
Iouri Podladtchikov und sein (Alb)Traum von Olympia

Vor vier Jahren hat er in Sotschi die gesamte Konkurrenz mit einem Traumlauf in den Schatten gestellt. Und die diesjährigen X-Games in Aspen sollten für den Halfpipe-Künstler die gelungene Hauptprobe werden. Es kam aber alles anders. Nun wird Olympia für den «iPod» zum Wettlauf gegen die Zeit.
Mit dem «Yolo-Flip», einem zweifachen Rückwärtssalto inklusive vierfacher Schraube, katapultierte sich der Zürcher Wintersportler einst auf den Snowboard-Olymp. Er stand seinen selbst kreierten Sprung bei den olypmischen Winterspielen 2014 in Russland im zweiten Run und holte sich verdient die Goldmedaille. An den X-Games in Aspen im Januar dieses Jahres stürzte er, verletzte sich und bangt nun um Olympia.

Der Tag danach
Die Scans im Spital haben keine gröberen Hirn- oder Nackenverletzungen gezeigt. Zum Glück. Denn sonst hätte der Snowboard-Crack all seine Hoffnungen für Südkorea definitiv begraben müssen. Der versierte Strahlemann hatte Glück im Unglück: Der Sturz sah für Aussenstehende schlimmer aus, als er wirklich war. Dennoch kam er zum dümmstmöglichen Zeitpunkt. Sein Coach blieb realistisch: «Ich kann unmöglich sagen, ob dieser Sturz das Out für Olympia bedeutet.» Iouri reagierte in seinem eigenen Stil: «hello everyone! thank you so much for all the messages, i am so sorry for the mess of yesterday.. i am doing ok, thank you @XGames for takin care of me and congratulations to Ayumu for his win!», schrieb er auf Twitter.

Der verfluchte Double Backside Alley-Oop Rodeo
So heisst der Trick, der für Podladtchikov wie verhext zu sein scheint. Bereits an den Weltmeisterschaften im März 2017 in der Sierra Nevada büsste er für sein Risiko und trug einen Kreuzbandriss davon. Er erholte sich wieder und kam zurück aufs Board. Und wer ihn in den letzten Wochen in der Halfpipe sah, dachte sich: besser denn je, dieser Typ. Die Form stimmte, Iouri schien ready für PyeongChang. Doch an den X-Games in Aspen wurde ihm der Zungenbrecher erneut zum Verhängnis. Ein gebrochenes Nasenbein, eine Hirnerschütterung und banges Warten – Souvenirs, die er nur ungern aus den Staaten zurückbrachte.
Юрий Юрьевич Подладчиков
Andenken und Erinnerungen hat er viele. Und die meisten davon sind positiv. 1988 in Podolsk in der damaligen Sowjetunion geboren, wanderte seine Familie 1992 aus. Die Reise führte die Podladtchikovs zuerst nach Schweden, dann in die Niederlande. Schliesslich liessen sie sich 1996 in der Schweiz nieder. Als er im zarten Alter von 14 Jahren in der Halfpipe debütierte, tat er dies noch als Russe. 2007 liess er sich in der Schweiz einbürgern und identifizierte sich fortan mit dem weissen Kreuz auf rotem Grund. Spätere Versuche des russischen Verbandes, den talentierten Jungspund wieder zurückzuholen, schlugen alle fehl.

Facts and figures
- 184 cm gross
- 82 kg schwer
- 29 Jahre jung
- 13 Podiumsplatzierungen im Weltcup (3x Gold, 5x Silber, 5x Bronze)
- 7 X-Games-Medaillen (1x Gold, 4x Silber, 2x Bronze)
- 4 Snowboard-Weltmeisterschafts-Medaillen (2x Gold, 2x Silber)
- 1 Olympia-Medaille (1x Gold)

We rock together, we roll together
Sollte der freche Schweizer einmal keinen Schnee finden, schnappt er sich sein Skateboard und macht die Strassen seiner Lieblingsstadt unsicher. Viele Snowboard-Profis satteln im Sommer aufs kleinere Brett mit Rollen um – logisch, die Parallelen sind kaum von der Hand zu weisen. Dies ist aber nur möglich, wenn du gesund und nicht gerade im Krankenhaus bist. Ausser du heisst Iouri Podladtchikov. Einzig er schafft es, zwei Monate nach einem Kreuzbandriss wieder auf dem Wakeboard zu stehen oder im Urlaub auf einem Elektrotöff herumzurasen. Ein heissblütiger Draufgänger in Fleisch und Blut, gesegnet mit Talent. Den Stillstand kennt er übrigens nur vom Hörensagen. Ausserdem ist er passionierter Fotograf. Und hat ein Händchen für Mode.

Der Ami und die Japaner
Die Profiteure von Podladtchikovs Verletzung könnten zwei ganz Grosse sein: Shaun White,
der im Januar erst zum zweiten Mal den ausserirdischen 100-Punkte-Run schaffte, und der junge Ayumu Hirano. Obwohl hier Profiteure das falsche Wort ist. Denn die Snowboarder sind eine eingeschworene Einheit. Logisch, in der Halfpipe sind sie Gegner, denn jeder will der Beste sein. Aber selbst dort klatschen sie Beifall, wenn ein Konkurrent einen Traumlauf hingezaubert hat. Sie freuen sich mit ihm und für ihn. Und es ist eine ehrliche, echte Freude. Eine Freude, die im heutigen Zeitalter des immer Besseren, Grösseren und Teureren kaum mehr zu finden ist.

You only live twice
Podladtchikov steht mit seinem Schicksal aber nicht alleine da: David Hablützel bangt ebenfalls um seine Olympia-Teilnahme. Und auch er sollte ein heisses Eisen aus der Schweizer Delegation sein, die mit 125 Athleten in PyeongChang um die Medaillen kämpfen will. Iouri weiss, wie es geht. Damit meine ich nicht, eine Goldmedaille zu gewinnen. Sondern eine Wunderheilung zu vollführen. Denn er hat es bereits einmal getan. Nach seinem Kreuzbandriss im Frühling in Spanien fürchtete er, PyeongChang nur im Fernsehen verfolgen zu können. Dass er an den X-Games 2018 antreten würde, hätte niemand für möglich gehalten. Dass er sich dort erneut verletzt, auch nicht.
Ich riskiere gerade mein Leben und habe zwei Optionen: Wenn ich den Sprung abbreche, bin ich eine Memme. Tue ich es nicht, stürze ich. Aber wenn ich jetzt abbreche, nehme ich den Leuten alle Hoffnung. Die Chance, dass ich diesen Sprung stehe, liegt bei null Komma irgendwas, aber wenn ich jetzt nicht dran glaube, glaube ich an den Olympischen Spielen auch nicht dran.

Hope dies last
Was ist denn nun mit PyeongChang? Sie wissen es nicht. Sie, das sind die Ärzte. Das sind die Physiotherapeuten, die Coaches und der restliche Staff. Aber wir, wir wissen es. Wir, das sind die Fans. Wir, das sind seine Teamkollegen. Und wir, das ist auch Iouri selbst. Denn wer die Karriere des unzerstörbaren Multitalents verfolgt hat, weiss auch um seinen Kampfgeist und den unbändigen Willen. Er lässt sich nicht unterkriegen. Rückschlägen zeigt er den Mittelfinger und seinen Konkurrenten meist die Unterseite seines Snowboards. Dort befindet sich sein Logo, sonst nichts. Es braucht mehr als eine Verletzung, um den «iPod» zum Schweigen zu bringen.



Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.