
Kleidung lieber wegwerfen statt recyceln?
Wenn du deinen Schrank ausmistest, solltest du dir gut überlegen, was mit den alten Klamotten passiert. Denn einer Studie zufolge ist in gewissen Fällen das Wiederaufbereiten und Vermieten eines Kleidungsstücks schlimmer für die Umwelt, als es zu entsorgen.
Nachhaltigkeit ist in der Modebranche längst im Mainstream angekommen. Jeder Modekonzern gibt sich grün und Schlagwörter wie «Recycling» und «Vermietung» sind geradezu omnipräsent. Doch wie nachhaltig sind diese Geschäftsmodelle tatsächlich? Dieser Frage sind Forschende der finnischen LUT-Universität nachgegangen. Für ihre in der Zeitschrift «Environmental Research Letters» veröffentlichte Studie berechneten sie die Treibhausgasemissionen, die mit unterschiedlichen Konsumverhalten von Mode verbunden sind. Dabei stellten Jarkko Levänen und sein Team fest, dass das Vermieten (und danach das Recyceln) von Klamotten situationsbedingt die negativsten klimatischen Auswirkungen hat.
Textile Kreislaufwirtschaft
Kaufen, tragen, wegwerfen – so funktioniert das lineare Modesystem. Die «Circular Economy» will dieses System durchbrechen, um die Lebensdauer von Klamotten zu verlängern, Abfall zu vermeiden und den Rohstoffverbrauch zu senken. Ziel dieses Lösungsansatzes ist es, Bekleidung möglichst lange zu tragen und danach wiederzuverwerten. Auf diese Weise fliessen möglichst viele dafür verwendete Rohstoffe in den Produktionsprozess zurück und der Nutzen von Ressourcen und Rohstoffen wird langfristig gesteigert. So die Theorie. In der Praxis sieht das häufig anders aus. Nämlich dann, wenn Modekonzerne nur einen kleinen Aspekt dieses vielversprechenden Kreislaufs übernehmen, um Greenwashing zu betreiben. Dabei sind Recycling und die Möglichkeit, Kleidung zu mieten statt zu kaufen, die gängigsten Versprechen. Um diese zu überprüfen, haben die Wissenschaftler fünf verschiedene Lebenszyklen einer Jeanshose verglichen und für jedes Szenario das Treibhauspotenzial berechnet.
Das Recycling-Verleih-Dilemma
Der Beginn des Lebenszyklus einer Jeans läuft im Fall dieser Studie immer gleich ab: Die Hose wird produziert und ins Ausland verschifft. Sobald du sie im Laden eintütest oder das Paket in Empfang nimmst, wird es spannend. Entscheidend ist, was jetzt damit passiert, weil du nun die Lebensdauer der Hose in der Hand hast. Du kannst sie entweder eine Weile lang anziehen, bevor du sie wegwirfst, vermietest oder recyceln lässt, oder du kannst sie vor dem Entsorgen kaputt tragen. Letzteres wäre der Idealfall.
Gehst du davon aus, dass du deine Hose nach langem Tragen an einen Secondhandladen verkaufst und sie anschliessend von jemand anderem lange weitergetragen wird, dann sind die Emissionen weitaus tiefer, als wenn die Jeans nach dem Weggeben von einem Laden an viele Personen vermietet wird. Das ist so, weil der ständige Transport des Kleidungsstücks mit hohen CO₂-Emissionen verbunden ist. Bei einem fiktiven Zeitraum von fünf Jahren findet dieser Prozess 50-mal – wenn die Hose pro Jahr zehn Mal vermietet wird – öfter statt als im einmaligen Fall des Secondhandshops. Der Fussabdruck ist bei deiner Weitergabe gleich gross. Bei jedem zusätzlichen Verleih nimmt er zu.
Dasselbe gilt fürs Wiederaufbereiten. Nur, weil du Kleidungsstücke recyceln lassen kannst, ist das kein Freipass respektive eine Entschuldigung fürs vorzeitige Entsorgen. Im Gegenteil: Der industrielle Wiederaufbereitungsprozess verursacht laut Studie einen hohen CO₂-Ausstoss. Darum ist es besser, eine Hose lange zu tragen und wegzuwerfen, als in der gleichen Zeit fünf Hosen zu kaufen und recyceln zu lassen. Kurz gesagt: Ein Lebenszyklus mit Entsorgung ist weniger umweltschädlich als fünf Zyklen mit Recycling. Recycling bedeutet also nicht, dass du dich damit von deinen Konsumsünden freikaufst. Umgekehrt ist aber ein langer Lebenszyklus mit Recycling auch besser und sinnvoller als fünf kurze Zyklen mit Entsorgung.

Mit dieser Studie wollen die Forscher Recycling-Technologien keinesfalls verteufeln. Sie weisen jedoch darauf hin, dass noch viel optimiert werden muss, um die Nachhaltigkeitsbemühungen in die richtige Richtung zu lenken. Das Fazit der Wissenschaftler: Ein reflektiertes Konsumverhalten ist der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit. In der schnelllebigen Fashion-Welt, in der ein Trend den nächsten jagt, sind jedoch viele (noch nicht) bereit für dieses Opfer. Und genau da liegt der Hund begraben: Die Modebranche kann erst umweltbewusst werden, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher überlegt konsumieren und Unternehmen weniger produzieren.
Die Gretchenfrage ist wie so oft, wenn es um Konsum geht: Wer muss sein Verhalten ändern, um die Situation insgesamt zu verändern? Die Branche sagt: Wir machen nur, was die Kunden wollen und die wollen ständig neue Kleider. Die Konsumenten sagen: Die Hersteller sollen aufhören, so viel Billigware auf den Markt zu werfen, dann kaufen wir automatisch weniger. Das Problem dabei ist halt immer, So lange du die Verantwortung auf den anderen schieben kannst, hast du eine Ausrede, um dein eigenes Verhalten nicht ändern zu müssen. Fakt ist aber auch: Direkt beeinflussen kannst du nur dein eigenes Verhalten. Ein überlegter Konsum ist, nicht nur bei Kleidern, sowieso längst mehr als ein nischiger Trend. Und um nochmal auf die Jeans zurückzukommen, eine qualitativ hochwertige Denim hält fast ewig. «Je weniger du sie wäschst, desto besser», so der Jeans-Experte Ruedi Karrer. Warum er «niemals» einen Denim-Stoff waschen würde, erfährst du hier:
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Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt.