

Mädchen brauchen Jungenspielzeug – eine Geschichte aus meiner Kindheit

Bogotá, Kolumbien. Anno 1993. In einer Stadt, die noch immer die Wunden von Pablo Escobar leckt, waren meine Eltern bereit, diese Hölle endlich zu verlassen. Einen Monat vor dem Tod des berüchtigten Drogenbarons.
Wir wohnten einen Monat lang in einem Hostel bis meine Eltern das Haus gefunden haben, das ich 13 Jahre lang mein Zuhause nannte. Von diesem Monat weiss ich nichts mehr, aber ich erinnere mich an die Zeiten, als unsere Möblierung sich auf einige Matratzen am Boden und einen TV beschränkten.
Mein erstes Spielzeug
Die Hauptfigur zu spielen gab mir Selbstvertrauen. Ich fühlte mich bemächtigt, alle wichtigen Entscheidungen zu treffen, um die Welt zu retten. Solch eine heikle Position kann man seinem jüngeren Geschwister natürlich nicht anvertrauen, das wäre unverantwortlich. Es spielte keine Rolle, ob das Geschlecht für ihn gestimmt hätte. Es spielte auch keine Rolle für die damals vierjährige Mariana (mich).
It’s Morphin’ TimeEs ist eine grausame Welt
Dann gingen wir in den Kindergarten. Neue Kinder, aber noch wichtiger: Neue Spielzeuge. Da lernte ich Mega Bloks und die Grausamkeit von Kindern kennen. Als ein fünfjähriges Mädchen aus einem anderen Land, das andere Wörter mit einem anderen Akzent benutzt, war ich ein einfaches Ziel.
Das perfekte Setting für ein Welt-Rettungs-Szenario ist das hier, nicht etwa eine SpielzeugkücheIch verstand nie den Reiz von Puppen und Spielzeugküchen. Sogar als ich begann, mit Barbies zu spielen, wählte ich die Zahnärztin, die sich das Auto und das Strandhaus leisten konnte. Barbie Ballerina konnte das nicht, aber darum geht’s nicht.
Mama rettet den Tag
Als ich nach Hause kam und mein Herz ausweinte, hat mich meine Mutter getröstet. Aber sie wusste, dass das nicht genug war. Also hat sie mich mit mentaler Stärke und einem Plastikschwert ausgestattet, um dieser grausamen Welt alleine entgegenzutreten.
Am nächsten Morgen verliess ich mein zu Hause mit einem Grinsen von Ohr zu Ohr und meinem eigenen Anti-Rüpel-Excalibur. Was als nächstes passierte, ist etwas schwammig in meiner Erinnerung. Es begann mit einigen Witzen über meinen Akzent, mir wie ich mein Plastikschwert über den Spielplatz schwang und einem weinenden ehemaligen Rüpel in einer Ecke.
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Beschwerden der anderen Eltern an meine Mutter gelangten, aber sie wusste, dass die anderen Kinder angefangen hatten… Und sie war stolz auf mich.
Es lässt einen niemals im StichDer böse Vollstrecker der Geschlechterrollen war gestürzt worden von dem drei Jahre jüngeren, komischen Mädchen und eine neue Ordnung war etabliert. Nun war ich nicht nur im Stande, meine eigene Welt zu bauen und andere anzuweisen, sie zu erweitern. Auch meine Position als Roter Ranger war gefestigt, nicht nur zu Hause sondern auch in meinem neuen Königreich des Kindergartenlandes.
Kinder sind verschieden, aber wir können uns alle darauf einigen, dass eine liebevolle Umgebung mit Unterstützung Wunder für jede Kindheit bewirken kann. Und auch ein Plastikschwert. Danke, Ma.


Grafik-Designerin, Pokémon-Trainerin, tech-savvy und keine Schriftstellerin. Seit 2014 bin ich in der Schweiz. Ich führe einen steten Kampf gegen schlechtes Design.
Vom neuen iPhone bis zur Auferstehung der Mode aus den 80er-Jahren. Die Redaktion ordnet ein.
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