen, die den Gegner angreifen, oder auch Zauber und Artefakte. Zu Beginn jeder Runde zieht man eine Karte. Sobald ein Spieler eine Karte von einem leeren Nachziehstapel aufnehmen soll, hat dieser verloren. Ansonsten besiegt man seinen Gegenüber, indem man seine Lebenspunkte durch gezielte Attacken auf null oder niedriger reduziert.

In dem von Churchill und seinen Kollegen konstruierten Spiel treten Alice und Bob gegeneinander an. Bob ist in der Situation, dass er weder Karten auf der Hand hat und sein Nachziehstapel leer ist – er steht also kurz vor der Niederlage. Dafür kontrolliert er alle Kreaturen, die auf dem Tisch liegen. Alice kann daher nur versuchen, Bobs Kreaturen mit den Karten aus ihrem Stapel anzugreifen.

Das Band ist im Anfangszustand so angeordnet, dass der Lesekopf auf der schwächsten Kreatur (2/2) ruht; rechts davon befinden sich der Stärke nach alle weißen Kreaturen und analog dazu links alle grünen. Eine weiße Kreatur mit den Werten 5/5 steht demnach auf dem dritten Feld rechts vom Kopf. Die Art der Kreatur ist durch ein Symbol auf dem Feld vermerkt.

Churchill und sein Team haben das Spiel so konstruiert, dass Bob gar nicht gewinnen kann. Daher hält die Turingmaschine erst an, wenn Alice gewinnt, ansonsten läuft sie ewig weiter. In echten Magic-Spielen können solche Situationen tatsächlich entstehen. Es gibt sogar eine Regel, wonach im Fall von sich immer wieder wiederholenden Zügen eine Partie unentschieden ausgeht.

Die Forscher konnten zeigen, dass ihre erdachte Spielsituation tatsächlich in einem realistischen Duell auftreten kann – und nicht bloß ein künstliches Konstrukt ist. Zudem gehen sie davon aus, dass auch andere Spielsituationen in ähnliche Sackgassen führen können. Daher erreiche das Spiel mindestens die Komplexitätsstufe NP, schreiben die Autoren. Um zu prüfen, ob es vielleicht sogar noch komplexer ist, muss man allerdings eine andere Herangehensweise wählen.

Dennoch bleibt das Ergebnis aus spieltheoretischer Sicht erstaunlich, auch wenn es Magic-Spieler vielleicht weniger überraschen mag: Schon lange rühmen sich einige von ihnen damit, dass sie ein extrem kompliziertes Spiel beherrschen. Nun können sie auch offiziell von sich behaupten, das komplexeste Spiel der Welt zu spielen.

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