Hintergrund

Der Mann mit 15 000 Jeans: «Ich wasche meine Denims nie»

Vanessa Kim
3.12.2018
Bilder: Thomas Kunz

Ruedi Karrer besitzt eine der grössten Jeanssammlungen weltweit. Warum er «niemals» einen Denim-Stoff waschen würde und in welchen Momenten er ohne unterwegs ist, erzählt er uns im Interview.

Wann ist eine Denim spannend für dich?
Geschenke nehme ich jederzeit an, auch Kaufhausmodelle. Viele Jeansfirmen beliefern mich mit Neuheiten. Die Schwierigkeit besteht darin, an getragene Modelle mit Patina (das sind Gebrauchsspuren) ran zu kommen. Meine Leidenschaft gilt der Raw Denim. Die sind für die Besucher meiner Ausstellung spannender anzusehen.

Was genau versteht man darunter?
Raw Denim ist ein nicht vorgewaschener und unbehandelter Stoff, der hart wie ein Brett ist. Typisch ist seine graublaue Färbung. Erst durch das regelmässige Tragen passt sich der Stoff individuell an deine Körperform an und erhält seine Patina – sprich: Scheuerstellen und Faltenwurf. Nach ungefähr 200 Trag-Tagen ist das der Fall.

Im Lagerraum türmen sich die Kisten. Pro Stapel sind es elf Stück, die bis zur vier Meter hohen Decke reichen.

Dann kaufst du jede Jeans doppelt?
Ja, sofern das möglich ist. Nur so kann ich meinen Besuchern den Vorher-Nachher-Effekt zeigen. Wie sich eine Jeans beim Tragen verändert, ist das Spannende am Ganzen.

Wie ging’s weiter?
Das Sammeln ging während meines Studiums, für das ich nach Zürich zog, weiter. Bis mein WG-Zimmer und der Keller aus allen Nähten platzte. Ich entschloss mich, ein kleines Privatmuseum zu eröffnen. 2001 war es soweit. Darin findest du Hosen von A wie APC und Z wie Zara. Mein ältestes Modell ist von Carhartt und stammt aus den 20ern. Meine Sammlung umfasst heute über 14 000 Stück.

Wie viele Jeanshosen trägst du privat?
Ich trage immer dieselben zwei bis drei Paar, die ich im Wochentakt wechsle. Zurzeit trage ich ein Modell von Nudie und eines von Benzak. Beide muss ich noch rund ein Jahr tragen, bis die beanspruchten Stellen verblassen und dadurch eine lebendige Patina entsteht.

Dein Trag-Rekord?
Meine Iron Heart Hose habe ich 1 002 Tage getragen – natürlich nicht am Stück. Dafür ohne sie jemals zu waschen. Um auf so viele Tage kommen, benötigst du mehrere Jahre, da du dieses eine Modell nicht nonstop anhast.

Diese Iron Heart Jeans hat Ruedi insgesamt 1 002 Tage getragen. Die Patina ist hier klar ersichtlich.

In welchen Momenten trägst du keine Jeans?
Ich trage immer Jeans, auch an Beerdigungen und Hochzeiten, dann aber die gepflegten Modelle. Meine Freunde würden sich wundern, wenn es anders wäre. Im Bett verzichte ich darauf. Auch beim Sport und beim Baden. Ich würde niemals Wasser an meine Denim lassen.

Wie «reinigst» du deine Hosen?
Puritaner wie ich lieben den Originalfarbton. Wenn du deine Raw Denim nur einmal wäschst, wäscht sich der ganz typische Indigo-Farbton raus und wird zu einem Königsblau. Alle anderen behandelten Jeanshosen kannst du getrost waschen. Einmal pro Woche ist aber zu viel des Guten. Ideal sind alle sechs Monate, ausser du schwitzt stark.

Wie machst du das mit dem Schwitzen?
Ich ziehe meine (schöne) Denim natürlich nicht an, wenn ich Arbeiten im Garten oder auf dem Bau verrichte. Als Bürogummi, wie ich es bin, ist das kein Problem. Ausserdem ist Raw Denim bei trockenem Dreck schmutzabweisend. Wenn du nicht stark schwitzt, kannst du deine Hose 200 Tage tragen. Und wenn du sie mit einer anderen Hose abwechselst, alle ein bis zwei Jahre.

Was passiert, wenn Tag X kommt?
Das ist ein Dilemma, denn es gibt keine Lösung. Entweder wäschst du sie und hast eine königsblaue Hose oder du trägst sie nur noch in deiner Freizeit. Die typisch starken Spuren, die Jeansliebhaber hypen, bekommst du nur, wenn du die Hose nie wäschst. Oder du probierst es mit Lüften und Tiefkühlen aus. Weitere Tricks, um Gestank zu vermeiden: Trag dein Modell immer zu gross, so schwitzt du weniger.

«Mit meinen über 37 000 Followern gelte ich bereits als Influencer. Pro Tag verbringe ich rund ein bis zwei Stunden auf Instagram.»

Schaust du den Leuten in die Augen oder auf die Hosen?
Ich bin dabei nicht wertend, aber ja: Mein Blick wird von Denims magisch angezogen. Wenn ich ein cooles Teil sehe, spreche ich die Person darauf an und gebe ihr meinen Zettel mit, eine Art Visitenkarte, und sage dabei: «Egal was passiert. Wirf die Hose bitte nicht weg.» Dabei bleibe ich zurückhaltend. Ich will den Leuten ja nicht die Hose auf offener Strasse abschwatzen.

Wie viel hat dich dein Hobby bisher gekostet?
In all den Jahren habe ich sicher rund 200 000 bis 300 000 Franken dafür ausgegeben. Eine teure Passion, ich weiss. Andere fahren dafür mit 59 Jahren einen Ferrari (lacht).

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Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt. 


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